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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Bilder vom Thüringer Walde.
Von Berthold Sigismund.

Die landschaftliche Natur unsres Gebirges, die manches Große und so viel Lieblichschönes darbietet, ist in der Fremde weit mehr bekannt und gewürdigt, als der schlichte biedere Menschenschlag, der auf diesen Bergen haust. Gar viele Wanderer, die von Berghäuptern, Felsschluchten, Wasserfällen und Waldriesen des thüringer Gebirges mit Entzücken reden, haben den Bewohnern desselben kaum einen flüchtigen Blick geschenkt. Und doch gehört es zu den schönsten Freuden einer Reise, die mannichfaltigen Lebensformen unsrer Brüder zu beobachten und sich in ihr Dasein zu versetzen, namentlich aber sich auf einige Stunden in die Lage und Weltanschauung schlichter, armer Menschen zu träumen. Das Loos der glücklichen Armuth erscheint wirklich zuweilen so reizend, daß man wenigstens auf einige Zeit aus der eignen Haut fahren und sich in eine fremde stecken möchte.

Die ursprünglichsten Formen des thüringer Lebens, die ihre alte Art am treusten bewahrt haben, finden wir mitten im Walde. Es sind die Hirten, Holzhauer, Köhler, Kustelsteiger, Harzscharrer, Rußbrenner, Sägemüller und Steinbrecher. In der Hoffnung, daß es dem geneigten Leser nicht unlieb sein werde, sich auf ein Viertelstündchen in die Lage solcher „Waldleute“ zu versetzen, und daß es Lustreisenden, die das Gebirg besuchen, zur Anregung dienen könne, mit dieser vielfach übersehenen „Staffage“ der Landschaft persönliche Bekanntschaft zu machen, will ich versuchen, einige derselben mit kurzen Andeutungen zu schildern. Den Vortritt mögen haben

1. die Holzhauer,

als die Waldleute, die zuerst im wilden Urforste sich angesiedelt und die ursprüngliche Art ihrer Voreltern, der thüringer Pioniere, am treusten bewahrt haben. Mancher Ort des höhern Gebirgs verdankt ihren Niederlassungen seinen Ursprung; einzelne Dörfchen bestehen noch jetzt zum größten Theile oder fast ausschließlich aus ihren Hütten, einstöckigen, kleinfenstrigen Gebäuden mit grauen Schindeldächern, an deren Außenwand zahlreiche Bauer mit Kreuzschnäbeln hangen und auf deren Thürstufen flachsköpfige Kinder im lustigsten Morgenanzuge Gruppen bilden, bei deren Anblick man nicht selten denkt: Wie schade, daß Ludwig Richter dies Völkchen nicht sieht, um es mit seiner Meisterhand zu verewigen!

Im Sommer trifft man in den Holzmacherorten außer den kleinsten Kindern selten Jemand zu Hause. Die Hausfrau ist im Wald oder auf dem Felde. Das Feld besteht aber in einem meist kaum einige Schritte breiten, steinigen Aeckerchen, das sich dicht am Waldsaume an einem steilen Berghange hinzieht. Zugthiere sind da nicht zu brauchen. Der dürftige Boden wird mit der Hacke bearbeitet, der Dünger muß auf steilen Zickzackwegen in Körben hinaufgetragen werden. Die Frau säet, schneidet mit der Sichel und erntet. Viele Familien haben nur ein Kartoffelfeldchen, auch die wohlhabenden bauen kaum das Brod für einige Monate; wer seine Jahreskartoffeln baut, gilt für einen „gemachten Mann“.

So klein ihr Ackerland, so groß ist ihre Wiese und ihr Garten. Das ist nämlich der Wald. Er liefert den Ziegen Nadelstreu und Gras, er spendet der Küche die werthvollsten Gaben an Beeren und Pilzen. Ganze Körbe voll Schwämme werden für den Winter getrocknet; das ist unser Fleisch, sagen sie schelmisch.

Der Vater und die der Schule entwachsenen Söhne sind alle Tage, die Gott werden läßt, im Walde, es müßte denn der Schnee so lief liegen, daß gar nicht durchzukommen ist. Und das tritt im hohen Winter nicht selten ein; muß doch der menschenscheue Auerhahn zuweilen sein einsames Revier verlassen und tiefer gelegene Stellen suchen.

Sonst waren die Holzhauer leicht an ihrer Kleidung zu erkennen; sie trugen leinene „Waldkittel“ und eine Art kleinen Tyrolerhut, eine Tracht, der man auch noch jetzt häufig begegnet. Seit jedoch der Verkehr mit den großen Städten lebhafter geworden, trifft man bei diesen Waldleuten zuweilen wunderliche Costüme. Der eine trägt einen fadenscheinigen Modefrack, der endlich seine Schöße zur Ausbesserung hergibt und zur Jacke wird, ein Anderer kleidet sich gar in einen ausrangirten Waffenrock; die verschiedensten Waaren der Trödler wandern in die thüringer Wälder, um da zu verenden. So buntscheckig aber auch die Kleidung hin und wieder sein mag, an einem Stück ihrer Tracht sind die Holzhauer immer kenntlich. Das ist der Behälter, in dem sie ihre Lebensmittel in den Wald tragen; seine Beschaffenheit bezeichnet zugleich das Revier, dem die Einzelnen angehören. Die Einen tragen einen leinenen Quersack („Waldsack“) über die Schulter, Andere ein Reff mit einer Schachtel auf dem Rücken, noch Andere eine taschenähnliche Schachtel aus Fichtenrinde („Gutter“) an der Seite.

