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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

daß ich nach Berndorf komme, ehe der Postwagen abfährt.“ Mit diesen Worten stand sie auf. Lothar reichte ihr die Hand.

„Ich danke Ihnen, Sophie, daß Sie gekommen sind,“ sagte er, „und ich hoffe, daß Sie sich an Niemand anders wenden, als an mich, wenn Sie in irgend einer Art Rath oder Hülfe brauchen. Wollen Sie mir das versprechen?“

„Das will ich,“ flüsterte sie in tiefer Bewegung, grüßte wieder und wandte sich dem Ausgange zu, während Lothar und Eva langsam nach dem Schlosse gingen. Beide fanden keine Worte, sich auszusprechen; Beiden war noch zu Muthe, als könnten sie aus einem schönen Traume zu der alten Qual erwachen. Erst als sie in das Zimmer traten, wo Tante Ernestine am Bett des schlafenden Kindes saß, löste sich die Spannung. Während Eva weinend an der Wiege niedersank und den Kopf in die Kissen verbarg, ergriff Lothar die Hände der Aebtissin und erzählte in flüchtigen Worten, mit stockendem Athem und bebenden Lippen, wie er erlöst war. Erst starrte sie ihn an, als ob sie’s nicht fassen, nicht glauben könnte, dann zog sie seinen Kopf zu sich nieder und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. „Gott segne Dich, mein Sohn!“ sagte sie mit einer Bewegung, die ihr strenges Gesicht wunderbar verklärte, stand auf und trat an’s Fenster.

Unterdessen war der Kleine erwacht. Eva hatte ihn aus der Wiege genommen und reichte ihn dem Vater zu. „Glaubst Du noch, daß er zum Unglück geboren ist?“ flüsterte sie durch Thränen lächelnd.

Lothar schüttelte den Kopf. „Zu Glück und Segen,“ erwiderte er, indem er die beiden theuern Wesen an die Brust zog.

Tante Ernestine aber stand am Fenster, unfähig sich zu fassen. Es stieg ihr warm vom Herzen in’s Auge, und sie flüsterte vor sich hin: „Mein Gott, wie dank ich Dir! Nun kann ich in Frieden sterben!“




Aus dem Kirchenstaate.
Von Moritz Hartmann.
Nr. 2.
Nachricht für Kunstliebhaber. – Wie schön die römischen Mönche büßen. – Garibaldi. – Wie er lebt und arbeitet. – Wie er geliebt wird. – Garibaldi, das Product des jungen Italiens. – Das verleumdete Italien.

Wenn wir heute von den Mönchen reden, so wollen wir nicht von ihrem Leben und Treiben erzählen, sondern die Kunstliebhaber darauf aufmerksam machen, daß sich im gegenwärtigen Augenblicke in Italien ein schöner Markt aufthut, und daß man viel Gelegenheit findet, werthvolle Bilder und Zeichnungen zu geringen Preisen einzukaufen. Die Mönche fühlen sich nicht sicher und suchen Alles zu tragbarem Gelde zu machen. In mancher Zelle haben sich schöne Sammlungen erhalten, die nun an’s Tageslicht kommen; freilich sind es selten große Bilder, aber sehr oft vortreffliche Zeichnungen der Bologneser Schule, von den Carracci’s, von Guido, Guercino, Domenichino etc., die sich hier, in dem abseits gelegenen Bologna und in den versteckten Klöstern, in außerordentlicher Anzahl erhalten haben. Ein Bekannter hat einen ganzen Carton voll der trefflichsten und interessantesten Zeichnungen, etwa sechszig an der Zahl, einem Mönche um vierhundert Francs abgekauft. In einer versteckten Gasse in der Nähe des Teatro Communale, war ein schöner Engel von Guido Reni, Bruchstück eines großen Oelbildes, um dreihundert Francs zu haben. Der Portier der alten Universität bot mehrere schöne Bilder zu Spottpreisen an; sie sollten einer „herabgekommenen Familie“ angehören – aber „herabgekommene Familie“ bedeutet oft so viel, wie Kloster oder einzelner Mönch.

Bedenkt man, welche ungeheure Fruchtbarkeit die Bologneser Schule entwickelte, welcher Studien und Vorarbeiten nur die Bilder bedurften, die man noch heute in dieser Stadt anstaunt, und daß der ausgesprochene Charakter dieser Schule ihr gegenüber eine gewisse Kennerschaft sehr erleichtert und die Täuschung erschwert, so wird man diesem starkbesetzten Markte gegenüber auch jeden überflüssigen Skepticismus aufgeben. Wohl dem, der jetzt auch nur mit zehntausend Franken in der Tasche durch Bologna reist. Die in so erstaunlicher Anzahl und Größe vorhandenen Fresken, die mit ihrer Fläche ein deutsches Fürstenthümchen bedecken könnten, kann man freilich nicht mitnehmen, aber viele der ersten Gedanken zu diesen Fresken könnte man getrost nach Hause tragen. Aber nur so viel von Kunst, über die man in Bologna dicke Bände schreiben könnte. St. Michele in Bosco, ein ehemaliges Kloster, später, bis vor fünf Monaten, die Residenz des Legaten, und überhaupt eine der schönsten Residenzen der Welt, St. Michele in Bosco allein mit seinen Hallen, Sculpturen, Mosaiken, Oel- und Freskomalereien könnte ganze Bücher füllen. Es ist eines der glänzendsten und schönsten Denkmale klerikaler Pracht und pomphaften Büßerlebens. So zu büßen, wie die Mönche hier gebüßt haben, jeder mit einem fürstlichen Einkommen in schönster Natur und unter Werken der Kunst, mit dem Blicke in das gartengleiche, beherrschte Land, würde sich jeder Sünder gern bereit erklären; wie gern würde Jeder solche Wege zur Heiligkeit wandeln!

