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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Baumeister begrüßte sie als Bekannte und mit Vergnügen, wie es schien. Wenigstens vergaß er, weshalb er gekommen war, und unterhielt sich bald angelegentlich mit dem jungen Mädchen, das nicht so einsilbig und theilnahmlos war, wie in der letzten Zeit, sondern die frühere Lebhaftigkeit wiedergefunden hatte.

Emilie mischte sich nicht in die Unterhaltung, schien mit ihren Gedanken ganz abwesend zu sein, als aber der junge Mann sich entfernt hatte, fragte sie, woher Aline ihn kenne.

Sie erzählte, daß sie ihn nur einmal gesehen hatte, als sie vor ungefähr zwei Monaten in der Leihbibliothek war. Er kaufte dort etwas, und der Roman, welchen sie verlangte, hatte Veranlassung zu einem Gespräch gegeben. Freilich währte dasselbe nicht lange, dennoch hatte Aline oft daran gedacht und diese flüchtige Begegnung nicht vergessen. Sie hatte erfahren, was Moore in Lala Rookh sagt: „O Blick’ und Töne gibt’s, die schnell das Herz durchzucken sonnenhell, als fänd’ in der Minute Raum der Geist des ganzen Lebens Traum;“ sie verschloß das natürlich in der Tiefe ihres Herzens und erwähnte davon eben so wenig gegen Emilie, wie sie überhaupt davon gesprochen hatte. Doch eine große Veränderung war seitdem in ihr vorgegangen, sie schien aus einem Traume erwacht zu sein. Ohne zu wissen woher, kamen ihr mancherlei Ideen über Dinge, an welche sie sonst niemals gedacht hatte, und vorbei war es mit dem harm- und gedankenlosen Frohsinn, womit sie sonst in’s Leben geschaut hatte.

Einige Male hatte sie den Baumeister auf der Straße oder im Flur getroffen, und das waren denn stets wichtige Begebenheiten für sie gewesen; sein Gruß hatte sie lebhaft erfreut – er kannte sie also noch. Dann hatte sie auch einige Male seine Stimme im anstoßenden Zimmer gehört und seinem Clavierspiel gelauscht – gesprochen hatte sie ihn aber nicht. Die Arbeitsstube war eine Region, von welcher der Wille der Modehändlerin ihre Söhne von jeher fern gehalten hatte, obgleich deren Unterhaltung den jungen Damen gewiß höchst willkommen gewesen wäre.

Uebrigens fand der Baumeister einen größeren Geschmack an der Cousine Emilie, als man je bemerkt hatte, und es traf sich merkwürdiger Weise sehr häufig, daß die Besuche, welche er in ihrem Stübchen abstattete, in die Zeit fielen, während Aline dort beschäftigt war. Der Studiosus war schon abgereist, das kleine Gemach und was darin gesprochen wurde, lag außer der Gehör- und Gesichtsweite der jungen Damen, welche die Arbeitsstube inne hatten und eben so neugierig, als scharfsichtig waren, und Fräulein Therese fesselten ihre Pflichten als Directrice an die Arbeiterinnen. So war Niemand da, der des Baumeisters plötzliche Passion für die Gesellschaft der Cousine beachtete.

Emilie selber schien auch wenig davon zu bemerken und zuweilen gar nicht zu wissen, daß der junge Mann überhaupt anwesend war. Er plauderte daher ganz ungestört mit Aline. Alle, die nicht aus eigner Erfahrung die Unterhaltungen kennen, in denen zuweilen über Nichts gesprochen und doch so Bedeutendes gesagt wird, die dem Gleichgiltigen langweilig scheinen und dem dabei Betheiligten in hohem Grade interessant sind, hätten sich gewundert, wovon sie doch immer zu reden hatten. Dennoch hielt das Mädchen die halbe Stunde, die in der Gegenwart des Baumeisters minutengleich entschwand, für unendlich mehr werth, als den ganzen übrigen Tag und fand den Vormittag immer unausstehlich lang und langweilig. Und Hermann Albrecht gewährten diese Unterhaltungen gleichfalls einen so großen Genuß, daß er sie keinen Tag versäumte.

So theilnahmlos Emilie auch gewöhnlich war, zuweilen verrieth doch ein Blick, daß ihr das sichtliche Vergnügen nicht entging, welches Beiden diese scheinbar so unbedeutenden Gespräche machten. Mitunter zuckte auch wohl ein wehmüthiges Lächeln um ihren Mund, das der Erinnerung an die entschwundene Zeit galt, in welcher auch sie, wie Aline jetzt, mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen Worten gelauscht und Worte ausgetauscht hatte, in denen für sie ein tiefer Sinn und hohe Wichtigkeit lag. Aber das war nun längst vorbei, und sie hatte nicht Zeit, den Liebestraum ihrer Jugend wieder durchzuträumen. Sie mußte fleißig sein – denn der Winter war vor der Thür, und die Winterhüte noch lange nicht fertig. Sie sann eifrig nach über neue Hutfaçons und hübsche Garnirungen und umgab sich oft mit einem ganzen Jahrmarkt von Sammet, Atlas, Plüsch und Velour, von Spitzen, Federn und Paradiesvögeln. Das kleine Zimmer war mit diesen kostbaren Artikeln oft so angefüllt und überfüllt, daß der Baumeister keinen leeren Stuhl fand.

