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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Elemente der Naturwissenschaften.

Von Emil Th–en.

In unserer Zeit des Fortschritts, wo Wissenschaften und Künste einen so hohen Grad von Ausbildung erreicht haben, sind es von erstern besonders die Naturwissenschaften, die sich, neben einer Staunen erregenden Erkenntniß unter den Eingeweihten, einer sehr großen Verbreitung unter den Laien erfreuen.

Die meisten Jünger, auch im Volke, zählen zu denselben die Chemie und Botanik, wohl auch die Mineralogie, und wie es den Anschein hat, ist eine Zeit nicht zu fern, in welcher eine gewisse Kenntniß dieser Wissenschaften, der Chemie zumal, eben so zum guten Tone gehören wird, wie jetzt eine solche der Classiker, sowie eine Fertigkeit in Musik.

Bei der populären wissenschaftlichen Bildung macht sich aber besonders ein Uebelstand bemerkbar, welcher der weiteren Ausbildung oft hemmend in den Weg tritt, ich meine den, daß sie bei den Meisten einer einigermaßen soliden Grundlage entbehrt. Will man jedoch irgend eine Wissenschaft treiben und zwar mit einigem Erfolg, so muß man zunächst einen festen Grund legen; es ist unbedingt das Erste, daß man sich vollkommen darüber klar wird, was die betreffende Wissenschaft eigentlich bezwecke, worüber sie von vorn herein handelt, daß man sie überhaupt zuerst in ihren Elementen zu erlernen sich bestrebt. Unterläßt man dies, so ist ein festes Wissen nie möglich, es fehlt der Grund, und ohne diesen ist ein festes Fortbauen nicht denkbar.

Die vorliegende Zeitschrift hat ihren geehrten Lesern schon eine sehr große, reichhaltige Auswahl von Aufsätzen aus allen Reichen der Naturwissenschaften gebracht, aber sicher fehlt noch vielen der Leser die erwähnte nöthige Grundlage, um sich vollkommen darüber verständigen, darin orientiren zu können. Es dürfte deshalb auch diese Arbeit geneigte Aufnahme finden, deren Zweck es sein soll, Aufklärung über genannten Punkt zu verschaffen.

Die Naturwissenschaften bilden, zu einem Ganzen zusammengefaßt, die Lehre von der Natur. Unter Natur versteht man, in wissenschaftlicher Beziehung, nicht den Gegensatz von Kunst, sondern alles mit den Sinnen Wahrnehmbare auf unserer Erde, die gesammte Körperwelt unseres Planeten. Die Lehre von der Natur nun, also von all diesen Körpern, zerfällt zunächst in zwei Haupttheile, nämlich in:

1. Naturkunde oder Naturlehre und
2. Naturbeschreibung oder Naturgeschichte.

Die Naturkunde lehrt uns, in welcher Weise die Naturkräfte auf die Naturkörper, und die Naturkörper unter sich auf einander einwirken; sie betrachtet die Veränderungen, die dadurch hervorgerufen werden, die natürlich der verschiedensten Art sein können, und wird wiederum in zwei Theile zerlegt, und zwar in 1. die Chemie und 2. die Physik.

Die Chemie lehrt diejenigen Einwirkungen der Naturkräfte und Naturkörper auf andere Körper erkennen, die zugleich eine Veränderung der Bestandtheile der letztern zu Folge haben, die also in so energischer Weise erfolgen, daß der Körper, auf den sie einwirken, zersetzt, zerlegt, in andere, von ihm verschiedene Stoffe umgewandelt wird.

Die Physik hingegen macht uns mit den Einwirkungen der Naturkräfte, also der Wärme, des Lichts, des Magnetismus, der Elektricität und des Galvanismus auf die Körper bekannt, bei denen nur eine Veränderung der äußern, sogenannten physikalischen Eigenschaften, nicht der Bestandtheile, der chemischen Eigenschaften, erfolgt. Chemische Einwirkungen sind hiernach bedeutend energischer und durchgreifender, als physische; erstere zersetzen, während letztere nur verändern, modificiren. – Ferner lehrt die Physik die allgemeinen Eigenschaften der Körper, wie die Eigenschaften der Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Theilbarkeit, Ausdehnbarkeit und Zusammendrückbarkeit, Porosität, Trägheit und Schwere, welche sämmtliche Naturkörper gemein haben.

