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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die beiden Doppelgänger.
Von Fr. Gerstäcker.
(Fortsetzung.)

Die Goldwäscher waren allerdings an dem Abend erstaunt, Herrn Steinert, der sonst an den Feuern immer das große Wort führte, nicht mehr unter sich zu sehen und von seinem raschen Abschied zu hören. Da Köllern wie Bollenheck aber über die wahre Ursache schwiegen, wurde bald nicht weiter darüber gesprochen. Es kam oft vor, daß einer oder der andere der Männer ausging, neue und reichere Stellen aufzusuchen, was man dort „prospectiren“ nannte. Natürlich wurden solche Wege immer geheim gehalten und Niemand fragte danach, dem man wußte im Voraus, daß man doch keine genügende Antwort bekommen würde.

Köllern und Bollenheck arbeiteten in den nächsten Tagen ihren Claim aus, in dem sie ihre Arbeit vortrefflich bezahlt bekamen. Bollenheck, der übrigens fest überzeugt war, daß ihr früherer Camerad Steinert sie schon die ganze Zeit betrogen – hatte durch diese Arbeit eine kleine Summe in die Hand bekommen, und des Lebens in den Minen überdrüssig, gedachte er sein Glück den Winter durch in San Francisco zu versuchen und dort sein altes Handwerk zu betreiben. Die Verhältnisse dort hatten sich in den letzten Monaten ziemlich geregelt, und er fand daher weit eher die Aussicht einer sicheren Zukunft, als hier in den Minen, wo heute einmal der Ertrag günstig ausfiel, und dann Wochen lang um wenig mehr als den Lebensunterhalt gegraben werden konnte.

Köllern redete ihm natürlich nicht ab und versuchte sein Glück die nächsten Tage, nachdem ihn Bollenheck verlassen hatte, allein. Er war ein Stück weiter den Bergbach hinaufgegangen, schlug dort ein und warf die Erde auf einem ziemlich geräumigen Platze aus, den in früheren Jahrtausenden zu Thal gewaschenen Goldstrich oder die Ader, in der die meisten Körner lagen, dadurch am leichtesten zu treffen.

Emsig mit seiner ziemlich schweren Arbeit in dem harten Boden beschäftigt, hatte er wenig oder gar nicht Acht auf seine Umgebung gehabt, und erst, als er einmal ein tüchtiges Stück mit der Spitzhacke losgeschlagen und sich emporrichtete, seinen solcher Arbeit doch noch nicht recht gewöhnten Rücken etwas zu strecken, sah er neben seiner schon begonnenen Grube den „Einsiedler“ Schütz stehen, der ernst und lautlos seinem Schaffen zusah.

Er ging wie immer in seiner gewöhnlichen Minertracht, aber mit besonderer Sauberkeit gekleidet, hatte auch einen Spaten in der Hand, auf den er sich stützte, und kam Köllern heute nur ungewöhnlich blaß und leidend vor. Sein dunkles, großes Auge haftete auch einen Moment fest und forschend auf den Zügen des jungen Edelmannes, dann senkte es sich wieder und schien den Platz zu überschauen, den er begonnen hatte.

Uebrigens war es etwas so Seltenes, daß er einen seiner Nachbarn aufgesucht hatte – ja Köllern wußte es sich noch nicht ein einziges Mal zu erinnern –, daß dieser ordentlich überrascht davon schien und lachend ausrief:

„Nun, Landsmann, suchen Sie sich auch einen neuen Arbeitsplatz? Fideles Leben das in den Minen, wie? wo man den Boden umgräbt, wie ein alter Maulwurf nach vorweltlichen Schätzen suchend.“

Schütz erwiderte kein Wort – still und schweigend blieb er noch einen Augenblick stehen, schaute den jungen Mann dann wieder ernst, aber nicht unfreundlich, mit einem eigenen Zug von Schwermuth um die Lippen an, drehete sich langsam ab, schulterte seinen Spaten und schritt den Hang hinab dem Bache zu.

Köllern schüttelte leise vor sich hinlächelnd den Kopf, und trat dann auf den Rand seiner Grube und auf die dort ausgeworfene Erde dem wunderlichen Menschen nachzuschauen. Dieser aber verschwand gleich darauf in den dichten Kirsch- und Haselbüschen, die den ganzen Hang bedeckten, und kam auch weiter unten weder rechts noch links wieder zum Vorschein.

