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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Und wohin war er neulich gereist?“

„Nach Berlin.“

„Wann?“

„Vor zwei Monaten.“

„Gut, Herr Schnurr, es wäre möglich, daß ich diese Antworten brauchte.“

Schnurr, dem das sehr räthselhaft vorkam, verbeugte sich vor seinem Gebieter. Dieser trat wieder näher. Beide horchten von Neuem der gewandten Lehrerin zu.

Nach etwa einer Viertelstunde schloß diese den Unterricht im Rechnen.

„Ich bin zufrieden mit euch!“ sagte sie, „und nun das Zweite! theils zur Ergötzlichkeit, theils zum Lernen! ich werde katechisiren!“

„Ah, ah!“ riefen fröhlich und in lauter Bewegung sämmtliche Kinder, „der Wolf und das Winkelmaß! die Nonne und der Nagelbohr!“

„Da haben wir’s!“ seufzte Schnurr, „was thun wir?“

„Treten Sie auf die Seite!“ befahl der Schulrath, „daß Sie nicht helfen können, sehe ich!“

Erschrocken wich Schnurr zurück. Der Schulrath klopfte an die Thüre, Rosa rief: „Herein!“

„Was nun?“ fragte unentschlossen der Schulrath. „Gehe ich hinein, so gibt es eine Scene! katechisiren aber über die Bilder kann ich sie nicht lassen, wer weiß, was sie da vorbrächte!“

Er klopfte nochmals, öffnete die Thüre ein Stück, und rief so freundlich und ruhig, als er es vermochte, in die Schulstube hinein: „Fräulein, Sie haben vortrefflich unterrichtet! Kommen Sie doch gefälligst, ich muß Ihnen wirklich mein vollstes Lob –“

„Sie kleiner Schmeichler!“ fiel schelmisch die Lehrerin ein und ergriff die in der Nähe liegende Ruthe und drohte mit derselben nach der Thüre hin.

Die Kinder lachten, der Schulrath klappte schnell die Thüre zu, erschrocken rufend: „Mein Gott! das fehlte noch! und nun katechisiren über die Bilder, dieses Instrument in der Hand!“

„Der Herr Doctor irrten sich wahrscheinlich, ich habe das Instrument!“ tröstete Schnurr und deutete auf das Pistol.

„Aufgepaßt!“ commandirte es drinnen, und man hörte einige Ruthenschläge auf den Tisch, „jetzt werde ich die Bilder vorzeigen!“

„Fräulein!“ rief mit dem Ausdrucke der Angst schnell durch die wiederum ein Stücklein geöffnete Thüre der Schulrath, „Fräulein, ich bitte Sie, ich sehe jetzt ganz, was sie sind!“

„Wirklich? Sehen Sie es? sehen Sie es ganz?“ fragte Rosa überrascht und mit jener ernsten Innigkeit, welche wir schon einmal an ihr wahrnahmen.

„Gewiß, ich erkenne es gründlich!“ versicherte Jener, „aber kommen Sie, ich habe eine Bitte!“

„Und ich bin fertig!“ erklärte Rosa, und legte die Ruthe aus der Hand. „Kinder,“ ermahnte sie noch ernst, „verhaltet euch ruhig, bis mein Oheim kommt!“

„Fräulein, was Sie sind, sind Sie meisterhaft!“ redete der aus seiner Angst erlöste Schulrath die Heraustretende an. Rosa lächelte, schüttelte das Haupt, sah ihn wiederum forschend an, als studire sie sein Gesicht, seinen Kopf unter irgend einer Erinnerung.

„Sie blicken so ernst mich an, Fräulein? Was fällt Ihnen auf an mir?“

„O nichts, nichts,“ entgegnete leise zusammenzuckend Rosa, und legte die Hand an die Stirn. „Sie sind noch immer ein schöner Mann.“ Sie sprach diese Worte ohne galante Emphase, ruhig, fast mit einem Anstriche von Wehmuth. „Mit der Schule sind wir fertig,“ fuhr sie dann lächelnd fort, indem sie ihm die ABC-Buchblätter gab, „ich weiß, daß Sie Angst hatten, und Sie wissen nun, daß ich Schauspielerin bin.“

„Das wußte ich schon vorher,“ entgegnete der Schulrath.

„Vorher? Also doch von Dir, Oheim?“ wendete sie sich nach Schnurr hin.

„Von mir kein Wort!“ versicherte dieser.

„Ich wußte es schon, ehe ich in’s Schulhaus trat,“ erklärte ernst der Vorige, „Fräulein, und ich weiß noch mehr.“

„Noch mehr? Mag das sein. Sie können von mir nichts Unrechtes wissen,“ gab Rosa zur Antwort. „Und was wissen Sie?“

Der Schulrath wendete sich unruhig ab, that einen raschen Gang durch den Hausraum, kehrte zurück auf seinen alten Platz.

