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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

in welchem wiederum ein vier Fuß langer Griff aus hartem Holze steckt; die Spitze schneidet nach allen Richtungen und der Jäger ist leicht im Stande, die Lebensorgane des Thieres damit tödtlich zu verwunden, indem er ihm dieselbe zwischen den Vorderfüßen in die Brust stößt und schnell einige Male hin- und herbewegt. Es gehört jedoch große Gewandtheit und Geistesgegenwart dazu, sich vor dem Angriffe des 7–8 Fuß über den Kopf des Jägers emporragenden Thieres zu schützen, welches sich mit unwiderstehlicher Kraft vorwärts wirft, um seinen Feind zu erdrücken und mit seinen Zähnen zu ergreifen. Der Jäger ist genöthigt, der fallenden Masse schnell auszuweichen, indem er die Lanze mit sich zurückzieht; im Falle er jedoch vermuthet, ein Lebensorgan des Thieres getroffen zu haben, so springt er, die Lanze zurücklassend, schnell bei Seite, und das Thier stößt sich in seiner Wuth durch wiederholtes Fallen die Lanze immer tiefer in die Brust und verendet in kurzer Zeit.

In den Monaten vom November bis Januar ziehen sie sich vom Wasser zurück und suchen hohe, trockene und den Sonnenstrahlen ausgesetzte Theile der Inseln, um ihr Haar abzuwerfen und neues zu bekommen; man findet sie sodann an so hohen Orten, daß es unbegreiflich scheint, auf welche Weise das unbehülfliche Thier hinaufgelangt ist. Hinunter kommen sie sehr schnell, denn sie werfen sich von bedeutenden Erhöhungen ohne weitere Umstände senkrecht hinab und leiden davon nicht den geringsten Schaden. Sie sind zur Zeit ihres Haarwechsels sehr träge; sodaß man unter einer Heerde umhergehen kann, ohne daß diese die Flucht ergriffe oder den Störer anzugreifen drohte. Sie sind alsdann auch sehr empfindlich gegen Kälte und Regen und verkriechen sich unter dem Schutze von Felsen u. dergl. Ich habe Junge gesehen, welche, von der Wärme unserer Hütten angelockt, durch die Thür einkriechend plötzlich mitten unter uns erschienen; mit der Zeit wurden sie ganz zahm.

Während der Paarungszeit bekämpfen sich die Männchen unter einander, wobei die Weibchen die ruhigen Zuschauer spielen. Die Wuth, mit der sich die erstern angreifen, ist unbeschreiblich, und viele verenden, gänzlich in Stücke zerrissen, ihr Leben, die meisten tragen weit klaffende Wunden davon. Die aus der Schlacht siegreich hervorgehenden suchen sich jeder eine Heerde Weibchen aus und leben dann ohne weitere Streitigkeiten bei einander. Während ihrer Kämpfe ist ihnen leicht beizukommen, da sie zu dieser Zeit den sich nähernden Jägern keine Aufmerksamkeit schenken. Ein ausgewachsener See-Elephant gibt oft 80–100 Gallonen Oel von ausgezeichneter Güte, sein Fell ist jedoch von keinem erheblichen Nutzen und im Vergleich weniger stark, als das des Seehunds.




Das deutsche Einheitsfest in London.

Wir saßen in einem deutschen Hotel der City von London um einen runden Tisch, auf dem die Gläser unberührt standen. Vom Schillerfeste, dessen Gestaltung und Form uns – Schriftsteller, Kaufleute, Buchhändler, Künstler u. s. w. bisher beschäftigt hatte,[1] war in der heutigen Sitzung nicht lange die Rede gewesen, da von dem Momente an, als der Uhrzeiger das Ende der achten Stunde verkündete, Alles unruhig ward und die Besorgniß, daß er ausbleiben könnte, mit jeder Secunde stieg. Bis 8 1/2 Uhr suchte man sich gegenseitig zu überreden, daß er sich sicher einstellen werde. Hab’ er es doch versprochen. Aber er will morgen mit der ganzen Familie an die Walesküste reisen, hieß es; da hat er das Haus zu bestellen, zu packen und so viel zu thun, daß er es vergessen haben kann.

„Mein Gott! es ist sechs Minuten über halb. Es muß sofort Jemand hinaus. Rasch eine Droschke herbei! Wer fährt hinaus? Wir müssen ihn hier haben. Um zehn Uhr sind sie Alle hier. Die ganze Geschichte ist verfehlt, verpfuscht, wenn er nicht hier ist.“ – So rief Einer unserer Gesellschaft, wie ein Gummiball umherspringend, und mich halb mit Gewalt ziehend und zerrend, da er mich für den Geeignetsten hielt, den ersehnten Fehlenden herbeizuschaffen. Und so saß ich plötzlich in einer der berühmten zweirädrigen Londoner Sicherheitsdroschken, die so gut fliegen und sich durch Wagen und Verkehrsgedränge so aalartig glatt winden können, um von 3/4 9 bis 10 Uhr 10 englische Meilen durch das wagenbedeckte London zurückzulegen und den Ersehnten, Unentbehrlichen, den edeln Helden des heutigen Abends mitzubringen.