„Das ist ein sonderbarer Kauz,“ murmelte Köllern vor sich hin, indem er noch eine ganze Weile dort oben stehen blieb, denn wenn Jener weiter unten oder oben am Bach wieder zum Vorschein gekommen wäre, hätte er ihn von dort sehen müssen; gerade in der Richtung aber, die er eingeschlagen, arbeitete Pauig mit dem Doctor Meier – „ein ganz eigenthümlicher Mensch, aus dem ein Anderer klug werden mag. Etwas muß ihm aber auf der Seele liegen, was es auch sei, wenn auch kein Verbrechen, wie jener Lump, der Steinert, meinte. Wenn man ihn nur zum Reden bringen könnte!“

Immer noch an den schweigsamen Nachbar denkend, an dem er, er wußte eigentlich selber kaum weshalb, solchen Antheil nahm, kehrte er zu seiner Arbeit zurück und schaufelte wieder etwa eine halbe Stunde wacker aus. Dann aber ließ es ihm länger keine Ruhe – er war neugierig geworden, ob Schütz unten mit Pauig und Meier zusammengrübe, und es erfüllte ihn bei dem Gedanken ordentlich eine Art von Eifersucht auf den geheimnißvollen Landsmann.

Ein Vorwand, dort hinunter zu gehn, war auch leicht gefunden, denn sonst besuchten die Miner einander bei ihrer Arbeit nicht. Einen tüchtigen Quarzblock, den er in seiner Grube traf, konnte er nicht gut ohne Brechstange bei Seite wälzen, und er beschloß sich solche bei den Cameraden unten zu borgen.

Rasch stieg er den Hang hinunter, und suchte unterwegs die Spuren des ihm vorangegangenen Schütz zu treffen, war darin aber doch wohl zu wenig geübt, denn er konnte sie nicht auffinden, und ging endlich nur dem klappernden Geräusch der Maschine nach, das ihn bald zu Pauig’s und Meier’s Arbeitsplatz brachte. Hier erbat er sich vor allen Dingen die Brechstange, und dann auf und ab den Bach sehend, sagte er:

„Wohin hat sich denn unser Einsiedler gewandt?“

„Der Einsiedler?“ rief Meier, „ja, der kommt nicht zu uns. Gott weiß, wo der steckt und maulwurft.“

„Aber er ist doch hierher zu den Hang hinab gegangen. Sie müssen ihn wenigstens gesehen haben.“

„Mit keinem Auge,“ versicherte Pauig. „Wir haben freilich nicht aufgepaßt, und da er keinen besonders großen Spectakel macht, ist es recht gut möglich, daß er sich vorbeigedrückt hat, wie er unsere Maschine hier rasseln hörte.“

„Das ist ein merkwürdiger Mensch,“ meinte Meier, „und spricht das gerade zu wenig, was Freund Steinert zu viel schwatzte. Der wär’ übrigens auch der Letzte, den ich prospectiren schickte.“

„Er ist auf eigene Hand gegangen,“ sagte Köllern, „und ich bin gerade nicht böse darüber. Aber guten Morgen – wir versäumen hier Beide unsere Zeit. – Die Brechstange bring’ ich zu Mittag mit an die Zelte“ – und das Werkzeug schulternd, stieg er wieder zu seinem eigenen Arbeitsplatz zurück.

Das eigene Benehmen des sogenannten „Einsiedlers“ ging ihm jedoch fortwährend im Kopf herum. Er wußte selber nicht, wie es kam, aber er konnte den Gedanken an ihn nicht los werden, und so sehr er es bis dahin vermieden hatte, irgend etwas zu thun, das zudringlich erscheinen konnte, so beschloß er doch jetzt, den Mann einmal selber aufzusuchen.

Je länger er nämlich über den schweigsamen Besuch an diesem Morgen nachdachte, desto mehr fühlte er sich überzeugt, daß Schütz hatte etwas von ihm erbitten wollen, durch sein überhaupt scheues Wesen aber davon abgehalten sei. Er wollte ihm nun Gelegenheit geben, sich gegen ihn aussprechen, und wurde er selbst dann zurückgewiesen, gut, dann hatte er sich selber wenigstens keine Vorwürfe zu machen, und gedachte ihn von da an ruhig seinen Weg gehen zu lassen.

Mit Feierabend machte er einen kleinen Umweg, von seinem Arbeitsplatz aus an Schützens Zelt vorüber zu kommen, und fand diesen auch daheim gerade beschäftigt, ein Stück Fleisch zu seinem Abendbrod zu schmoren.

Wie er des Nahenden Schritte hörte, richtete er sich rasch empor, erkannte aber kaum von Köllern, als er ihn freundlich grüßte.

„Nun, haben Sie fleißig gelesen?“ fragte der junge Mann, indem er sich neben das Feuer auf einen dort hingerollten Klotz setzte – „ich sah einige Abende noch sehr spät in Ihrem Zelt Licht.“

„Es ist die einzige Unterhaltung hier in den Minen,“ seufzte Schütz, „und außerdem mochte ich auch die mir geliehenen Bücher nicht so lange behalten.“

„Machen Sie ja keine Umstände damit,“ sagte Köllern gutmüthig, „ich bin durch damit, und hier oben haben sie weiter keinen Werth, als daß man einem Anderen vielleicht einmal wieder damit aushilft. Wir werden uns überhaupt jetzt Beide nach Jemandem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_594.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)