Die „Holzmacher“ sind hagere, aber kräftige Gestalten, die mit schweren Tritten bergan steigen, scheinbar langsam und träge, aber doch so fördersam, daß jeder sie begleitende Fremde, der sich keuchend den Schweiß trocknet, ihre Lungen bewundert. Die meisten sind kerngesund, wenn sie nicht einmal das Kreuzweh, die Folge des Bückens und der Durchnässung, plagt. Viele werden alt; ich sah ein Paar siebzigjährige Kumpane, die länger als fünfzig Jahre! mit einander gearbeitet, im Walde thätig; zu schweren Arbeiten waren sie freilich nicht mehr geeignet, der Förster wies ihnen die ihrer Kraft angemessene Arbeit des Durchforstens zu, bei der sie nur dünne Stämme aus den Dickichten zu hauen hatten. So mürrisch auch das wettergebräunte, meist kahlgeschorene Gesicht der Holzhauer aussehen mag, sie sind meist heitere Naturen und jedenfalls offenherzige, biedere, freundliche Leute. Sie lassen sich eine Versäumniß nicht verdrießen, um einen Fremden zu „berichten“, und so schweigsam sie bei der Arbeit sind, so gesprächig findet man sie, wenn sie ihre Rast halten.

„Wir sind die reichsten Leute,“ sagen sie scherzend, „denn wir haben zwei Häuser.“ Der beigefügte Holzschnitt stellt ihre Sommerwohnung dar. Die Lage derselben ist reizend. Der Waldschlag, auf dem sie steht, prangt im Purpurschmucke des Fingerhutes und Weidenröschens, neben manchem alten Fichtenstamm duften die herrlichsten Erdbeeren. In der Nähe ragt der Hochwald, in dem die Vögel so laut singen und schmettern, daß ihr Gesang das Knarren der Säge und den Hall der Aexte übertönt. Der Gesichtskreis ist von waldigen Bergen umschlossen, auf denen man hier und da eine Gruppe von Schindelhäusern erblickt. Die zeltartige, aus Pfählen gebaute und mit Fichtenrinde bekleidete Hütte hat vor vielen andern Bauten im Walde große Vorzüge. Freilich mit einer Vogelheerdhütte der wohlhabenden Städter, die wie ein Landhäuschen alle Bequemlichkeiten bietet, kann sie sich nicht messen, sie läßt aber die mit bloßem Reisig gedeckten und umwandeten Meisen- und Tränkenhütten weit hinter sich. Sie ist etwa zehn Fuß lang und an dem nach dem Bergfuße zugewandten Ende so hoch, daß man zur Noth darin stehen kann. Auf einzelnen Hütten, die ein Holzmacher errichtet, der Sinn für das Schöne hat, findet man als Giebelschmuck einen hirschgeweihähnlichen Baumast aufgepflanzt, der das Wahrzeichen des Forsthauses nachahmt.

Das Innere der Hütte entbehrt all’ der entbehrlichen Unentbehrlichkeiten der gewöhnlichen Wohnungen, des Tisches, der Bank, des Schrankes. Das Rindenzelt ist ja nur Schlafstätte. Auf einer Streu von Tannenreisig, das nicht so stachelt wie das struppige Fichtenreißig, lagern sich die müden Männer, zu deren Füßen in kühlen Nächten ein kleines Feuerchen brennt. Ein Holzklotz vertritt das Kopfkissen, eine Schicht Tannenzweige („Flieschen“) das Deckbett. In einer Sommernacht ruht es sich wirklich schön in einem solchen Rindenzelte, neben dem die Drossel ihr sanftes Schlummerlied flötet und eine Nachtlerche ihre süßen Weisen anstimmt. In regnerischen Nächten freilich läßt das Obdach Manches zu wünschen übrig. Dichter preisen oft das melodische Getrappel der Regentropfen auf ein dichtes Dach; aber wenn die Schauer durchdringen, das Feuer verlöschen und die Streu durchnässen, da muß man wetterfest sein und sich so gut in den Mantel der Geduld zu hüllen verstehen, wie diese kernigen Waldleute.

Wenn die Drossel den Morgen verkündet, erheben sich die Schläfer, die zu zwei bis sechs in einem Zelt übernachten, von ihrem grünen Lager, erfrischen sich an einer kühlen Quelle und bereiten am frisch entfachtem Feuer ihren Morgenimbiß.

So schlicht die Küche der Holzhauer, so hat sie doch durch die fortschreitende Civilisation manche Umänderung erfahren. Was war das Feueranmachen sonst für eine Plage! Man mußte trockene Fichtennadeln und Wurmmehl suchen, mit Schwamm anzünden und durch Schwenken und Blasen mühselig zur Flamme anfachen. Wie flott geht das jetzt mit dem Streichholze! „Wir sparen alle Tage eine Viertelstunde Zeit,“ sagen die dankbaren Arbeiter. Die Aelteren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_687.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)