An sich ist’s heut zu Tage das gewöhnlichste Ding von der Welt, in einer Droschke zu fahren. Selbst eigene Equipage ist nicht viel Werth, wenn man dumm darin aussieht und klügere Leute stolz zu Fuße gehen. Aber dieser wilde Flug durch die größte, hunderttausendfach beleuchtete Ausdehnung Londons – hin und her – nahm unter diesen Verhältnissen doch einen ungewöhnlichen Charakter an. Der Wagenlenker hinten auf seinem hohen Sitze, nicht großer wie ein Suppenteller, durch extravagante Belohnungsaussichten halb wahnsinnig gemacht, flog durch die flammenden, flimmernden, in tausenderlei Lichteffecten zitternden, langen, krummen, auf- und absteigenden Straßen, zwischen unabsehbaren Wagenmassen hindurch, vor kreischenden, fliehenden Menschen vorbei, deren Rockzipfel oder Crinolinen er nicht selten streifte, mit der Wuth eines Berserkers und der Geschicklichkeit eines Jongleurs oder Zauberers. Der Pegasus oder das Flügelroß vorn galoppirte wild, muthig und doch vorsichtig, wild die Mähne bäumend und stolz den Kopf werfend, auch als es schon rauchte und der Athen, in langen, raschen Dampfströmen in die kühle Nachtlust hervorschoß. Die langen, unabsehbaren Lichter-Doppelreihen, die sich immer wieder nach jeder Wendung aus einer unabsehbar langen Straße vor mir aufthaten, und immer wieder ins Unendliche hinauszuirren schienen, die Lebensströme auf beiden Seiten, die Hunderte und immer wieder Hunderte von blendend beleuchteten Läden, dann wieder lange Doppelreihen von Palästen hinter Bäumen, Gärten und Blumen, die grünen Plätze, nie gesehene öffentliche Bauten, Kirchen, Hotels, stolze Säulenordnungen, deren Schatten bald auf kriechende Lumpen und dicht daneben auf fabelhaften Reichthum fielen, dann wieder schäbige, armselige, muffig riechende Gassen und nach ihnen breitere, noblere, reichere Palaststraßen – dieser rasche, zauberhafte Strom des unergründlichen Londoner Lebens bei Gaslicht – meine wilde Jagd, mein pochendes Herz, daß ich ihn nicht finden und so das ganze schöne Fest auseinander brechen könnte, dies Alles zusammen rief eine eigenthümlich trockene, gläubige Stimmung hervor, mit welcher es mir leicht ward, dem schäumenden, begeisterten, unermüdlichen Pferde, einem runden, derben, edlen Rosse, dem der Kutscher wirkungsvolle, gute, kosende Worte gab, statt es zu peitschen, ein Bewußtsein seiner Mission zuzutrauen. Sollte es doch den geehrtesten, populärsten deutschen Mann Londons und deutschen Dichter zu einem Feste der Liebe und Dankbarkeit bringen, und so das deutsche Einheits- und Verbrüderungsfest möglich machen! Und es that seine Schuldigkeit, und warf uns triefend, schäumend, dampfend, zitternd einen Blick geschmeichelten Selbstgefühls zu, als wir es an Ort und Stelle dankbar lobten und klopften und ihm Bier und Brod besorgen ließen. –

Kinkel war nun in unserer Mitte.

Mit Hartnäckigkeit verweigerten wir vorläufig jede Auskunft über Sinn und Zweck der ungewöhnlichen, mysteriösen Aufregung im Hotel und auf der Straße. Während wir ihn über die Berathungen zum Schillerfeste unterhielten, erleuchtete sich die Straße unten mit wandelnden Lichtern, die auf dichte Schaaren deutscher Männer und Jünglinge und eine unabsehbare Masse Volks hinflackerten. Endlich klopfte ihn Jemand auf die Schulter und machte ihn auf die große, weithin flatternde, zum Fenster des ersten Stockes hereinrauschende schwarz-roth-goldene Fahne aufmerksam. Er trat an’s Fenster, und wie er auf den langen, erleuchteten Halbkreis deutscher Männer und Jünglinge herabsah, drang das erste schöne, patriotische deutsche Lied als voller, kräftiger, vierstimmiger Männergesang herauf.

Sein erster Eindruck war ein zorniger. Er schritt kopfschüttelnd rasch im Zimmer auf und ab, und sprach über übel angewandte Freundschaft und das Peinliche einer ihm gemachten Parteidemonstration, in die man ihn gänzlich unvorbereitet geschleppt habe. Eine kurze Erklärung stimmte ihn sofort gänzlich um. Die vier größten

deutschen Vereine Londons, sonst isolirt, oft feindlich gegen einander

  1. Die Krystall Palast-Compagnie hatte unsrem Vorsitzenden vorgeschlagen, ein durchaus deutsches Programm durch Deutsche zu entwerfen, das sie mit allen ihren glänzenden Mitteln auszuführen sich bereit erklärt hat.
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