Seite:Die Gartenlaube (1859) 710.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ich glaube einen anständigen Kaufpreis erlegt zu haben,“ versetzte er. „Darauf jedoch kommt es jetzt nicht an, ich wünsche vorläufig nur Ihr Angebot zu erfahren.“

Simonides nahm die Miene eines Menschen an, der angestrengt mit Zahlen beschäftigt ist. Er ließ nochmals Stein für Stein durch seine Finger gleiten und legte sie in ein Häuflein zusammen, das einen wunderbar blitzenden Anblick durch das verschiedenartige Feuer der schönen Juwelen gewährte. Nach einigen Minuten nannte er die Summe.

„Nein, Herr Simonides,“ erwiderte Graf von Weckhausen, „dafür sind sie mir nicht feil, ich glaubte wenigstens das Dreifache von Ihnen zu erhalten. Sie entschuldigen, daß ich Sie bemüht habe. Vielleicht ist ein anderer Ihrer Collegen weniger scrupulös oder“ – fügte er mit feinem Lächeln hinzu – „weniger vorsichtig.“ „Ein wirklicher Kenner, Herr Graf, kann Ihnen nicht mehr bieten, ohne sich selbst in Schaden zu bringen,“ versetzte Simonides. „Sie wollen bedenken, daß wir Juweliere Handelsleute sind und daß sich in diesen zwar gesuchten, aber im Ganzen doch immer zu kostspieligen Artikeln, um einen großen und schnellen Absatz zu erzielen, ein sehr bedeutendes Capital verbirgt, das selten die gewünschten Zinsen trägt.“

„Wohl möglich, mein Herr,“ gab der Graf etwas pikirt zur Antwort, „für mich kann dies jedenfalls kein Grund sein, mit Ihnen abzuschließen. Es thut mir leid, denn ich hätte meine Frau gern zu ihrem Geburtstage mit einem modernen Collier beschenkt. Sie liebt Juwelen über Alles, und da sie zur Erhöhung ihrer ganzen Erscheinung nicht wenig beitragen, so finde ich, daß sie recht thut, sich damit zu schmücken. Man muß das Leben genießen, so lange man jung ist und noch Gefallen am Genüsse findet,“

„Legen Sie das Fehlende zu, Herr Graf,“ entgegnete Simonides, „oder – um Ihnen einen anderen Vorschlag zu machen – stehen Sie mir das alterthümliche Kästchen mit dem noch alterthümlicheren Schmucke ab, das mir der hochwürdige Herr Domcapitular vor einiger Zeit zeigte.“

„Das?“ sagte Aurelio von Weckhausen. „Nimmermehr! Jener Schmuck, mit dem es eine eigne Bewandtniß hat, soll in meiner Familie bleiben. Ich habe ihn zu theuer erkauft!“

„Ganz wie Sie wollen, Herr Graf,“ sprach der Juwelier. „Ich besitze keine Macht, Sie zu zwingen; sollten Sie aber vielleicht eines Tages anders darüber denken, was ja auch möglich ist, so bitte ich, sich meiner geneigtest erinnern zu wollen.“

Der Graf antwortete nur durch eine Verbeugung, ließ die auf dem Tische liegenden Steine einzeln wieder in die Börse gleiten und entfernte sich verstimmt, von dem höflichen Juwelier bis an die Hausthür geleitet. Dieser blickte dem Fortgehenden nach, bis dessen Gestalt sich im Schatten der Häuser verlor.



4. Eine dunkle That.

Aurelio von Weckhausen kehrte nicht in seine Wohnung zurück, obwohl er Gesellschaft erwartete und sich bei dem Juwelier länger aufgehalten hatte, als es seine Absicht gewesen war. Als die Stadt hinter ihm lag, schlug er einen Seitenweg ein, der durch ein kleines Wäldchen nach dem schiffbaren Flusse führte, welcher auf der Ostseite die Stadt berührte. In diesem Wäldchen hatte man ein früheres Försterhaus zu einem Vergnügungslocal eingerichtet. Im Sommer wurden hier unter den rauschenden Laubkronen alter Bäume Concerte gegeben, im Herbst und Winter boten geräumige Zimmer dem Publicum Gelegenheit zu geselligen Zusammenkünften. An solchen fehlte es nie, da die ehemalige Försterei kaum zwanzig Minuten von der Stadt entfernt lag.

Nach dieser anmuthigen Einsiedelei richtete Graf von Weckhausen seine Schritte. Der Pachter derselben stand unter der Thür und unterhielt sich mit einem Aurelio unbekannten Manne. Höflich grüßend trat er beim Gewahren des Grafen zur Seite. Dieser erwiderte den Gruß eben so höflich, indem er die Frage an den Pachter richtete:

„Haben Sie die Equipage des Herrn Domcapitulars vorüberfahren sehen?“

Der Pachter verneinte, worauf Aurelio in das Haus trat mit der Bemerkung, daß er in diesem Falle einige Minuten verweilen müsse, weil sie ohne Zweifel alsbald erscheinen werde.