Chemie und Physik, obwohl vollkommen verschieden, gehen doch sehr oft Hand in Hand, chemische und physikalische Processe kommen oft vereinigt vor, und besonders häufig dienen chemische Processe dazu, um physikalische Veränderungen hervorzubringen. – Es findet z. B. ein chemischer Proceß statt, wenn Holz verbrannt wird, denn es werden hier ganz andere Körper, als das Holz ist, gebildet, die wir im Rauche entweichen, im Ruße sich absetzen sehen; aber das Eisen, welches im Feuer schmilzt, das Wasser, welches darin kocht, bleiben Eisen und Wasser, sie verändern sich nur äußerlich, nur physikalisch, ersteres wird flüssig, letzteres dampfförmig.

Die Naturgeschichte oder Naturbeschreibung nun, der zweite Theil der Lehre von der Natur, beschreibt uns die einzelnen Naturkörper, wie sie sich uns zeigen, wie sie uns erscheinen, und zwar sowohl in ihrer äußeren Form, als auch in ihrer innern Beschaffenheit, so daß wir sie unterscheiden lernen. Sie theilt dieselben in lebende und leblose, und lehrt die Lebens-, Ernährungs- und Fortpflanzungsweise der erstern, sowie die Bildungsweise der letztern.

Dieselbe zerfällt in drei Theile, da sämmtliche zu betrachtende Naturkörper dreierlei Art sind, und zwar in 1. Zoologie, 2. Botanik und 3. Mineralogie.

Die Zoologie ist die Lehre von den Thieren, die Botanik die von den Pflanzen und die Mineralogie die von den Steinen, Mineralien. Während also die beiden ersten Theile die lebenden, organisirten Wesen betrachten, beschäftigt sich die letztere mit den leblosen, unorganischen Körpern.

Selbstverständlich ist das Material dieser einzelnen Wissenschaften ein sehr großes, weshalb man Thiere sowohl wie Pflanzen und Mineralien, je nach ihrer äußeren und inneren Aehnlichkeit, also nach ihren Verwandtschaftsgraden, in Classen, Familien, Ordnungen etc. theilt, und die dadurch entstehenden Systeme zu lehren, ist, neben der schon erwähnten Beschreibung der einzelnen Individuen, eine Aufgabe der Naturbeschreibung und jedes Theils derselben.

Nun finden sich aber noch Körper in der Natur, die im Grunde zu den schon betrachteten gehören, aber doch auch wieder verschieden von denselben sind, nämlich die Versteinerungen oder Petrefacten. – Es waren dies ursprünglich Thiere oder Pflanzen oder Theile von diesen, welche aber bei vorzeitlichen und vorweltlichen Erdumwälzungen mit Felsmassen umgeben wurden, und deren organisirte Masse mit der Zeit durch unorganische, unter Beibehaltung der äußeren Form des betreffenden Körpers, verdrängt worden ist, die versteinert sind. – Die Wissenschaft, welche sich mit diesen Versteinerungen beschäftigt, heißt Versteinerungslehre, Petrefactologie.

Nach Vorstehendem hat man also folgendes System der Naturwissenschaften:

I. Naturkunde oder Naturlehre.
     1. Chemie.
     2. Physik.
II. Naturbeschreibung oder Naturgeschichte.
     3. Zoologie.
     4. Botanik.
     5. Mineralogie.
     6. Petrefactologie.

Nachdem ich nun diese Erklärungen mit der systematischen Zusammenstellung vorausgeschickt habe, werde ich etwas näher auf jede der obengenannten Wissenschaften eingehen. Natürlich muß ich mich stets sehr elementar halten, um einem möglichst allgemeinen Verständniß keinen Abbruch zu thun.

Die Chemie. – Die Chemie betrachtet die Naturkörper in den Veränderungen ihrer Bestandtheile, und da erstere zweierlei Art sind, entweder lebend, organisirt, oder leblos, unorganisirt, so zerfällt sie in zwei Haupttheile, in 1. die organische und 2. die unorganische Chemie, so daß sich also erstere mit den thierischen und pflanzlichen, letztere mit den mineralischen Stoffen beschäftigt.

So viele Körper es nun auch in der Natur gibt, so werden sie doch alle von einer verhältnißmäßig ungemein kleinen Anzahl einfacher Stoffe, sogenanter Elemente gebildet. Unter Element, auch Grund- oder Urstoff genannt, versteht man einen Körper, der durch kein uns zu Gebote stehendes Mittel in mehrere andere zerlegt werden kann, der ein einziges, unzersetzbares Ganzes bildet. Solcher Elemente kennt man bis jetzt 63, doch will ich hier nur einige nennen, als: Sauerstoff, welcher einen Theil der Luft und des Wassers ausmacht; Wasserstoff, der im Wasser enthalten ist; Stickstoff, Kohlenstoff, Schwefel, Phosphor, Eisen, Blei, Quecksilber, Kupfer, Zinn, Zink, Silber, Gold etc. Die Grundstoffe vereinigen sich in der mannichfaltigsten Weise unter einander

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_455.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2023)