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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)


„Vorwürfe!“ wiederholte Eva, „ich verstehe Dich nicht. Liebe, beste Mutter, freue Dich doch, daß ich so glücklich bin.“ Mit diesen, Worten brach sie in Thränen aus.

„Aber, Eva, ich kenne Dich gar nicht mehr!“ klagte die Generalin. „Sei doch ruhig, Kind. Wie kann ich glauben, daß Du glücklich bist, wenn Du so alles Gleichgewicht verlierst? – Ueberhaupt, liebe Eva, kann ich in Deiner Verbindung mit Lothar kein Glück erkennen,“ fuhr sie nach einer Pause fort, während Eva die Augen trocknete und sich Mühe gab, ihre Bewegung zu beherrschen.

„Es ist freilich, was man eine glänzende Partie zu nennen pflegt, und ich höre schon, wie man mir von mehr als einer Seite den Vorwurf machen wird, daß ich das Glück meines Kindes für Rang und Reichthum verkauft habe.“

„Liebe Mutter, was liegt an solchem Gerede?“ fragte Eva in vorwurfsvollem Tone. „Du weißt doch, daß ich nur meinem Herzen gefolgt bin.“

„Das Herz täuscht sich,“ fiel die Generalin ein, „und besonders unter diesen Verhältnissen. Das ist kein Vorwurf für Dich! Ich kann mich ganz in Deine Lage denken und finde es so natürlich, daß Du Dich – vielleicht Dir selber unbewußt – zum Opfer bringst. Lothar hat Dich aus den Flammen gerettet; er hat uns, bis wir Eichberg wieder bewohnen können, sein Haus zum Aufenthalt angeboten; wir sind täglich, stündlich mit ihm zusammen; Du hast tausend Gelegenheiten, seinen Geist und Charakter schätzen zu lernen, während Du zugleich immer deutlicher siehst, wie furchtbar er durch seine Schwermuth leidet. Mitleid und Dankbarkeit nehmen Dich mehr und mehr gefangen, und so ist die Selbsttäuschung fertig geworden, denn lieben, Eva, lieben kannst Du diesen düstern, leidenschaftlichen Menschen nicht. Dir, liebes Kind, will ich, wie schon gesagt, durchaus keinen Vorwurf machen, aber ich mußte das Gefährliche Eures Zusammenlebens bedenken; daß ich’s nicht gethan habe, werde ich mir nie verzeihen!“

„O, darum mache Dir keine Sorge,“ bat Eva, und nach einer Pause fügte sie leise hinzu: „Weißt Du wirklich nicht – hast Du nie geahnt, daß ich Lothar schon lange, lange liebe?“

„Eva!“ rief die Generalin in einem Tone, der verrieth, daß auch sie in Gefahr kommen konnte, das Gleichgewicht zu verlieren.

„Eva, wie ist das möglich? Du hast ihn so selten gesehen!“

„Aber desto mehr an ihn gedacht und von ihm geträumt,“ antwortete Eva und drückte einen Kuß auf die Hand der Mutter. „Erinnerst Du Dich nicht,“ fuhr sie fort, „daß schon vor vielen Jahren – Lothars Eltern waren eben gestorben, und er war mit seinen Geschwistern nach Guntershausen zum Onkel Hans gekommen – erinnerst Du Dich nicht, daß schon damals die Rede davon war, Lothar und ich sollten ein Paar werden?“

„Scherze, wie man sie mit Kindern zu machen pflegt!“ warf die Generalin ein. Eva schüttelte den Kopf.

„Tante Ernestine scherzte nie,“ gab sie zur Antwort, „und Tante Ernestine war’s, die zuerst davon sprach. Ich werde den Augenblick nie vergessen. Wir saßen bei Tische, Onkel Hans erzählte in seiner traurigen Weise von der Seuche, die seinen Bruder und seine Schwägerin an einem Tage hingerafft hatte, und sprach dann von der Zukunft der verwaisten Kinder. Werner wäre Erbherr von Guntershausen, hieß es, und Lothar müßte in den Staatsdienst treten. Und nun sah die Tante zu uns herüber; ich fühlte den Blick der grauen Augen, und noch heute tönt es mir in die Ohren, wie sie mit ihrer scharfen Stimme sagte: „der Werner mag dann Isidore heirathen, und Eure Eva ist eine passende Partie für Lothar.“ Sieh Mütterchen, das ist ein Orakel gewesen.“

Frau von Hersenbrook seufzte tief. „Wie ist’s denn möglich, daß sich meine verständige Eva in solche Phantastereien verirrt?“ klagte sie. „Bedenke doch, Kind, daß nachher Alles ganz anders gekommen ist. Ich bin überzeugt, daß in den siebenzehn oder achtzehn Jahren, die seitdem verflossen sind, Lothar so wenig wie Du an dies sogenannte Orakel gedacht hat.“

„Ob er es gethan hat, weiß ich freilich nicht,“ erwiderte Eva, „aber ich um so mehr.“

„Rede Dir nur das nicht ein,“ fiel ihr die Generalin mit mühsam unterdrückter Ungeduld ins Wort. „Wir sind damals kaum acht Wochen in Guntershausen gewesen, dann wurde Dein Vater an die Grenze commandirt, Du hast Lothar in zehn, zwölf Jahren nicht mehr gesehen, und als ihr dann länger zusammen waret, ist’s ein ganz kühles Verhältniß geblieben.“

