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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Im Jahr 1778 kam er in Paris an. Anfangs fand er nur geringe Ermuthigung und er sah, daß die Leute geneigter waren, über ihn zu lachen, als ihn in Schutz zu nehmen. Er war jedoch ein Mann, der großes Selbstvertrauen und eine Ausdauer besaß, die durch keinerlei Schwierigkeiten besiegt werden konnte. Demgemäß miethete er eine prachtvolle Wohnung und gestattete den Zutritt in dieselbe Allen, welche mit der neuen Naturkraft einen Versuch zu machen wünschten. Herr d’Eslon, ein sehr berühmter Arzt, erkannte Mesmer’s Theorie als richtig an, und von dieser Zeit an ward der thierische Magnetismus oder, wie Manche ihn nannten, der Mesmerismus in Paris Mode. Die Frauen namentlich schwärmten dafür und verbreiteten den Ruf der neuen Entdeckung in allen Kreisen der Gesellschaft. Mesmer ward der Löwe des Tages, und Vornehm und Gering, Reich und Arm, Leichtgläubige und Zweifler – alle eilten, sich von der Macht dieses gewaltigen Zauberers zu überzeugen.

Mesmer, der so gut als irgend Jemand den Einfluß der Phantasie kannte, beschloß, daß in dieser Beziehung es an nichts fehlen sollte, was die Wirkung des magnetischen Zaubers erhöhen könnte. In ganz Paris gab es kein Haus, welches so wunderschön eingerichtet und ausgestattet war wie das Mesmer’s. Kostbare Glasmalereien ließen ein gedämpftes, geheimnißvolles Licht in die geräumigen Salons fallen, die mit Spiegeln beinahe bedeckt waren. Orangeblüthen erfüllten die Corridors mit Wohlgeruch, Weihrauch dampfte in antiken Vasen auf den Kaminsimsen, Aeolsharfen seufzten melodische Musik aus fernen Zimmern, während zuweilen eine sanfte weibliche Stimme von oben oder von unten leise das geheimnißvolle Schweigen unterbrach, welches in dem Hause herrschte und Allen, die es besuchten, zur strengen Pflicht gemacht ward. Die magnetische Operation selbst fand in folgender Weise statt.

In die Mitte des Salons ward ein ovales Gefäß gesetzt, dessen längster Diameter ungefähr vier Fuß und dessen Tiefe einen Fuß betrug. In dieses Gefäß wurden eine Anzahl mir magnetisirtem Wasser gefüllte, gut mit Korken verschlossene Flaschen strahlenförmig und so gelegt, daß die Hälfe nach außen gerichtet waren. Hierauf ward Wasser in das Gefäß gegossen, sodaß es die Flaschen eben nur bedeckte, und dann und wann Eisenfeilspäne hineingeworfen, um die magnetische Wirkung zu erhöhen. Sodann ward das Gefäß mit einem eisernen Deckel verschlossen, in welchem eine Menge Löcher angebracht waren. Aus jedem dieser Löcher ragte ein langer beweglicher eiserner Stab hervor, mit dem die Patienten den kranken Theil ihres Körpers berühren sollten. Um diesen Apparat herum saßen die Patienten, hielten einander bei der Hand und drückten ihre Kniee so fest als möglich an einander an, um das Ueberströmen des magnetischen Fluidums von Einem zu dem Andern zu erleichtern. Dann traten die Magnetiseurgehülfen ein, meistens starke, schöne junge Männer, um aus ihren Fingerspitzen neue Ströme des wunderbaren Fluidums in die Patienten zu ergießen. Sie faßten den Patienten zwischen die Kniee, rieben ihm sanft das Rückgrat und stierten ihn unverwandt an, um ihn durch das Auge zu magnetisiren. Während dieser ganzen Zeit herrschte unverbrüchliches Schweigen, mit Ausnahme einiger raschen undeutlichen Gänge auf einem fernen Piano oder der melodischen Stimme einer verborgenen Sängerin, die sich in langen Zwischenräumen hören ließ. Allmählich begannen die Wangen der Damen zu glühen, ihre Phantasie erhitzte sich immer mehr und eine nach der andern verfiel in Convulsionen. Einige schluchzten und zerrauften sich das Haar, andere lachten, bis ihnen die Thränen aus den Augen flossen, während noch andere schrieen, heulten und kreischten, bis sie die Besinnung ganz verloren.

Dies war die Krisis des Deliriums. Mitten in derselben erschien die Hauptperson – Mesmer selbst. Wie Prospero schwang er seinen Stab, um neue Wunder zu wirken. In ein langes Gewand von violetter, reich mit goldenen Blumen gestickter Seide gehüllt, trug er in seiner Hand einen weißen magnetischen Stab und kam mit würdevollem Blick wie ein morgenländischer Kalif feierlich in das Zimmer hereingeschritten. Die, welche noch nicht ganz ihrer Besinnung beraubt waren, bezwang er durch sein Auge, und ihre Convulsionen wurden minder heftig. Den Besinnungslosen strich er mit den Händen über die Augenbrauen und das Rückgrat herab, beschrieb mit feinem langen weißen Stabe allerhand Figuren auf ihrer Brust, und sie kamen wieder zur Besinnung. Sie wurden ruhig, erkannten seine Macht an und sagten, sie fühlten Ströme von kaltem oder brennendem Dunste durch ihren Körper gehen, je nachdem er seinen Stab oder seine Finger vor ihnen bewegte.