Während nun der Pachter sein Gespräch mit dem fremden Herrn wieder aufnahm, öffnete der Graf die Thür zum ersten Gesellschaftszimmer und musterte die wenigen darin Anwesenden. An der hintersten Ecke, von den Uebrigen getrennt, saß ein Landmann von stark bäurischem Aussehen, der aufmerksam ein Zeitungsblatt las. Diesem gegenüber nahm Aurelio Platz, zog sein Taschenbuch, entnahm demselben eine kleine Karte, die seinen Namen trug, machte unter diesem ein paar Zeichen mit Bleistift und schob sie dem Lesenden zu. Dieser schien bis jetzt weder den neuen Ankömmling noch dessen Bewegungen bemerkt zu haben. Er las ruhig fort in der Zeitung und erst nach einer Weile legte er sie auf den Tisch. Dabei gewahrte er das kleine weiße Kärtchen. Er hob es auf, betrachtete es mit völlig ruhiger Miene und heftete dann seine scharfen schwarzen Augen fest auf den Grafen.

„Es ist unerläßlich,“ sprach dieser so leise, daß es nur der ihm gegenübersitzende Landmann hören konnte. „Der Juwelier will nicht.“ Der Landmann steckte jetzt die Karte zu sich, ergriff noch einmal die Zeitung, um darin zu blättern, stand dann auf, ohne den Grafen weiter eines Blickes zu würdigen, ging mit großen Schritten und in echt bäuerischer Haltung der Thür zu und ließ diese hinter sich recht vernehmlich in’s Schloß fallen. Draußen sprach er mit dem Pachter, der ihm lachend guten Abend wünschte und um baldige Wiederholung seines Besuches bat. Gleich darauf rollte ein Wagen an dem Hause vorüber, in welchem der Pachter die Kutsche des Domcapitulars vermuthete, weshalb er den Grafen laut bei Namen rief, der diesen Ruf auch beachtete und ihm unverweilt folgte. Bedauernd sagte er zu dem heraustretenden Aurelio:

„Bitte mich gnädigst zu entschuldigen, Herr Graf, ich habe mich geirrt. Es war die Postkutsche, die ja um diese Zeit immer retour fährt.“

„Nun, es thut nichts,“ erwiderte Weckhausen leichthin. „Ich vermuthe, der gute Domcapitular hat eine kleine Spazierfahrt gemacht, ehe er bei seiner Nichte absteigt. Um so mehr muß ich eilen. Auf Wiedersehen.“ Unter vielen Bücklingen des höflichen Pachters schlug er die Richtung des Wagens ein, erreichte das Ende des kleinen Wäldchens und sah von Weitem über Hecken und Wiesen die Lichter seines glänzenden Landsitzes einladend schimmern. Rasch eilte er in seine Appartements, kleidete sich um und betrat den traulichen Salon, wo seine junge, schöne Gattin kleinere, vertrauliche Cirkel zu sehen pflegte. Aurelio entschuldigte sich anmuthig, daß er später als seine Gäste erscheine, und suchte durch Liebenswürdigkeit diesen kleinen Verstoß wieder gut zu machen.

Der Domcapitular war kurz vor dem Grafen angekommen, hatte aber sämmtliche Anwesende sogleich durch eine Mittheilung zu fesseln gewußt, über die jeder Einzelne die Abwesenheit des Hausherrn vergaß.

„Hast Du auch schon davon gehört, bester Aurelio?“ fragte ihn Rosaura.

„Wovon, mein Herz?“ lautete die Gegenfrage des Grafen.

„Von der höchst romantischen Geschichte, mit welcher uns der Oheim soeben unterhielt, und die so fabelhaft klingt, daß wir uns Alle noch nicht entschließen können, sie für wahr zu halten.“

„Ich gestehe meine Unwissenheit,“ erwiderte Aurelio, „da ich aber sehe, daß die Erzählung pikant sein muß, möchte ich den Herrn Oheim bitten, dieselbe auch mir nicht vorzuenthalten.“

„In den nächsten Tagen schon wird sie in den weitesten Kreisen bekannt sein,“ versetzte der Domcapitular. „Allerdings klingt das Geschehene unwahrscheinlich, es kann aber doch nicht eine bloße Erfindung müßiger Köpfe sein, denn ich habe, was ich sagte, aus dem Munde des geheimen Obergerichtsrathes, dem man die Sache amtlich communicirt hat.“

„Ist ein Verbrechen geschehen?“ warf der Graf ein.

„Die Vermuthung eines verbrecherischen Anschlages liegt wenigstens nahe, obwohl das jedenfalls Geschehene auch auf Täuschung beruhen kann,“ entgegnete der Domcapitular.

Ein Bedienter in geschmackvoller Livree reichte Thee und Gebäck herum, die kleine ausgesuchte Gesellschaft gruppirte sich im Halbkreise um den Domcapitular, und dieser konnte der abermaligen Bitte des Grafen nicht widerstehen.

„Eine fürstliche Familie, eine der ältesten auf den Thronen Europa’s, deren Name jedoch verschwiegen bleiben soll,“ begann er, „ist von einem schweren Unglück heimgesucht worden. Vor längerer Zeit schon – wahrscheinlich vor mehr als Jahresfrist – befand sich diese Familie auf Reisen. Ihr Gefolge war zahlreich, da der Glanz des Namens an den Höfen, die man besuchte, aufrecht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_710.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2022)