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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Abends regelmäßig mit zu Bett. Es zeigte weder Falschheit noch Tücke, ließ sich vortrefflich ziehen und wurde schließlich dahin gebracht, daß es weder naschte, noch unseren Stubenvögeln zu Leibe ging, obwohl sein Jägertalent im Uebrigen mit der Zeit immer mehr zunahm.

Im nächsten Jahre warf die nunmehr erwachsene Katze zum ersten Male Junge. Wir nahmen ihr dieselben bis auf zwei prächtige Cyper, welche sie mit der größten Liebe pflegte. Da brachte man uns drei noch blinde Eichhörnchen, welche von uns großgezogen werden sollten. Trotz aller Sorgfalt starben jedoch sehr bald zwei der zarten Thierchen unter unserer Pflege, und wir mußten fürchten, auch das dritte einzubüßen. In dieser Noth kam uns der Gedanke, der verlassenen Waise eine Mutter in der säugenden Katze zu geben. Sie erfüllte das in sie gesetzte Vertrauen vollständig. Mit Zärtlichkeit nahm sie das fremde Kind unter ihren eigenen auf, leckte und wärmte und nährte es auf’s Beste und behandelte es gleich vom Anfange an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung. Das sonderbare Kleeblatt wuchs auf und gedieh ausgezeichnet; die Kätzchen wurden entwöhnt und weggegeben; das Eichhörnchen aber blieb bei seiner Pflegemutter. Nunmehr schien diese das reizende Geschöpf mit dreifacher Liebe zu betrachten. Man konnte unmöglich ein innigeres Verhältniß sehen, als das zwischen Beiden bestehende. Die Mutter rief nach Katzenart, Hörnchen antwortete mit Knurren; Beide aber verstanden sich gegenseitig vollständig. Das hübscheste Schauspiel gewährten Beide, wenn die Katze ihr liebes Pflegekind spazieren führte. Leicht und anmuthig schritt die gelenke Mutter voran, schwerfällig humpelte das Eichhörnchen hinterdrein. Jeden Augenblick sah sich Jene nach ihrem Lieblinge um; blieb er zurück, so rief sie ihn durch Miauen heran; schien er müde, so blieb sie geraume Zeit mit ihm stehen. Nun sollte das Eichhörnchen unterrichtet werden. Die Sache ging auffallend leicht, wenn die Mama eine natürliche Begabung ihres Pflegekindes erproben und ausbilden wollte, schwer, wenn sie demselben alle Kunststücke der Katzen beibringen wollte. Mit wahrhaft komischer Ueberraschung bemerkte die Lehrerin, daß ihr Schüler der Anleitung zum Klettern und der nothwendigen Warnungen dabei gar nicht bedurfte, sondern eigentlich von selbst schon diese Kunst ausgezeichnet zu handhaben verstand; mit Verwunderung mußte sie erfahren, daß dagegen alle geschickt auf die Erregung der Fanglust gerichteten Schwanzbewegungen auf den Zögling gar keinen Eindruck machten.

Als die Katze ihr Pflegekind zum ersten Male über einen hohen und schmalen Steg nach dem jenseitigen Ufer unseres Dorfbaches führte, schritt sie mit größter Vorsicht und unter fortwährenden Zurufen voran; das Eichhörnchen war aber eher am andern Ufer, als seine Führerin, und wurde deshalb von dieser sehr geliebkost. Später kam es oft vor, daß bei den Spaziergängen der nach und nach sich fühlende Pflegling auf den Bäumen von Krone zu Krone dahinlief, während die Mutter unten hin ging; bisweilen kletterte sie ihm verwunderungsvoll auch wohl nach, setzte sich still auf einen Ast und beobachtete mit Mutterlust und einiger Angst die kühnen Sprünge des bald auf den Bäumen eingewohnten Zöglings. Dieser gehorchte seiner Pflegerin musterhaft. Sie that ihm ebenso viel zu Willen, als alle Katzen ihren Kindern zu thun pflegen, brauchte aber, wenn sie Gehorsam verlangte, auch nur ein einziges Mal zu rufen, um des gewünschten Erfolges gewiß zu sein. Die gegenseitige Freundschaft und Zärtlichkeit währte fort, bis das Eichhörnchen durch einen unglücklichen Zufall das Leben verlor. Die Mutter suchte und rief es mehrere Tage lang und besah und beroch wehmütig jedes ausgestopfte Eichhörnchen, das wir ihr vorhielten.