Das Magazin der Madame Albrecht war in diesem Herbst aber auch so reich ausgestattet mit prachtvollen Novitäten, wie nur je in einem der früheren Jahre, und ihre Waaren fanden den reißendsten Absatz. Emilie arbeitete rastlos, gönnte sich kaum Zeit zum Essen, schien des Schlafes fast gar nicht zu bedürfen. Die Modehändlerin ermahnte sie, sich zu schonen, der Baumeister machte ihr Vorwürfe darüber, daß sie es nicht that, aber sie schüttelte dann nur mit ihrem stillen Lächeln den Kopf.

Uebrigens währte Alinens stilles Glück nicht lange. Der Baumeister reiste nach Berlin, um sein Examen zu machen und blieb den ganzen Winter hindurch fort. Diese Zeit benutzte das Mädchen auf’s Eifrigste zu rastlosen Studien, und da sie viel natürliche Anlage und Lernluft hatte und überdies ein mächtiger Impuls – einer der mächtigsten im Frauenherzen – sie bewegte, so machte sie überraschend schnelle Fortschritte.

Der Baumeister entdeckte nach seiner Rückkehr, daß sie eine Bildung besaß, welche er in ihrer Sphäre nicht hatte vermuthen dürfen, und fand sie nur um so anziehender. In Kurzem hatte sich Alles gemacht, wie es vorauszusehen gewesen. Auf Emilie war, trotz ihrer Abgeschlossenheit und Einseitigkeit, Alinen’s innige Anhänglichkeit nicht ohne Einfluß geblieben, und sie hatte das junge Mädchen täglich lieber gewonnen. Jetzt bot sie mit Freuden die Hand zur Befestigung ihres Glückes; während der Baumeister Alinen seine Liebe gestand, übernahm sie es, die Mutter für die Verbindung zu stimmen.

Das wurde ihr nicht schwer. Die Mutter hatte ihm zwar eine reiche Braut gewünscht, allein der junge Mann war unabhängig, auch war sie ja selbst einst in beschränkten Verhältnissen gewesen und Aline ein liebenswürdiges, unbescholtenes Mädchen. Als Emilie ihr vollends mit etwas bebender Stimme sagte: „Ich sollte einst die Frau Ihres Stiefsohns werden – nehmen Sie jetzt von meiner Hand eine Schwiegertochter,“ verstummte sie mit jeder Einwendung.

Der Baumeister fand auch nicht mehr Schwierigkeiten. Aline wollte zwar mit stockendem Athem geltend machen, daß sie arm sei und wenig gebildet, allein er widerlegte das siegreich, und die Zustimmung der Mutter hob jedes Bedenken. Aline schied aus der Arbeitsstube, deren Inhaberinnen ihr Glück anstaunten, theils beneideten, und der Baumeister übernahm ihre weitere Ausbildung. Emilie wollte die Ausstattung besorgen, allein die Modistin trug dafür selber Sorge und nur die nöthigen Hüte und Hauben durfte sie fertigen. Diese wurden denn auch solche Meisterwerke, daß sie allgemeines Aufsehen erregten.

Jahre kamen und vergingen. Aline war längst Frau Baumeisterin und glückliche Mutter; ihr Mann betete sie an, seine Familie liebte sie, und ihre Stellung in der Gesellschaft war so angenehm, wie sie sich dieselbe in ihren kühnsten Träumen nicht vorgestellt hatte. Der ehemalige Studiosus war Assessor, und seine Mutter hatte sich von dem Geschäft zurückgezogen. Fräulein Therese, die sich übrigens auch in den heiligen Ehestand begeben, hatte die Modehandlung in Compagnie mit Emilie übernommen, dergestalt, daß jene mit ihrem Mann den Einkauf und Verkauf besorgte, während diese die Anfertigung der Modellhüte und Coiffuren behielt, welche noch immer in so hohem Ansehen standen und noch immer so gesucht wurden, wie sonst, obgleich nicht mehr alle Welt sie für Pariser Arbeit kaufte. Die Zeit hatte an und in Allen und Allem Veränderungen hervorgebracht. Nur an Emilien schien sie fast spurlos vorübergezogen zu sein. Das fand Aline auch, als sie eines Nachmittags in dem kleinen Stübchen ihrer alten Freundin saß. Sie hatte diese schon oft gedrängt, ihre Geschichte zu erzählen, aber diese hatte die Erfüllung ihrer Bitte immer hinausgeschoben. Gedankenvoll blickte die blühende, elegant gekleidete junge Frau heute in dem einfachen Gemach umher. Es war ganz wie damals, als sie es zuerst betrat, oder als sie später hier so glückliche Stunden verplauderte; auch die alte Putzmacherin saß ihr so still, so bleich und fleißig gegenüber, sogar das alte braune Kleid, welches sie trug, schien dasselbe zu sein, nur das spärliche Haar war noch spärlicher und die gebeugte Gestalt noch gebeugter geworden.

Als wäre es gestern gewesen, so deutlich erinnerte sich die Frau Baumeisterin der trüben Empfindungen, welche sie einst auf dieser Stelle beim Anschauen des alten Mädchens ergriffen hatten. Wie damals und wie seither oft, fühlte sie inniges Mitleiden mit

der Vereinsamten und hätte viel darum gegeben, wäre es möglich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_647.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)