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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Verehrte Rosa, morgen reise ich ab. Mein Herz mit tausend Gefühlen bleibt bei Ihnen zurück. Die wenigen Tage waren hinreichend für mich, zu erkennen, daß ich Sie liebe. Ihr Verhältniß mit Herrn Rauschenbach scheint mir nicht ernster Natur zu sein, und so drängte es mich, Ihnen mein gegenwärtiges Geständniß zu geben. Wir werden uns wiedersehen, geliebte Rosa, und dann wird sich mein Schicksal entscheiden.“       „Theodor.“

Eine Pause trat ein. Der Schulrath überflog das Billet nochmals. Dann erklärte er: „Das ist die Handschrift meines Sohnes! Es betrübt mich! Fräulein, ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig!“

Rosa erwiderte kein Wort. Aus ihren Augen fielen Thränen auf das reine Morgengewand. Sie fuhr leicht mit den Fingern über die Augen hin, verneigte sich, floh die Treppe hinauf, aus dem Schmerze auch leuchtete Grazie.

Dicht an der Treppe verlor sie eine der Rosen, die sie im Gürtel trug. Der von Räthseln umstrickte Schnurr hob sie auf, wollte sie nachreichen.

„Laß das – hier sind auch die andern!“ sprach schmerzlich lächelnd Rosa, und warf die übrigen von der Treppe herab. Ich brach die Blumen heute früh unter Träumen, die nun fallen müssen, – und so mögen auch die Rosen fallen.“

Schnurr las die Rosen zusammen, seine Nichte war auf ihr Zimmer geeilt, und in demselben Augenblicke kam auch schon seine Magd herab und holte einen Koffer hinauf, wobei die Erklärung fiel, daß das Fräulein noch diesen Vormittag abreisen wolle.

„Das wäre ja traurig; das wird sie doch nicht!“ seufzte Schnurr. „Der Herr Doctor könnten das wohl verhindern. Ich verstehe nichts von Allem, – weiß nicht, was mit dem Billet geschehen ist.“

„Das hat mein Sohn geschrieben – an Ihre Nichte geschrieben!“ herrschte der Schulrath vor sich hin, während er noch keinen Schritt von seinem Platze gewichen war und das Billet fest in der Hand hielt.

„Ich verstehe das nicht,“ erwiderte Jener, demüthig auf das Pistol und die Rosen blickend.

„Ist’s denn so schwer? Mein Sohn hat sich in Ihre Nichte verliebt!“

„Aber der Herr Doctor sagten doch, er habe eine Braut?“

„Zum Schein!“

„Eine Braut zum Schein? – aber der Actus, der festliche Empfang durch die Schulkinder –?“

„Zum Schein!“ wiederholte heftig der Schulrath.

„Also nur eine Scheinbraut, – und da müßte doch Alles bei dem Actus anders eingerichtet werden. Die Schulkinder z. B. müßten –“

„Ich bitte Sie, Herr Schnurr, denken Sie doch lieber jetzt in anderer Beziehung an Ihre Schulkinder!“ entgegnete Jener, indem er schnell herbei schritt, die Stubenthüre öffnete und hineinrief:

„Gehet ruhig nach Hause, Kinder, Euer Herr Schnurr hat nicht Zeit, hat mit mir zu thun! Nehmen Sie doch das infame Pistol weg, Herr Schnurr!“ wendete er sich wieder an diesen, der nun mit Pistol und Rosen schnell unter den Rock fuhr, und dann die an ihm vorüberziehenden Kinder zu einem ruhigen Nachhausegehen ermahnte.

„Haben der Herr Doctor wirklich noch mit mir zu thun?“ fragte Schnurr kleinlaut, als die Schulkinder hinaus waren, und hielt nun Pistol und Rosen wieder frei in der Hand.

„Es ist gut, daß sie abreist!“ sagte der heftig schreitende Schulrath. „Sie liebt ihn, liebt ihn leidenschaftlich – und er – o, er darf sie nicht sehen! Herr Schnurr, reden Sie ihr also nicht zu, die Abreise zu unterlassen!“

„Die Abreise?“ seufzte dieser.

„Die sofortige, augenblickliche Abreise!“ erwiderte Jener in einem befehlenden Tone.

„Der Herr Doctor erlauben, daß das nicht geht,“ antwortete Schnurr verletzt, und sah betrübt auf Waffe und Blumen, „ich wäre der undankbarste Mensch unter der Sonne, wenn ich sie so ziehen lassen sollte. Der Herr Doctor wissen nicht, wie ich ihr verbunden, was sie an mir gethan, wissen nicht, wie edel sie ist.“

„Nun?“

„Ich habe ihr versprechen müssen, das nicht zu sagen – also wiederum edel. Und der Herr Doctor wissen, daß selbst unter den Barbaren das sogenannte Gastrecht oder die sogenannte Gastfreundschaft –“ er stockte – er verbeugte sich – „und sie ist meine Nichte, sie hat nichts Böses gethan, und dies ist meine Wohnung, wenn Sie wollen, mein Heerd, – auch Napoleon wollte sich einst niedersetzen an Englands Heerd, und der Herr Doctor dürften wissen, – o, was auch daraus entstehen mag, lieber will ich sterben, als gegen meine Wohlthäterin undankbar sein!“