Die Sensation, welche Mesmer’s Experimente in Paris hervorriefen, war ungeheuer. Kein theologischer Streit ward in den früheren Jahrhunderten der katholischen Kirche je mit größerer Erbitterung geführt. Seine Gegner leugneten die Entdeckung einer bis dahin unbekannten Naturkraft. Einige nannten ihn einen Charlatan, Andere einen Narren und wieder Andere, wie z. B. der Abbé Fiard, einen Menschen, der sich dem Teufel verkauft habe.

Seine Freunde waren in ihrem Lobe eben so ungestüm, als seine Feinde in ihrem Tadel. Paris ward mit Flugschriften über dieses Thema überschwemmt, von welchen eben so viele die neue Lehre angriffen als vertheidigten. Bei Hofe sprach die Königin selbst sich zu Gunsten derselben aus, und in der Gesellschaft war von nichts Anderem die Rede.

Auf d’Eslon’s Rath beantragte Mesmer eine Prüfung seiner Theorie durch die medicinische Facultät. Er schlug vor, man solle vierundzwanzig Patienten auswählen, von welchen er zwölf magnetisch behandeln wollte, während die andern zwölf von der Facultät nach den alten sanctionirten Methoden behandelt werden sollten. Ebenso verlangte er, daß die Regierung, um Streitigkeiten vorzubeugen, gewisse Personen bestimmen solle, die nicht Aerzte wären und den Experimenten beizuwohnen hätten, und daß der Zweck der Untersuchung nicht sei, zu erfahren, wie diese Wirkungen hervorgebracht würden, sondern ob sie wirklich die Heilung irgend einer Krankheit zu Stande brächten. Die Facultät erhob jedoch gegen die Beschränkung der Untersuchung auf diese Weise Einspruch, und der Vorschlag fiel somit zu Boden.

Mesmer schrieb nun an die Königin Marie Antoinette, um durch ihren Einfluß den Schutz der Regierung zu erlangen. Er wünschte, daß man ihm ein Schloß mit dazu gehörigen Ländereien schenke und ein reichliches jährliches Einkommen aussetze, damit es ihm dadurch möglich gemacht würde, seine Experimente mit Muße und unbehelligt durch die Verfolgung seiner Feinde fortzusetzen. Dabei deutete er darauf hin, daß es die Pflicht der Regierung sei, Männer der Wissenschaft zu unterstützen, und gab die Befürchtung zu erkennen, daß er, wenn er keine weitere Ermuthigung fände, genöthigt sein würde, seine große Entdeckung in ein anderes Land zu tragen, welches bereitwilliger sei, ihn nach Verdienst zu würdigen.

Die Regierung bot ihm eine Pension von zwanzig tausend Francs und den St. Michaelsorden, wenn er wirklich eine neue Entdeckung in der Heilkunde gemacht hätte und sie den vom König hierzu bestimmten Aerzten mittheilte. Dieser letztere Theil des Vorschlags war Mesmer nicht angenehm. Er fürchtete den ungünstigen Bericht der königlichen Aerzte und erklärte, indem er die Unterhandlung abbrach, daß es ihm nicht auf’s Geld, sondern blos darauf ankomme, seine Entdeckung sofort von der Regierung anerkannt zu sehen. Hierauf zog er sich mißmuthig und unzufrieden nach Spaa zurück, unter dem Vorwande, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit den dortigen Brunnen trinken zu wollen.

Nachdem er Paris verlassen, forderte die medicinische Facultät den Dr. d’Eslon zum dritten und letzten Mal auf, der Theorie vom animalischen Magnetismus zu entsagen, oder gewärtig zu sein, aus dieser Corporation ausgestoßen zu werden. Weit entfernt, diesem Verlangen nachzukommen, erklärte d’Eslon vielmehr, er habe neue Geheimnisse entdeckt und verlange genauere Untersuchung. Demgemäß ward am 12. März 1784 eine königliche Commission der medicinischen Facultät bestimmt und ihr eine zweite Commission der Akademie der Wissenschaften beigegeben, um die betreffenden Phänomene zu erforschen und darüber Bericht zu erstatten.

Die erste Commission war aus den berühmtesten Aerzten von Paris zusammengesetzt, während unter den die zweite Commission bildenden ausgezeichneten Männern Benjamin Franklin, Lavoisier und Bailly, der Geschichtsschreiber der Astronomie, sich befanden. Mesmer ward in aller Form eingeladen, vor dieser Corporation zu erscheinen, verschob aber seine Ankunft bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande von einem Tage zum andern. D’Eslon war ehrlicher, denn er glaubte wirklich an den thierischen Magnetismus, was bei Mesmer wahrscheinlich gar nicht der Fall war, wohnte auch den Sitzungen regelmäßig bei und machte Experimente.

Bailly hat die Scenen, deren Augenzeuge er im Laufe dieser

Untersuchung war, auf folgende Weise beschrieben: „Die in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_755.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)