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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

gehörende Krankheiten heilte. Es dauerte nicht lange, so fand der Wunderarzt zahlreiche Nachahmer. Sein Ruf verbreitete sich immer weiter, und auf diese Weise ward der erste Keim zu jenem Irrglauben gelegt, der sehr bald Wurzel faßte und im Laufe der Zeit geradezu unausrottbar geworden ist. Dies muß trotz des Leugnens moderner Verehrer und Ausüber des Magnetismus als der eigentliche Ursprung desselben betrachtet werden, denn wir finden, daß schon vor Mesmer eine ununterbrochene Reihe von mineralischen Magnetiseuren aufeinander folgt, bis Mesmer selbst erschien und dem Schwindel eine neue Gestalt gab.

Paracelsus rühmte sich, daß er im Stande sei, Krankheiten mittelst des Magnets aus dem menschlichen Körper in die Erde zu verpflanzen. Er sagte, es gäbe sechs Methoden, auf welche dies bewirkt werden könne. Eine davon wird als Probe vollkommen hinreichend sein.

„Wenn Jemand,“ sagt er, „an einer örtlichen oder allgemeinen Krankheit leidet, so versuche man das folgende Mittel. Man nehme einen mit Mumiensaft getränkten und mit fetter Erde gemischten Magnet. In diese Erde säe man einige Samenkörner, die eine gewisse Gleichartigkeit mit der Krankheit haben. Dann lasse man diese gut durchgesiebte und mit Mumiensaft gemischte Erde in ein irdenes Gefäß bringen und den darein gesagten Samen täglich mit einem Absud begießen, in welchem das kranke Glied oder der Körper gewaschen worden ist. Auf diese Weise wird die Krankheit von dem menschlichen Körper auf den in der Erde befindlichen Samen übergetragen. Nachdem dies geschehen, verpflanze man den Samen aus dem irdenen Gefäß in den Boden und warte, bis er Halme oder Blätter zu treiben beginnt. So wie diese wachsen, wird die Krankheit sich vermindern und, wenn sie ihre volle Größe erreicht haben, ganz und gar verschwinden.“

Da in dem vorstehenden Recept von Mumiensaft die Rede ist, so wird es angemessen sein, zur Belehrung des Lesers einige Worte hierüber hinzuzufügen.

Es gab Mumiensäfte von verschiedenen Arten, die alle bei magnetischen Medicinen häufig in Anwendung kamen. Paracelsus zählt sechs Arten von Mumiensäften auf. Die ersten vier, welche sich blos in der Mischung, deren sich verschiedene Völker zur Bewahrung ihrer Todten bedienten, von einander unterscheiden, sind die egyptische, die arabische, die pisasphaltische und die libysche. Der fünfte, ganz besonders kräftige Mumiensaft ward aus gehängten Verbrechern bereitet, „denn bei diesen,“ sagt Paracelsus, findet eine langsame Austrocknung statt, welche die wässerige Feuchtigkeit entfernt, ohne die ölige und geistige zu zerstören, die von den Himmelskörpern genährt und durch den Impuls der himmlischen Geister fortwährend gekräftigt wird, weshalb man ihn mit Recht den himmlischen Mumiensaft nennen kann.“ – Die sechste Art Mumiensaft ward von „aus dem lebendigen Körper ausstrahlenden Atomen oder geistigen Ausflüssen“ bereitet, obschon wir in dieser Beziehung und namentlich hinsichtlich der Art und Weise, auf welche diese Atome aufgefangen worden, aus dem, was der große Wunderdoctor darüber sagt, nicht haben klug werden können.

Kircher, der bekannte gelehrte Jesuit, durch dessen Streit mit den Alchymisten viele Betrügereien derselben entlarvt wurden, glaubte dennoch fest an die medicinische Wirksamkeit des Magnets. Als zum Beispiel ein mit einem Bruche behafteter Patient bei ihm Hülfe suchte, befahl er dem Manne, einen kleinen pulverisirten Magnet zu verschlucken, während er gleichzeitig einen aus Eisenfeilspänen bereiteten Umschlag auf die äußerliche Geschwulst legte. Er erwartete, daß auf diese Weise der Magnet, wenn er inwendig an die entsprechende Stelle käme, das Eisen und mit diesem die Geschwulst nach innen ziehen und rasch und ohne Schmerzen beseitigen würde.

So wie diese neue Theorie des Magnetismus Verbreitung gewann, fand man, daß mit irgend einer metallischen Substanz beigebrachte Wunden durch den Magnet geheilt werden könnten. Im Laufe der Zeit ging dieser Wahn so weit, daß man glaubte, man brauche ein Schwert nur zu magnetisiren, um jede von diesem Schwert herrührende Verletzung zu heilen.