Der Schulrath sah bedenklich vor sich hin. Er zog beide Papiere hervor, las nochmals den Bleistiftbrief, welchen er vorhin von seinem Sohne empfing, nochmals das Billet, welches derselbe an Rosa geschrieben. Er verglich sie gegenseitig – blieb stehen – that wieder einige Schritte. „Richtig, richtig – und wie konnte ich so Wichtiges vergessen? „„Das Verhältnis mit Herrn Rauschenbach scheint mir nicht ernster Natur zu sein, – und so drängte es mich, Ihnen mein gegenwärtiges Geständniß zu geben,““ – las er halblaut aus dem einen Billet, und blickte dann in das andere. „Ganz richtig, auch hier ist das Verhältniß zwischen ihr und dem Schauspieler Rauschenbach angedeutet – wie konnte ich das vergessen? Also heute Den, morgen Jenen!“ –

„Du wirst doch nicht wirklich gehen wollen, Rosa? Was habe ich Dir zu Leid gethan? Bin ich denn Schuld? Du wirst nicht abreisen, liebe Nichte!“ rief jetzt Schnurr zur Treppe hinauf.

Rosa kam herab. Der Schulrath erschrak, aber er faßte sich unter den Worten: „es muß geschehen!“ Mit den Briefen und den ABC-Buchblättern in der Linken und die Rechte in die Brustöffnung des Fracks steckend, trat er an die Treppe. „Fräulein,“ sprach er gezwungen, „erlauben Sie mir vor Ihrer Abreise wohl noch eine Frage?“

„Es gibt Minuten im Leben, wo jede Frage uns lästig, jede Antwort uns schwer wird,“ entgegnete die Angeredete ruhig und still.

„Kann aber meine Antwort zu Ihrem Frieden dienen, so will ich sie gern geben. Wollen wir nicht in’s Zimmer treten?“

Schnurr öffnete die saubere Wohnstube und folgte den Eintretenden.

„Was wünschen Sie mich zu fragen?“ begann hier Rosa. „Sie scheinen zu zögern! – Aufrichtig gestanden, mein Herr – Sie begreifen, daß mir es genehm sein muß, wenn Sie alle Fragen unterlassen können, doch bin ich auch bereit, Ihnen zu dienen.“

„Nur die einzige Frage, Fräulein, erlauben Sie mir,“ antwortete verlegen der Schulrath, „kannten Sie – kennen Sie – ist nicht mit Ihnen der Schauspieler Herr Rauschenbach bekannt?“

„Mein Herr,“ antwortete Rosa und trat stolz einen Schritt zurück, „mögen Sie diesen Namen nur aus dem Billet kennen, welches Ihr Herr Sohn an mich geschrieben, oder mag Letzterer Ihnen davon erzählt haben – es dürfte jetzt wenig Interesse für Sie haben, von einem Manne mit Ihnen zu sprechen, der die Schuld selbst trägt, daß ich nicht mehr mit ihm bekannt bin.“

„Also nicht mehr, – und warum nicht mehr?“ fragte der Schulrath nach einer Pause, „dürfte ich bitten, Fräulein?“

„Sie begreifen wohl, mein Herr,“ entgegnete mit schmerzlichem Lächeln Rosa, „daß es gegen das Gefühl der Frauen läuft, wenn sie von den Gebrechen eines Mannes reden sollen, der ihnen näher stand – Frauen sollen entschuldigen und zudecken. Und bedenken Sie, mein Herr, in welcher Stellung ich mich Ihnen gegenüber jetzt befinde. Haben Sie noch sonst eine Frage? Ich bitte um Eile – ich reise in dieser Stunde ab, und habe noch zu packen.“

Der Schulrath sah zerstreut vor sich hin, dann erhob er unruhig seinen Blick wieder zu dem Mädchen und sprach: „Ich hätte noch so Manches zu fragen.“

„Besorge mir einen Wagen, lieber Oheim!“ wendete sich Rosa an Schnurr.

„Du wirst doch nicht reisen, liebe Nichte, Du wirst nicht?“ bat dieser.

„Herr Schnurr, ich glaube, das Fräulein hat den richtigen Takt,“ warf der Schulrath hin.

„Takt, Takt!“ entgegnete Schnurr. „Aber was gibt’s denn im Garten?“ fuhr er fort, „wer kommt denn durch die Hinterthüre?“

Man hörte das Zuschlagen der Hofthüre, die zum Obstgarten führte; starke Schritte klangen schon durch die Hausflur.

„Das kann doch die Magd nicht sein,“ setzte Schnurr hinzu und wollte hinaus. Draußen erklang Theodor’s Stimme. Rosa bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht und floh in’s Nebengemach, ohne ein Wort, ohne einen Laut von sich zu geben.

Schnell öffnete sich die Stube. Herein trat der Assessor Theodor.


V.


„Theodor, Du?“ rief erschrocken der Schulrath.

„Ich, mein Vater! Willst Du zürnen, so thue es!“ sagte

Theodor fest und ruhig. „Der heutige Tag ließ mich das erste

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