„Bitte, liebe Mutter,“ rief Eva eifrig; „kaum sechs Jahr später war’s, als wir uns wiedersahen. Onkel Hans war plötzlich gestorben; der Vater ging nach Guntershausen, um Tante Ernestine behilflich zu sein, und nahm mich mit. Es war im tiefsten Winter. Lothars Schwestern waren gleich nach dem Tode des Onkels in eine Pension gebracht, er und Werner waren längst auf dem Gymnasium; Papa und Tante waren den ganzen Tag in Geschäfte verlieft, an Spazierengehen konnte ich bei den anhaltenden Schneestürmen nicht denken, so saß ich Tage lang allein in der Bibliothek und durchstöberte die verstaubten Regale.“

(Fortsetzung folgt.)




Heldentod Florian Geyer’s und der schwarzen Schaar.[1]

Eine alte Volksweissagung, die seit längeren Jahren in Deutschland umlief, hieß: Wer im 1523sten Jahre nicht stirbt, im 1524sten nicht im Wasser verdirbt und 1525 nicht wird erschlagen, der mag wohl von Wundern sagen. – Und diese Weissagung erfüllte sich.

Allenthalb durch ganz Deutschland schlug im Frühjahr 1525 die Flamme der Empörung in die Höhe, und die tausendfach gedrückten Bauern griffen zu ihrer alten Wehr und Waffe, um „Adel und Pfaffen abzuthun“ und „die göttliche Gerechtigkeit zu handhaben“, d. h. „die Urrechte des Menschen und Christen, wie sie das neue Testament feststellt, mit Gewalt einzuführen und die Welt nach den Anforderungen und Einrichtungen des Christenthums zu verändern.“ In einzelnen Haufen, die oft vier- bis sechstausend Mann und noch mehr zählten, traten sie unter selbstgewählten Hauptleuten zusammen und begannen fast gleichzeitig, wahrscheinlich auf allgemeine Verabredung, den Kampf. Je nach ihren Standquartieren oder nach der Hauptmasse, welche die Haufen bildeten, führten sie ihre Namen; so der oberallgäuische Haufen, welcher alle Bauernschaften des obern Allgäus umfaßte, der Seehaufen am Bodensee, der unterallgäuer im untern Allgäu, der Baltringer Haufen im Ried bei Baltringen, der Gaildorfer Haufen, nach Gaildorf, der kleinen Residenz der Schenken von Limpurg benannt, der helle (ganze, vereinigte) Haufen Odenwalds und Neckarthals, der Altdorfer, Fuldaische, Orenbacher Haufen u. a. m. Der letztgenannte war, zweitausend Mann stark, Ende März 1525 aus dem Lager von Reichardsrode seitwärts nach dem Taubergrund gezogen, hatte sich hier mit den Odenwäldern vereinigt, verschiedene andere Haufen an sich gezogen, und führte fortan den Namen des „evangelischen Heeres“. –

„Als diese Orenbacher Bauernhaufen nach dem Schüpfer Grunde, einem Thale des Odenwalden, zogen“ – so berichtet Zimmermann, dem wir jetzt wörtlich folgen – „fanden sie unterwegs einen tüchtigen Anführer. Sie kamen nicht weit von der starken Burg Giebelstadt vorüber, die dem edlen Geschlechte der Geyer von Geyersberg gehörte. Einer dieses Geschlechts legte, wie einst Graf Rudolph von Werdenberg unter den Appenzellern, den Rittermantel ab

  1. So gewaltig der Eindruck war, welchen Wilhelm Zimmermann’s Geschichte des großen Bauernkriegs bei ihrem ersten Erscheinen zu Anfang der vierziger Jahre in weiten Kreisen hinterließ, so tief und noch viel weiter greifend scheint die Wirkung zu sein, welche die neueste Umarbeitung dieses Werkes hervorrief. Sie zeichnet sich durch eine genaue, sorgfältig gesichtete Zusammenstellung der Thatsachen, durch ein reiches historisches Material und besonders durch eine künstlerische, lebendig spannende Anordnung und Darstellung so sehr aus, daß dieses Geschichtswerk in der ganzen bändereichen historischen Literatur Deutschlands fast ohne Gleichen dasteht. – In dem großen historischen Rahmen dieses Werkes finden wir eine Menge einzelner lebensvoller Bilder. Die geschichtlichen Personen treten mit einer dramatischen Gegenständlichkeit auf. Ihre Charakteristiken sind mit Meisterhand entworfen, wie denn überhaupt das Buch trotz seiner objectiven geschichtlichen Haltung spannender und unterhaltender als ein Roman zu lesen ist.

    Gern führt auch die Gartenlaube ihren Lesern ein Paar Scenen aus diesem Geschichtswerke vor. Wir greifen sie aus dem Zusammenhang heraus, in welchem Alles in diesem Buche innigst verflochten steht, Eins das Andere beleuchtend und erklärend. Aber auch außer dem Zusammenhange werden diese Scenen die Eigenthümlichkeit dieses Geschichtschreibers und seines Buches, aus welchem wir meist wörtlich mittheilen, vor Augen stellen.

    Wir wählen zunächst aus dem zweiten Bande den Heldentod Florian Geyer’s und seiner schwarzen Schaar.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_084.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)