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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Wort über Rosa Dir eröffnen, der heutige Tag muß auch Alles zum Abschluß bringen, was an dieses erste Wort sich knüpft! Du weißt, was ich vor nur zwei Stunden Dir schrieb.“

„Das weiß ich, mein Sohn,“ versetzte der Schulrath und hielt bestürzt das mit Bleistift geschriebene Billet empor.

„Und woher hast Du das zweite Papier, das ich in Deiner Hand sehe? den Brief, den ich an Rosa schrieb, als ich von Berlin abreiste? Mein theurer Vater, was ist das? Gab Dir Rosa diesen Brief? Und wo ist sie?“ Der Schulrath trat in’s Fenster und schwieg. „Hat Rosa auch den Brief gelesen, den ich an Dich schrieb, Vater?“ Der Schulrath schwieg fort. „Vater, hat sie meinen heutigen Brief an Dich gelesen?“ fragte der Sohn mit gesteigerter Stimme weiter. „Du hast beide Briefe in der Hand, und der eine ist so wichtig wie der andere! O, sei gerecht, Vater! Rede mit mir, antworte mir! Siehe, ich konnte nicht zurück nach Magdeburg, hierher trieb es mich, zu Dir und zu Rosa mußte ich! Hat sie den Brief gelesen, den ich Dir heute gab und den Du noch in Deiner Hand hältst, o dann weiß sie ja, wie ich sie liebe, dann weiß sie ja Alles, und mein Schicksal wird und kann sich dann sofort entscheiden! Was wissen Sie, Herr Schnurr?“ redete er diesen an, da sein Vater noch immer starr und schweigend im Fenster stand. „Hat Rosa –“

„Rosa hat Dero Brief nicht gelesen,“ antwortete Schnurr ängstlich.

„Hat mein Vater nichts davon erwähnt?“

„Nichts davon erwähnt, kein Wörtlein, im Gegentheil, Dero Herr Vater sind –“

„Herr Schnurr!“ warnte der Schulrath vom Fenster her, ohne sich umzusehen. Schnurr schwieg.

„Und wo ist Ihre Nichte. Herr Schnurr? Kommen Sie, führen Sie mich zu ihr!“

„Theodor!“ warnte der Schulrath vom Fenster her, ohne sich umzusehen.

„Rosa will in einer Stunde abreisen,“ sagte Schnurr, „sie hat noch einzupacken –“

„Sie reist ab?“ fiel Theodor ein.

„Weil der Herr Assessor Bräutigam sind.“

„Herr Schnurr!“ klang es vom Fenster her.

„Gerechter Gott, ich Bräutigam?“

„Wenigstens ein Scheinbräutigam, wie Dero Herr Vater mir andeuteten.“

„Vater!“ rief schmerzlich Theodor nach einer Pause, „ich ahne, was Du gethan! Ist es denn möglich? Kannst Du so spielen mit den Gefühlen Deines Sohnes und mit seinem Glücke? Vater, bin ich nicht Dein einziges Kind? Weißt Du nicht, wie ich Dich liebe?“

Und hin trat er an’s Fenster. Tiefer neigte sich der Vater, er wollte die Thränen nicht sehen lassen, die in seinen Augen schwammen – freiwillig, ohne sich umzublicken, ohne ein Wort zu reden, öffnete er die auf dem Rücken ruhende Hand, und ließ beide Briefe und die ABC-Buchblätter niederfallen. Theodor hob Alles auf. Dann ergriff er die Hand des Vaters, drückte sie an sein Herz und wendete sich schnell an Schnurr mit den Worten: „Wo ist Rosa? Führen Sie mich zu ihr! oder,“ setzte er nach einer Pause hinzu, „besser so, besser – bringen Sie ihr diesen Brief und sagen Sie ihr, ich sei hier! – Ja, ja, lesen erst muß sie diese Worte, die ich schrieb, – dann will ich zu ihr! Eilen Sie, Herr Schnurr! Alles muß sich entscheiden, wenn sie den Brief gelesen! Wo ist sie? O, eilen Sie zu ihr!“

„Armer Herr Assessor!“ erwiderte Schnurr, indem er den Brief aus Theodor’s Hand zögernd annahm und leise nach der Thür des Nebengemaches ging.

Und plötzlich drehte sich der Schulrath um, entriß Schnurr’s Hand das Billet, steckte es durch die Thüre des Nebengemaches, die er nur so weit öffnete, daß er mit dem Arme hindurch konnte, und dann schnell wieder in’s Schloß drückte.

„O, warum wirfst Du ihn nicht lieber in’s Feuer, mein Vater? Laß mir den Brief! Rosa muß ihn haben! Schnell gewinnt sie durch ihn einen klaren Einblick in den Stand der Dinge, in mein Herz, in meine Liebe zu ihr!“

Er eilte auf das Nebengemach zu, um den Brief zu holen. Der Schulrath vertrat ihm den Weg, und als der Sohn dennoch nach der Thüre drängte, fiel der Vater dem Sohne an die Brust.

„Mein Vater, mein theurer Vater!“ rief Theodor, „ich sehe es, Du bist bewegt, Du bist in einen, schweren Kampfe mit Dir selbst! Du willst mein Glück – und doch, und doch! – O, gib mir den Brief, dann eile ich zu Rosa, – Vater, ich lasse nicht von ihr!“

„Und ich nicht von ihm!“ klang es durch die plötzlich sich aufthuende Thüre, und Rosa umschlang Vater und Sohn, die an der Brust sich lagen. „O, wie ich Dich liebe, Theodor, das weiß Dein Vater! Nicht wahr, Vater,“ fuhr sie fort, und fester umschloß sie mit ihren schwellenden Armen beide Männer, und blickte mit thränengefüllten Augen sie an, „nicht wahr, ich habe ihn lieb? Ich kann nicht von Theodor lassen? Und wie ich von ihm nicht lasse, so will ich mit ihm auch von Dir nicht lassen! Auch ich nenne Dich nun Vater, wie Theodor Dich nennt, und Theodor und ich lassen nicht von Dir!“

Thränen leuchteten jetzt in Aller Augen. Eine feierliche Pause trat ein. Umschlungen noch hielten sich alle Drei.

Schnurr aber hob hoch die Rosen empor und sprach: „So steht’s geschrieben: Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“

Nicht lange mehr, da hob der Schulrath seine Hand empor und griff nach den Rosen. Er theilte sie unter Beide, er segnete Beide.

Sollen wir beschreiben, wie die nächsten Stunden verstrichen? Sollen wir das Glück schildern, das wie ein Paradiesstrom jetzt durch das Schulhaus rauschte? Wir brauchen das nicht.

(Fortsetzung folgt.)




Schloß Mainberg.

Industrie und Romantik im schönsten Verein.
[Wilhelm Sattler.]

Die idyllische Anmuth des Maingrundes wird noch nicht so viel besucht, als sie verdient. Die lieblichste Straße desselben, von Bamberg bis Schweinfurt, im Mittelalter wegen ihrer landschaftlichen Reize und der Milde ihres Klimas „Kleinwelschland“ genannt, eignet sich vorzüglich für Solche zum Aufenthalt, die einer warmen Sonne, einer reinen Luft und der Bewegung in einer durch Mannichfaltigkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_524.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)