„Mein Herr, Ihre jetzige Haltung befremdet mich,“ sprach mit ruhiger, stolzer Würde nun Rosa. „Das einzige Gut, das ich besitze, ist meine Ehre. Ich muß Ihnen das sagen, weil ich Schauspielerin bin. Mein Herr, was hält Sie ab, mir zu eröffnen, was Sie von mir wissen?“

„Herr Schnurr!“ versetzte der Schulrath nach einigem Schwanken und mit unsicherer Stimme, während er wie zitternd mit der Dose spielte, die Augen aber fest auf Rosa richtete.

„Haben der Herr Doctor zu befehlen, daß ich mich entferne?“ fragte Schnurr unterwürfig.

„Im Gegentheil,“ fuhr Jener unruhig fort, „Ich habe mit Ihnen zu sprechen, Herr Schnurr. Ihre Schulmädchen könnten einen kleinen Act machen und zwar unter Ihrer Führung. Ein kleiner Aufzug, Kränze, weiße Kleider, ein hübscher Gesang, das würde so etwa das Nöthige sein. Nach einigen Tagen nämlich wird die Braut meines Sohnes hier durchreisen; mein Sohn wird ihr bis in’s Dorf entgegenkommen; es wäre mir lieb, wenn Sie mit Ihren Schulkindern –“

„O, ich verstehe,“ versetzte Schnurr erfreut, „also Bräutigam der Herr Sohn? ich bringe dem Herrn Vater meine herzliche Gratulation dar!“ fügte er unter Verbeugungen hinzu.

„Und Sie kennen meinen Sohn, Herr Schnurr?“

„O, zu dienen!“

„Sie dürften vielleicht bei der freundlichen Begrüßung der Braut seinen Namen gebrauchen. Wissen Sie, wie mein Sohn heißt?“ „Theodor!“ rief Schnurr, „zu dienen! da könnte man den Namen aus Blumen bilden.“

„Theodor?“ wiederholte kaum hörbar Rosa und trat einen Schritt zurück, flüchtig und nur mit einem Blicke die Züge des Schulrathes musternd, und dann erröthend die Augen niederschlagend.

„Und Sie wußten noch nicht, daß er Bräutigam?“ fragte der Schulrath weiter. „Wußten Sie auch nicht, daß er neulich verreist gewesen?“

„Das wußte ich, der Herr Assessor Theodor war in Berlin,“ entgegnete Schnurr.

„Sie können diesen Umstand vielleicht ebenfalls bei der kleinen Feier benutzen, – und wann war er in Berlin?“

„Zu dienen, der Herr Assessor Theodor waren vor etwa zwei Monaten in Berlin.“

Rosa erblaßte. Sie legte die Hände vor’s Gesicht, und wendete sich seitwärts.

„Das würde sich bei der Feier kaum anbringen lassen,“ meinte der Schulrath, dem nichts entging, was mit Rosa sich zutrug.

„Und doch,“ erinnerte Schnurr, „wenn der Herr Doctor erlauben, könnte man das richtige Datum des Verlobungstages ebenfalls aus Blumen winden.“

„Ich werde Ihnen das Datum später sagen,“ antwortete der Schulrath, „es ist vielleicht auch nicht nöthig,“ setzte er zerstreut und nicht ohne Bewegung hinzu, die Augen noch immer auf Rosa gerichtet.

Diese aber, beharrend in der abgewendeten Stellung, zog die Hände jetzt nieder vom Gesicht, griff tief in ihren Busen und nahm aus einem Medaillon einen kleinen, zusammengefalteten Papierstreifen hervor. Denselben öffnend und dann mit feuchten Augen überfliegend, trat sie zu Schnurr und fragte leise: „Oheim, kennst Du vielleicht diese Handschrift? Lies nicht laut. Sage blos ja oder nein.“

Schnurr las. Verwundert besah er den Zettel, drehte ihn vor den Augen hin und her. „Also blos ja oder nein?“ fragte er.

„So bitte ich,“ erwiderte Rosa bleich und gespannt.

„So muß ich nein sagen, aber sonderbar, diese Unterschrift, wenn ich nur wüßte, kennst Du denn –“

„Still, lieber Oheim!“ bat Rosa, und nahm den Papierstreifen. Sie legte sinnend die Hand an die Stirn. Man sah, wie der Papierstreifen in der schönen Hand zitterte.

„Mein Herr,“ sprach sie, indem sie das gesenkte Haupt erhob, „das muß zu Ende! Jetzt glaube ich Ihr Wort zu verstehen! Sagten Sie nicht, Sie wüßten noch mehr? O lassen Sie uns aufrichtig sein! Aus meinem heitern Spiel ist ein heiliger Ernst gestiegen, diese Augenblicke sind kein Spiel!“ Leuchtende Thränen in den Augen trat sie zum Schulrathe und fragte: „Kennen auch Sie diese Handschrift nicht?“

Der Schulrath nahm das Billet. Auch in seiner Hand zitterte dasselbe, und geschrieben auf dem Billet standen die Worte, welche der Schulrath vernehmbar, aber mit bewegter Stimme las:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_522.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)