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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Mit Rosa?“ fragte staunend und fast entrüstet Theodor.

„Hast Du denn schon einen unwürdigen Verdacht gegen sie?“

„Täuschest Du Dich nicht, so mußt Du gestehen, daß Du selbst Verdacht schöpftest. Willst Du, so bin ich bereit, mit ihr zu reden. Sie hat im Dorfe viel Geld ausgegeben – –“

„Vater, ich bitte Dich!“ fiel Theodor ihm in’s Wort, „schon solch ein Gedanke ist Verrath, ist Sünde und Schmach! – Nein, nein, Du darfst nicht mit ihr reden, Du gar nicht – auch ich –“ sprach er überlegend weiter, „auch ich darf jetzt nicht hin, – ich muß mit Schnurr sprechen, muß ihn allein haben! Fahre Du ruhig nach Hause. Alles wirst Du ja von mir hören, das verspreche ich Dir, Vater!“

Er reichte ihm die Hand. Er nöthigte, er drängte ihn zur Abreise. Ehe eine Minute verging, war der Schulrath hinweg.

Theodor rief den Wirth. Dieser mußte im Namen des Dorfrichters zum Schulmeister schicken mit dem Gesuch, derselbe möge sogleich zu einer wichtigen Gemeindeberathung in den „schwarzen Bär“ kommen, die Sache sei dringend.

Kaum war der Bote zurück, so sah man auch schon den Schulmeister herschreiten auf einem Feldwege. Der Wirth, der nicht ahnte, was es galt, stand doch neugierig. Er sprach von einer stillen Oberstube, und wie dieselbe geeignet sei, ungestört und ungesehen dort eine Verhandlung abzuhalten. Aber Theodor dankte ablehnend. Er empfahl sich und ging dem Kommenden entgegen. Als er ihn erreicht hatte, schlug er einen Weg mit ihm ein, der durch hohes Korn führte.

„Lassen Sie mich schnell zur Hauptsache kommen,“ sprach Theodor, nachdem er die Begrüßung des Verwunderten erwidert und ihm erklärt hatte, daß die Citation nicht vom Dorfrichter, sondern von ihm selbst ausgegangen sei. „Theilen Sie mir ohne Umschweife eine ehrliche Antwort mit auf einige Fragen, die ich jetzt an Sie richten muß.“

„Ohne Umschweife,“ entgegnete Schnurr, „aber ich kann mich nicht genug verwundern, daß der Herr Assessor nicht mit hin in mein Haus wollen.“

„Vielleicht gehe ich noch mit, nur geben Sie mir erst Antwort.“

„So fragen Sie denn. Ich bin mir keines Unrechtes bewußt. Ist etwas vorgefallen zwischen Ihnen und Dero Herrn Vater? Gibt’s etwas mit Rosa, mit meiner Schule?“

„Woher haben Sie diese Blätter?“ fragte Theodor, indem er die Blätter hervorzog und sie ihm hinwies.

Schnurr lächelte zwar, konnte aber seine Verlegenheit nicht verbergen. „Was ich Dero Herrn Vater davon sagte, kann ich auch Ihnen sagen,“ antwortete er dann. „Ich habe diese Blätter als Packpapier erhalten.“

„Sie wissen doch gewiß, von wem, lieber Herr Schmitt?“

„Weiter kann ich nicht gehen,“ versicherte Schnurr, „sonst müßte ich mehr erzählen, und das darf ich nicht, weil ich mein Wort gab, darüber zu schweigen gegen Jedermann. Freilich gegen Sie, Herr Assessor, gerade gegen Sie – aber als Jurist werden Sie mir Recht geben – Wort ist Wort – auch gegen Sie muß ich schweigen.“

„Sie haben diese Blätter von Rosa?“ fragte leise bebend Theodor.

„Wer hätte das gesagt? Aber Packpapier war’s – o, Sie wissen nicht, wie glücklich ich wurde!“

„Diese Papiere könnten Sie noch in große Verlegenheit bringen, darum reden Sie offen, Herr Schnurr. Seit wann sind diese Blätter in Ihren Händen?“

„In Verlegenheit? Das wolle Gott verhüten!“

„Seit wann haben Sie diese Blätter?“ wiederholte Theodor.

„Seit acht Tagen.“

„So steht es fest, Sie haben diese Blätter von Rosa!“ rief schmerzlich Theodor.

„Um Gott, warum sind der Herr Assessor so erschrocken?“ versetzte im eigenen Erschrockensein Schnurr. „Ihr Verhältniß mit Rosa – Sie sind ja mit ihr ein Herz und eine Seele – und ich werde meiner Nichte mittheilen, daß ich es Ihnen entdeckte – nur Ihnen, und nur unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit, damit Sie aus der Unruhe kommen, in welcher ich Sie sehe – und Gott, ich selbst bin ja unruhig!“

„Haben Sie gesehen, daß Gold in diese Blätter gepackt war?“ fragte kaum hörbar Theodor, „nahm Rosa Gold heraus, ehe sie die Papiere Ihnen gab? Reden Sie, wie war es? Sie sagten, daß Sie durch diese Blätter glücklich wurden. Da hat Rosa wohl einige Goldstücke für Sie darin gelassen, hat sie Ihnen geschenkt?“