In letzter Zeit wohnte Cipriani, der Dictator von Bologna, hier, den man allgemein für eine Creatur Bonaparte’s hielt. Garibaldi wohnte unten in der Stadt in einem alten Palaste, aber nur weil es schwer ist, hier nicht in einem alten Palast zu wohnen. Sein Leben war nicht palastartig, denn um Garibaldi herum wird es immer lagerhaft und bivouakmäßig. Man verpflanze ihn in königliche Gemächer, sie werden sofort den Charakter von Lagerzelten annehmen. Er kann nicht anders als einfach leben, wie ein Spartaner. Ein kalter Nordwind wehte, die Bologneser schlichen classisch bis über das Kinn in den Mantel gehüllt durch die Straßen. Ich kam zu Garibaldi; kein Feuer brannte in seinem Kamine, und er saß in seiner Stube von einem dicken, groben Soldatenmantel bedeckt. Er hat keinen Sinn für die Bequemlichkeiten des Lebens, oder will ihn nicht haben, um sich nicht in die Abhängigkeit von Bedürfnissen zu begeben. Seine Kleidung ist die einfachste und, den Mantel ausgenommen, Sommer und Winter dieselbe. Er ißt sehr wenig und trinkt nur Wasser. Schon vor zehn Uhr liegt er im Bette, um sich gegen vier Uhr zu erheben und sogleich an die Geschäfte zu gehen. Er arbeitet vom frühsten Morgen an, empfängt nur Visiten, die mittelbar oder unmittelbar mit seiner Sache zusammenhängen, und geht fast gar nicht aus. Umsonst stehen die wartenden Gruppen fortwährend vor seinem Thore; sie werden ihn nicht zu sehen bekommen. Er flieht die Liebesbezeigungen des Volkes, weil sie ihn in Verlegenheit bringen, und hält sich darum so viel als möglich in seinen Zimmern.

Nach alldem wird man sich unter Garibaldi eine spartanische Erscheinung, eine abwehrende Persönlichkeit vorstellen. Er ist das vollkommenste Gegentheil. Alles an und in ihm vereinigt sich, um, je länger man ihn kennt, eine unbeschreibliche, unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben: seine Stimme ist stark und voll Wohllaut, sein Blick energisch, fast scharf und doch milde; sein Körper ist etwas steif, aber die Gesten der Arme scheinen ihm eine starke Beweglichkeit zu geben, wie das bei lebhaften, stämmigen Gestalten oft der Fall ist. Dem hellen Gesichte mit dem beinahe antiken Profil sieht man die vielfachen Erlebnisse nicht an; er hat viel Jugendlichkeit bewahrt, trotz der grauen Haupt- und Barthaare und trotz des tiefen Schattens von Melancholie, der oft, wie eine Wolke über eine schöne Landschaft, darüber hinzieht. Wenn er lächelt – und er lächelt oft und lacht niemals – sollte man glauben, daß dieser Mund eher gemacht sei, Trost- und Liebesworte zu sprechen, oder lyrische Stellen zu citiren – was er auch in der That oft thut – als kriegerische Commandoworte zu donnern. Wahrhaft bezaubernd wirkt er, wenn er, freilich selten, auf die einfachste und anspruchsloseste Weise aus dem reichen Schatze seiner Erlebnisse mittheilt und erzählt; wie gerne würde man dann alle die Leiden und Entbehrungen mitgetragen haben! Die Memoiren, die einer seiner Adjutanten schreibt, wie vortrefflich sie sein mögen, werden schwerlich eine solche Wirkung hervorbringen, trotzdem in ihnen der Held im Vordergrunde stehen wird und Garibaldi in seinen eigenen Erzählungen immer im tiefsten Hintergrunde steht. Ich kam mir vor, wie einer der Söhne des Alkinoos, der die Geschichte des Odysseus anhört, und ich begriff, daß der König der Phäaken den Dulder mit Geschenken überhäufte und daß sich dessen Tochter in ihn verliebte, obwohl er zwanzigjähriges Leiden und Kämpfen auf dem Nacken trug. Aber auch Odysseus’ Hund, den treuen Argos, begriff ich. Was ihn umgibt, hängt, wenn ich ohne Beleidigung so sagen darf, mit Hundetreue, mit der rührendsten

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