Wir Kinder kannten damals die vortreffliche „gemeinnützige Naturgeschichte“ von Lenz noch nicht; der Fall war uns daher ganz neu, höchst anziehend und merkwürdig. Eifrig suchten wir nunmehr jede Gelegenheit auf, die Pflegemutterliebe unserer ausgezeichneten Katze zu erproben. Im Verlaufe ihres ferneren Lebens säugte sie willig junge Kaninchen, Ratten (!) und junge Hunde; andere passende Pfleglinge bekamen wir nicht. Ein schönes Nest junger Iltisse wurde uns leider durch den Grimm eines Bauers entrissen, jedenfalls würde die Katze auch diese Thierchen angenommen haben. Einst warf unser Hund zugleich mit ihr. Das war nun natürlich ein wahrhaft freudiges Ereigniß für’s ganze Haus, und von uns wurden die allerverschiedensten Versuche gemacht. Zunächst mußten sich die beiden Wöchnerinnen bequemen, ihre Kinder dicht nebeneinander zu säugen. Nun wurde der Katze ein junges Hündchen angelegt. Sie nahm es ohne Weiteres an, leckte und pflegte es. Hierauf wurde das Umgekehrte versucht: die säugende Hündin erhielt eine junge Katze zum Pfleglinge. Schon beim bloßen Anblick des fremden Geschöpfes zeigten sich verdächtige Falten auf ihrer Nase; die hierauf folgende sehr sorgfältige Prüfung des kleinen Wesens durch den Sinn des Geruchs schien ein ihm sehr ungünstiges Ergebniß herbeigeführt zu haben; denn das Nasenrümpfen wurde so arg, daß die blanken Zähne zum Vorschein kamen. Unser Machtspruch wandelte zwar die beabsichtigte Züchtigung oder möglicherweise gar die Vernichtung des armen schwachen Fremdlings zu einem dumpfen Knurren um; als wir aber der bösen Stiefmutter die versagte Liebe abzwingen wollten, stand sie entrüstet auf und verließ das Zimmer. Später trug sie auch stets ihre Kleinen aus der ihr unangenehmen Nähe der jungen Katzen weg. Mietz dagegen säugte ruhig die ihm angelegten jungen Hunde.

Eine Tochter dieses liebenswürdigen Thieres wurde nebst zwei Jungen zu einem Freunde meines Vaters gebracht, weil dieser zwei kleine seit Kurzem verwaiste Kätzchen von ungefähr gleicher Größe der Kinder unserer Katze besaß und ihnen gern wieder eine Pflegerin geben wollte. Die Tochter zeigte sich ihrer Mutter würdig. Sie nahm sich der fremden Kleinen treulich an, und erzog sie mit den ihrigen, gab diesen aber doch den Vorzug. Eines ihrer Pfleglinge fiel beim Spiel vom Dache herab auf das Pflaster des Hofes und starb; das andere blieb leben. Einst ging sie mit ihrer Schaar in den Hof, leitete ein Spiel ein und verließ dann die sich damit beschäftigenden Sprößlinge, um für sie in der nahen Scheuer zu jagen. Nach sehr kurzer Zeit erschien sie mit einer Maus im Rachen und gab diese ihrer Lieblingstochter; verließ sie aber sogleich wieder, um ihre Jagd fortzusetzen. Der Pfarrer, ihr jetziger Besitzer, war, eben von der Ausarbeitung der Sonntagspredigt sich erholend, inzwischen auf die Gesellschaft aufmerksam geworden, und somit im Stande, den ferneren Verlauf der Fütterung abzuwarten; ihm verdanken wir den Bericht der Geschichte. Er sah nach geraumer Zeit die Jägerin mit einer zweiten Maus anrücken und diese ihrem zweiten Kinde überreichen. Dann begann die Jagd von Neuem. Die dritte Maus erhielt das Pflegekind, die vierte das zuerst gefütterte eigene, die fünfte das zweite, die sechste der Pflegling, die siebente wieder der Liebling; mehr fing sie nicht, und so kam es, daß der Letztere eine Maus mehr erhielt als die übrigen. Die Katze kannte also nicht nur ihre Jungen sehr genau, sondern wußte auch die Reihenfolge, in weicher sie gefüttert worden waren. Jedenfalls würde bei fernerer glücklicher Jagd auch das fremde Kind gleichmäßig bedacht worden sein.

Lenz führt viele Beispiele ähnlicher Pflege fremder Thiere durch Katzen auf. Die meisten sind durch englische Beobachter mitgetheilt worden, weil diese Leute den sehr richtigen Grundsatz verfolgen, auch das Geringste nicht der Veröffentlichung zu entziehen. White machte dieselbe Beobachtung wie wir über die Pflege junger Eichhörnchen durch säugende Hauskatzen, erzählt aber auch eine Geschichte, nach welcher eine Katze einen Hasen groß zog. Smith sah, daß eine Katze eine von ihr selbst gefangene junge Ratte an Kindesstatt annahm, als diese ihr ans Euter kroch, um zu säugen. Oberförster Skall erzählt von einem unter denselben Umständen aufgezogenen Hasen. Und so werden gewiß noch andere, die Gut- und Barmherzigkeit der Katzen beweisende Thatsachen beobachtet worden sein.

Mit dem Menschen lebt die Katze immer in treuer Freundschaft, sobald sie von ihm ordentlich behandelt wird. Sie hat gewöhnlich nicht so viel Anhänglichkeit an ihn, als sie der Hund besitzt, wird aber auch nur äußerst selten mit derselben Sorgfalt vom Menschen erzogen, wie dieser. Allerdings steht sie ihm an Geistesfähigkeiten nach, besitzt ihrer aber gewiß so viele, daß sich ihre Erziehung belohnt. Ein Hund, welcher sich selbst überlassen bleibt, ist ein pöbelhaftes Vieh; dies habe ich hundertfach in Egypten gesehen, wo sich gewöhnlich Niemand der halbwild herumlaufenden Köter annimmt. Sie werden bengel- und flegelhaft, tückisch, mißtrauisch, scheu und zeigen gar keine Aehnlichkeit hinsichtlich des liebenswürdigen Betragens unserer erzogenen, gebildeten und gesitteten Hunde.

Die Katzen unseres Hauses sind von jeher sehr freundschaftlich von uns behandelt worden, und beweisen uns daher ihre große Zuneigung und Anhänglichkeit. Zum Entsetzen der Frauen des Hauses tragen sie regelmäßig ihre frisch erlegte Beute vor unsere Augen, und verzehren sie erst, nachdem sie für ihre Arbeit und Geschicklichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_514.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)