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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 47. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Aus dem Gedenkbuche der Gartenlaube.

Deutschland – dieser urkräftige Volksorganismus mit seiner naturwüchsigen, wirthschaftlichen Entwickelung, mit seiner schöpferischen Productionskraft, mit der Tiefe seiner Wissenschaft, mit dem Reichthum seiner Industrie und der Fülle seiner Kunst, mit seinen Söhnen voll Kraft und Muth, mit seinen Frauen voll Schönheit, Verstand und Herzensgüte, dem Gegenstande der Verehrung für die Völker der Erde, dem Hort der Familie, dieser Stütze der Staaten, dieses begabte, treuherzige, fleißige, nach dem Ideal der Menschheit strebende Volk, – dieses Volk, welches einst schon für die Gewissensfreiheit der Welt gekreuzigt wurde, – dieses Volk, welches der Palme gleich aus allem Ungemach immer mit neuer Kraft wieder emporschnellte, – glaubt ihr, es könne untergehen? Nein, unaufhaltsam naht der Tag, wo es als Ganzes der Welt gegenübertritt und in der Herrlichkeit seiner Macht den Frieden Europa’s und den unaufhaltsamen Fortschritt der Civilisation dictirt, – unaufhaltsam naht der Tag, wo das deutsche Volk, an der Spitze der Culturbewegung stehend, eine neue Welt – das von den Dichtern einst geträumte goldene Zeitalter – herbeiführen hilft. Dann, mein Deutschland, wenn dein mächtiges Schwert alle Frevler, welche die Ruhe Europa’s und das Glück seiner Völker aus Habsucht und Herrschbegier anzutasten wagen, zu Boden geschlagen hat, wenn du als heiliges, unantastbares Asyl der Gerechtigkeit über den Frieden Europa’s waltest, dann mag dein reiches inneres Leben immer schönere und mannichfaltigere Blumen der Humanität treiben, dann mögen in Wissenschaft, Literatur, Kunst und geselliger Freude immer neue, beglücktere Gefilde sich entfalten, daß deine schöpferische Geisteswelt sich gleich der Stimme des Propheten über die Erde ergießt, und die Völker zu dir aufblicken, wie zu einer Stätte des Heils.

Die große Zeit ist dann gekommen, wo der Wunsch des Dichters in Erfüllung geht:

„Ein einig deutsches großes Reich,
Ein Recht, vor dem wir alle gleich,
Ein Volk so stark als reich an Zucht,
Sein Wort voll Mark, sein Schwert voll Wucht,
Das helf’ uns Gott – und dann genug!“

Aus Max Wirth’s neuerschienenem Buche: „die deutsche Nationaleinheit.“     




Aus dem Leben.[1]
1. Ein Partiechen.

„Wohin, liebes Väterchen?“ fragte die Hofräthin Steinert ihren Mann, der nach Hut und Stock gegriffen hatte, um des Abends auszugehen.

„Nach der Ressource. Ich bleibe höchstens nur ein Stündchen dort,“ entgegnete er, indem er den Paletot mit Hülfe seiner achtzehnjährigen Tochter Lina anlegte.

„Soll ich mit dem Abendbrode auf Dich warten?“ fragte die besorgte Hausfrau.

„Versteht sich; ich komme ganz gewiß. Du kannst Dich darauf verlassen; ich mache höchstens einen Rubber oder zwei.“

„Wenn es Dir nur nicht wieder wie neulich geht, wo Du erst nach elf Uhr gekommen bist! Der schöne Eierkuchen war vom Stehen ganz verdorben.“

„Du kannst den alten Eierkuchen, wie es scheint, nicht vergessen und mußt ihn immer wieder aufwärmen,“ bemerkte er in einem sonst nicht gewohnten verdrießlichen Tone.

Der Hofrath schien Eile zu haben, um nach seinem Whistclub zu kommen; er hatte die Thür bereits geöffnet, als ihn die sanfte Stimme seiner Frau zurückrief.

„Steinert!“

„Was gibt es denn schon wieder?“

„Du hast Etwas vergessen.“

„Den Hausschlüssel habe ich doch zu mir gesteckt.“

„Das nicht, aber einen Kuß. Sonst, wenn Du gingst, pflegtest Du mir doch Lebewohl zu sagen.“

„Verzeih! Aber ich bin seit einiger Zeit zerstreut.“

„Das merke ich.“

Er wendete sich noch einmal um, fast schien es, als ob er mit sich selbst kämpfte und seinen Vorsatz, nach der Ressource zu gehen, aufgeben wollte. Hätte die Hofräthin ihn zum Bleiben genöthigt, er wäre am Ende doch zu Hause geblieben, aber sie schwieg, wie es schien, verstimmt und machte ein ernstes Gesicht, indem sie auf ihre Arbeit niederblickte. Er gab ihr den gewünschten Abschiedskuß,

den sie nicht mit ihrer sonstigen Zärtlichkeit erwiderte;

  1. Unter diesem Titel werden wir eine Reihe Skizzen aus dem häuslichen Leben bringen. Daß es dem Autor dabei nicht nur um Unterhaltung, sondern um Durchführung eines moralischen Grundgedankens zu thun ist, der vorzüglich belehrend wirken soll, werden unsere Leser bald herausfühlen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_677.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)