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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ihre Augen suchen, wenn sie sich unbeachtet glaubt. Und dann vergiß nicht, daß Alles, was an Stolz in ihr ist, sich gegen diese Neigung empört, die sie als eine hoffnungslose erkennt und erkennen muß.“ Mehr sagte Tante Ernestine nicht, aber wenn es ihre Absicht war mich aufzurütteln und zu beunruhigen, hatte sie ihren Zweck vollkommen erreicht. Die widerstrebendsten Gedanken und Empfindungen flutheten mir durch Herz und Kopf. Es zog mich nach Fischbach hinüber, wie nie zuvor – natürlich nur aus Neugier, wie ich mir einredete, und um Beweise gegen Tante Ernestines Behauptung zu sammeln.

„Aber diese Beweise fand ich nicht. Im Gegentheil, mehr als einmal im Laufe dieses Nachmittags begegnete mein Blick den auf mich gerichteten Augen Isidorens. Ja, sie waren auf mich gerichtet, diese schönen, blauen Augen, mit jenem zauberhaft verlockenden Schimmern und Funkeln, das an das Hüpfen sonnenbeglänzter Wellen erinnert, Euch nie gestattet in die Tiefe zu sehen und Euch vielleicht gerade deshalb mit doppelter Macht anzieht und festhält. Es drang mir heiß zum Herzen und fluthete durch meine Adern, sobald ich diesen Augen begegnete. Endlich trieb mich ein unaussprechlich peinliches Gefühl – ich nannte es Widerwillen, gekränkte Bruderliebe – aus der Nähe der Sirene fort.

„Aber ich mußte wieder und wieder kommen, der Zauber wurde immer mächtiger, und die Eitelkeit, der wir Männer immer unterliegen, kam ihm zu Hülfe. Gewann ich doch immer mehr die Ueberzeugung, daß ich geliebt war, daß dies stolze Mädchenherz um meinetwillen litt und kämpfte, und daß es nur eines Wortes von mir bedurfte, um dies junge, schöne Wesen an mein Herz fliegen zu sehen. Werners Abschiedsworte: „Für den Fall meines Todes laß Dir Isidore empfohlen sein – ich sterbe in der Zuversicht, daß Du in treuer Sorge über sie wachen wirst,“ klangen mir jetzt wie eine unabweisliche Mahnung, und obgleich ich mir gestand – wenn ich nicht bei Isidore war und zur Einkehr in mich selber kam – daß ich sie nicht liebe, so nahm mich doch, sobald ich ihr wieder gegenüber stand, der Zauber ihres Wesens so gefangen, daß ich dem Wunsche, sie an mein Herz zu ziehen, kaum zu widerstehen vermochte.

„In stillen Stunden, meine Eva, trat freilich noch immer Dein sanftes, klares Bild vor meine Seele – aber liebtest Du mich denn, wie ichs begehrte, gabst Du mir mehr als die ruhige, treue Zuneigung einer Freundin? Und ach! Du warst fern, Isidore sah ich täglich – der Zauber behielt den Sieg.

„Endlich ging das Trauerjahr zu Ende. In klar ausgesprochenen Verhältnissen hoffte ich die Ruhe wiederzufinden, die mir jetzt mehr und mehr verloren ging. Aber eines Tages, als ich von der Erlösungsstunde träumte, wurde ich durch ein Billet der Tante benachrichtigt, daß sie in dringenden Stiftsangelegenheiten auf unbestimmte Zeit in die Hauptstadt reisen müßte. Isidore würde sie natürlich begleiten und hätte ihr den herzlichsten Gruß für mich aufgetragen. Ich flog nach Fischbach hinüber – die Damen waren in den ersten Morgenstunden abgereist, und jetzt war die Sonne dem Untergange nahe. Ich mußte mich gedulden, Guntershausen zu verlassen war mir nicht möglich, ich mußte Einsamkeit und Sehnsucht zu ertragen suchen – und als sich die Rückkehr der Tante von Woche zu Woche verzögerte, mußte ich endlich dem Papier meine Wünsche und Bitten anvertrauen. Die Antwort kam – sie brachte mir Isidorens Jawort, und nun flogen die Briefe hin und her. Aber es war nicht die rechte Freudigkeit, nicht das rechte warme Leben darin. War es die Erinnerung an Werner, die zwischen uns stand, oder der wehmüthige Nachhall meiner Jugendliebe? Die Sehnsucht nach Isidore, das Verlangen sie zu besitzen und ihr zu danken für ihre Liebe war jetzt doch so mächtig, daß jede andere Regung verstummte. Meine Briefe wurden immer glühender, warum blieben die ihrigen so kalt und leer? Ich tröstete mich mit der Hoffnung, daß Alles besser würde, wenn wir uns sähen, aber ich mußte lange warten. Erst vierzehn Tage vor dem zur Hochzeit bestimmten Termine kam Tante Ernestine nach Fischbach zurück.

„Meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Statt des innigen Entgegenkommens, wonach ich mich sehnte, fand ich ein kaltes, abweisendes, hochmüthiges Benehmen. Nur wenn ich mich gekränkt zurückzog, wurde Isidore freundlicher, und dann war der alte Zauber wieder da. So ging das fort bis zum Hochzeitstage. Für andere ein Freudenfest wurde er für mich zum schrecklichsten Tage meines Lebens. Gleich nach der Trauung kam es zu einer Erklärung zwischen Isidore und mir. Isidore liebte mich nicht. Tante Ernestine hatte sich anfänglich durch ihr Benehmen täuschen lassen, und als sie die Herzenskälte des Mädchens erkannte, die sich verrieth, sobald Isidore das Ziel ihrer Koketterie erreicht hatte, das heißt, sobald sie mich besiegt und gefesselt sah, hatte Tante Ernestine, anstatt mir die Wahrheit zu sagen, Isidore durch einen Machtspruch vermocht, ihr Jawort zu geben. Sie konnte sich nicht entschließen, der Hoffnung ihres Lebens zu entsagen. Sie wollte Guntershausen in alter Größe sehen und tröstete sich mit der Hoffnung, daß uns die Ehe zur Liebe führen würde. Hatte vielleicht auch Isidore darauf gehofft, als sie einwilligte, mein Weib zu werden? Gethan hat sie nichts, um diesen Traum zur Erfüllung zu bringen.

„Hätten wir uns nur gleich nach jenen schrecklichen Stunden entschlossen, unbekümmert um einander unsern Weg zu verfolgen – aber Isidorens Eitelkeit litt das nicht. So oft sie mich kalt oder nur ruhig sah, wußte sie mich mit unwiderstehlicher Koketterie zu reizen und anzuziehen – aber sobald ich der Lockung vertrauend wärmer wurde, zog sie sich in ihre spöttisch kalte Unnahbarkeit zurück, und dies grausame Spiel hat vom ersten bis zum letzten Tage unserer Ehe gewährt.

„Es war im December, als wir heiratheten – der Januar war kaum halb zu Ende, als wir das Zusammenleben in dem einsamen Guntershausen schon nicht mehr ertrugen. Wir gingen in die Hauptstadt, und nun verdoppelte sich meine Qual, denn wie mit mir, so kokettirte Isidore mit jedem Manne, der ihr nur irgend beachtenswerth schien. Ich war eifersüchtig und hatte nicht immer Selbstbeherrschung genug, es zu verbergen. Das gab Isidoren eine neue Waffe gegen mich in die Hände, und sie hat dieselbe nur zu sehr benutzt. Aber ich will sie nicht anklagen! Das arme junge Weib war vielleicht eben so unglücklich wie ich. Während mich der Wunsch zu vergessen nächtelang am Spieltische festhielt oder tagelang, mit dem Gewehr im Arm, durch Felder und Wälder trieb, versammelte sie – vielleicht in demselben Verlangen – die Bewunderer ihrer Schönheit um sich und betäubte sich in dem Weihrauch, den sie ihr spendeten. Ob sie darin Befriedigung fand, ob das lächelnde Gesicht ein sehnsuchtsvolles, liebedurstiges Herz verbarg, oder ob sie wirklich, wie ich früher zu Tante Ernestine gesagt hatte, nichts zu lieben begehrte, als sich selbst – darüber bin ich niemals zur Klarheit gekommen. Ein ernstes Verhältniß – davon bin ich jetzt überzeugt – hat sie nie gehabt. Im Grunde war sie, trotz aller Koketterie, eine stolze Guntershausen, der ihre Ehre heilig ist, und nie habe ich erfahren, daß sie einem ihrer Verehrer gestattet hätte, die Grenze des Schicklichen auch nur um ein Haar breit zu überschreiten.

„Nur einen Vorfall habe ich mir nicht zu erklären vermocht, und ich kann auch heute noch nicht daran denken, ohne daß mir das Blut siedend zu Kopf und Herzen strömt. Es war im dritten Winter unserer Ehe. Wir waren seit mehreren Wochen in die Hauptstadt zurückgekehrt und gingen ein Jeder auf eigenem Wege unseren geselligen Freuden nach. Einmal komme ich ungewöhnlich früh nach Hause – es konnte ein Uhr Morgens sein. Im Begriff, die Klingel zu ziehen, sehe ich, daß die Hausthür nur angelehnt ist, und wie ich, um dem Portier einen Verweis über diese Nachlässigkeit zu geben, der Gesindestube zugehe, kommt ein Mann aus dem matt erleuchteten Gange so rasch und geräuschlos hervor, daß wir zusammenstoßen. Der Hut fällt ihm vom Kopfe, und ich stehe Auge im Auge dem Mörder meines Bruders gegenüber. Einen Augenblick, einen einzigen, bin ich wie gelähmt, aber es war lange genug, dem Feigling zur Zeit Flucht zu geben. Als ich ihm nachstürze, ist er bereits im Gewirr der angrenzenden Gäßchen verschwunden.

„Halb wahnsinnig vor Zorn und Schmerz komme ich endlich von meiner fruchtlosen Verfolgung zurück. Dieser Mensch unter meinem Dache! – Vielleicht – ich mochte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen – vielleicht mit Isidorens Bewilligung! Das Kammermädchen, das auf mein Klingeln zitternd herbeikam, versicherte freilich, meine Frau wäre noch nicht vom Balle zurück – ihr Wagen fuhr in der That erst eine halbe Stünde später vor. Aufklärung bekam ich nicht. Der Portier versicherte hoch und theuer, daß er die Thür wie immer verschlossen hätte, und von allen Dienern, die ich befragt, wollte Niemand den Fremden gesehen haben. Daß ich wußte, wer er war, sagte ich natürlich den Leuten nicht.

„Erst am folgenden Morgen, als ich mit Isidore am Frühstückstische zusammentraf, kam der verhaßte Name über meine Lippen, und ohne recht zu wissen, was ich sagte, verlangte ich von ihr eine Erklärung über diesen nächtlichen Besuch. Ich werde den Ausdruck

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_132.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)