„Das Ganze!“ antwortete Schnurr halb freudig, halb furchtsam. „Sie hat die Rolle gar nicht aufgemacht, sie hat mir dieselbe, gleich ganz gegeben. Der Herr Assessor sollen nun Alles wissen, fuhr er fort, und strich sich mit dem Tuche den Schweiß von der Stirn, „damit der Herr Assessor nur ruhig werden, und ich dazu, denn ich begreife doch nicht – was soll aber sein mit dem Gelte? Sie hat mir’s geschenkt, und das kann sie doch? – Als sie angekommen war und ihre Sachen auspackte, trat sie zu mir und sagte: „„Hier, Oheim, bringe ich Dir auch ein Andenken mit. Nimm es für Dein Alter. Für mich knüpft sich eine trübe Erinnerung an dieses Geld, – ich mag es nicht behalten. Dir wird es lieb sein für Dein Alter.““ Nun nahm ich es, Herr Assessor, und ich dachte, es wären etwa zwanzig bis dreißig Thaler. Aber denken Sie, als! ich die Rolle aufmachte, lagen hundert blanke Louisd’or darin! Da! staunte ich und meinte, das sei doch zu viel zum Wegschenken. Aber Sie wissen, wie sie ist. Sie lächelte, war heiter und guter Dinge und sprach: „„Du bist ganz starr vor Freude, Oheim, da wirst Du viel Lärm machen, viel rühmen, viel erzählen? Komm und versprich mir, daß Du keinem Menschen etwas davon sagen willst!““

Ich mußte es ihr mit der Hand versprechen. Und als ich sie dann fragte, ob sie vielleicht gewonnen, ob sie vielleicht das heillose Pharo gespielt, da lachte sie und antwortete: „„Nein, nur Lotterie.““ Und das glaube, ich auch. Der Herr Assessor werden wissen, daß die preußische Lotterie mit Gold auszahlt.“

Es war, als wollte bei dieser letzten Mittheilung ein Lichtschimmer in Theodor’s umnachtete Seele fallen. Aber sofort verschwand er wieder. Diebstahl, Theaterdirector. Blätter – sie stellten den nächtlichen Zusammenhang schnell wieder her. Selbst Rosas Aeußerung, daß eine trübe Erinnerung an dieses Geld sich knüpfe, daß sie dasselbe nicht behalten möge, – reihte ein neues, schwarzes Glied in das Ganze, und drückte schwer auf Theodor’s ahnendes Herz. Mit niedergeschlagenem Blicke stand er da. Was sollte er thun? Dem Schulmeister Alles mittheilen? Der konnte ihm nicht helfen, konnte nur ängstlicher werden, als er es schon war, und in dieser Angst die Verwirrung vermehren, den Weg der Besonnenheit und Vorsicht, der hier eingehalten werden mußte, nur störend durchkreuzen. Oder sollte er hin zu Rosa, wie sein Vater es angedeutet? Wie wollte er aber ihrem Engelsblicke gegenüber mit der innern Anklage ruhig erscheinen? Und noch kämpfte er ja selbst gegen eine innere Anklage – noch bemühete er sich ja, auch den Verdacht, auch die Ahnung niederzuschlagen; – jetzt nicht, heute nicht durfte er zu Rosa, das fühlte er tief. Oder sollte er zu seinem Vater? Auch das nicht. Der konnte die Verwirrung so gut vermehren, wie er dies von Schnurr befürchten mußte. Ja, er wußte, daß sein Vater in diesen zusammentreffenden Umständen die stärksten Verdachtsgründe finden, wohl gar von der Schuld völlig überzeugt sein würde.

Er dachte, er sann, während er stehen blieb und mit der Hand über die Kornähren hinstrich. Schnurr fragte seufzend nach der Ursache dieser traurigen Umwandlung, welche so plötzlich eingetreten war,

„Nur einen Weg gibt es, auf welchem ich vielleicht mehr Licht erhalten kann, ihn muß ich betreten!“ sagte Theodor still vor sich hin, ohne auf Schnurr’s Fragen zu achten.

Als sei er seines Planes sich jetzt vollkommen bewußt, als habe er denselben geprüft und gut befunden, wendete er sich dann scheinbar heiter an Schnurr und sprach: „Sie können ganz ruhig sein! Sie kommen weder in Verlegenheit, noch verlieren Sie Ihr Geld! Gehen Sie getrost nach Hause! Aber Eins müssen Sie mir versprechen!“

„Eins? Fordern Sie zehnerlei,“ antwortete Schnurr in seiner Freude, „und ich will Alles erfüllen, wenn sich’s verträgt mit meinem Gewissen! Mir ist nun ein Stein vom Herzen, und ich sehe, auch dem Herrn Assessor ist’s leichter. Also eine Irrung war’s? Nun haben Sie Licht? sind wieder ruhig?“

„Gewiß,“ entgegnete Theodor, dem Alles daran lag, daß Schnurr durch Wehmuth und Traurigkeit bei Rosa keinen Verdacht erwecke, „aber ich würde wieder sehr unruhig werden, und Rosa würde es zugleich mit mir werden, wenn Sie ein einziges Wort verriethen von dem, was wir jetzt zusammen verhandelten! Also schweigen sollen Sie. Rosa darf nicht wissen, daß wir uns jetzt sahen und sprachen. Geben Sie mir Ihr Wort, vollkommen darüber zu schweigen!“

„Gern, Herr Assessor! das läuft nicht gegen das Gewissen!“ versetzte Schnurr und gab ihm feierlich die Hand. „Bin ich doch

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