Dies war der Ursprung der berühmten „Waffensalbe“, welche gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts so viel Aufmerksamkeit erregte. Zur Heilung aller von einer scharfen Waffe herrührenden Wunde, ausgenommen wenn das Herz, das Gehirn oder die Arterien verletzt waren, gab Paracelsus folgendes Recept:

„Man nehme Moos vom Schädel eines am Galgen hängen gebliebenen Diebes, echten Mumiensaft, noch warmes Menschenblut – von jedem eine Unze, Menschenfett zwei Unzen, Leinöl, Terpentin und armenischen Bolus – von jedem zwei Drachmen. Alles dies mische man in einer Reibschale gut durcheinander und verwahre die Salbe in einem länglichen engen Gefäß.“

Mit dieser Salbe sollte die Waffe, nachdem sie in Blut von, der Wunde getaucht worden, sorgfältig eingerieben und dann an einem kühlen Orte verwahrt werden. Mittlerweile sollte die Wunde gut mit reinem Wasser ausgewaschen, mit einem säubern weichen Stück Leinwand verbunden und einmal täglich geöffnet werden, um angesammelten Eiter oder andere Unreinigkeiten zu entfernen. Daß die Behandlung von gutem Erfolg begleitet war, läßt sich nicht bezweifeln, denn unsere geschicktesten Wundärzte befolgen noch gegenwärtig genau dieselbe Methode, blos mit dem Unterschied, daß sie das Bestreichen der Waffe mit Salbe unterlassen,

Uebrigens hielt man es nicht immer für nothwendig, die Waffensalbe anzuwenden, um Heilung einer Wunde zu bewirken. Man brauchte, glaubte man, das Schwert blos mit der Hand zu magnetisiren – es ist dies das erste Aufdämmern der Theorie von dem animalischen Magnetismus – um jeden durch diese Waffe verursachten Schmerz zu heben. Man behauptete, wenn man das Schwert mit den Fingern aufwärts striche, so hätte der Verwundete sofortige Linderung; striche man es dagegen abwärts, so empfände er unerträglichen Schmerz.

Zu derselben Zeit hegte man einen anderweiten sehr eigenthümlichen Begriff von der Macht und den Eigenschaften des Magnetismus. Man glaubte nämlich, es könne ein sympathetisches Alphabet auf das Fleisch gemacht werden, mittelst welches Alphabetes die betreffenden Personen, obschon Tausende von Meilen weit von einander entfernt, mit einander correspondiren und sich alle ihre Gedanken mit der Schnelligkeit der Willenskraft mittheilen könnten.

Zu diesem Zweck ward zwei Personen jeder ein Stück Fleisch vom Arme geschnitten und diese Stücken in noch warmem und blutendem Zustande eins gegen das andere vertauscht. Das auf diese Weise abgetrennte Stück wuchs an dem neuen Arm, auf den es gebracht worden, fest, behielt aber eine so enge Sympathie mit seinem ursprünglichen Gliede, daß sein früherer Besitzer jede Berührung empfand, welche dem früher ihm gehörigen Fleische widerfuhr. Auf diese vertauschten Fleischstücken wurden nun, nachdem sie festgewachsen waren, die Buchstaben des Alphabets tättowirt, so daß, wenn eine Mittheilung gemacht werden sollte, eine oder die andere der beiden Personen, wenn auch das unermeßliche Weltmeer zwischen ihnen wogte, blos ihren Arm mit einer magnetischen Nadel zu berühren brauchte, und der Freund wußte sofort, daß der Telegraph thätig war. Jeder Buchstabe, den er auf seinem eigenen Arme berührte, erzeugte auf der Stelle desselben Buchstabens an dem Arme seines Correspondenten einen augenblicklichen Schmerz.

Viele gelehrte Männer in verschiedenen Theilen Europa’s lenkten ihre Aufmerksamkeit auf das Studium des Magnets, denn sie glaubten, daß er wirklich in vielen Krankheiten mit guter Wirkung angewendet werden könne. Der Magnet, sagte man, zieht Eisen an; Eisen findet sich überall, und folglich steht auch Alles unter dem Einfluß des Magnetismus. Es ist blos eine Modification des allgemeinen Princips, welches unter den Menschen Eintracht oder Zwietracht erzeugt. Es ist dasselbe Agens, in welchem Sympathie, Antipathie und die Leidenschaften ihren Entstehungsgrund haben. Von den Gelehrten, welche sich durch ihren Glauben an den Magnetismus hervorthaten, verdienen Sebastian Würdig und William Maxwell besondere Erwähnung. Würdig war Professor der Medicin an der Universität Rostock und schrieb 1673 eine Abhandlung unter dem Titel „die neue Medicin der Geister“, worin der Verfasser behauptete, daß ein magnetischer Einfluß nicht blos zwischen den himmlischen und irdischen Körpern, sondern zwischen allen lebenden Wesen stattfände. Die ganze Welt, sagte er, stünde unter dem Einfluß des Magnetismus – das Leben werde durch den Magnetismus erhalten und der Tod sei die Folge des Magnetismus (!). – Maxwell, der andere Enthusiast, war ein eifriger Schüler des großen Paracelsus selbst und rühmte sich, er habe das Dunkel

aufgehellt, in welches nur zu viele der wunderwirkenden Recepte dieses großen Philosophen gehüllt gewesen seien. Seine Werke wurden im Jahre 1679 zu Frankfurt gedruckt. Aus der nachfolgenden daraus entlehnten Stelle scheint hervorzugehen, daß er den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_738.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)