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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

O Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt!

Sendschreiben an meinen Sohn, den preußischen Landwehrmann.[1]
Mein lieber Alfred!

Die Trommeln wirbeln durch unser deutsches Land, und auch Du ziehst mit in den Kampf. Daß er, wenn er zum Ausbruch kommt, so blutig sein wird, wie je zuvor irgend ein Krieg gewesen, darüber darfst Du Dich nicht täuschen; es steht uns ein Weltbrand bevor, in welchem die Geschicke und die künftige Stellung der großen Völker unseres Erdtheiles auf lange Zeit hinaus entschieden werden. Darum wird es sich handeln, ob Frankreich, wie seit länger als zweihundert Jahren, so auch künftig das traurige Vorrecht behalten soll, nach Belieben die Ruhe Europa’s zu stören und eigennützige Zwecke zu erstreben, oder ob endlich einmal unter den Staaten ein regelrechtes Verhältniß zur Geltung kommen solle. Deutschland muß endlich die ihm gebührende Machtstellung erhalten.

So wie die Dinge geworden sind, können und dürfen sie nicht bleiben; die Spannung hat den höchsten Grad erreicht und das Schwanken wird unerträglich. Nur Leute ohne politisches Urtheil haben sich dem Wahnglauben hingeben können, daß der Krieg in Italien, welchen Napoleon der Dritte, eigensüchtig und um seine Macht zu vergrößern, vom Zaune gebrochen, auf die Halbinsel jenseits der Alpen beschränkt bleiben, daß er „localisirt“ werden könne. Wirf nur einen Blick auf das illyrische Dreieck, wo das ganze danubische Völkergewimmel in Bewegung gebracht worden ist, wo bei Serben, Bosniaken, Walachen, Montenegrinern, Bulgaren und christlichen Arnauten der weiße Czaar und der Mann des zweiten Decembers ihre Hebel ansetzen, um das Bestehende aus den Angeln zu rücken. Diesen Südosten hat Rußland sich zur Beute erkoren und sein Kampfpreis ist Constantinopel. Es verbindet sich mit dem Pariser Czaaren, der Hand in Hand mit der Revolution, die er ausbeuten wird, zunächst Italien an seinen Siegeswagen kettet. Aber Italien ist ihm doch nur Mittel: der Zweck ist eine Schwächung Deutschlands, eine Eroberung und Einverleibung unserer Rheinlande und Belgiens. Die napoleonische Idee hat sich darauf gesteift, die Scharten von Leipzig und Waterloo wieder auszuwetzen.

Darum, Ihr Wehrleute, haltet gute Wacht. Ihr werdet eine schwere Arbeit haben, denn der Feind ist kühn und stark; aber der vereinten deutschen Macht wird er nicht überlegen sein, und kein Deutscher, der eine Waffe trägt, wird sich vor Zuaven, Turcos oder anderen Barbaren fürchten. Ziele gut, mein Sohn, und geht es an’s Handgemenge, so nimm Deinen Kolben und schlag drein, daß es flutscht, wie an der Katzbach. Fällst Du, nun so wirst Du mit Ehren fallen und für eine heilige Sache, und Du hast Deine Schuldigkeit gethan.

Aber ich hoffe, Du kehrst siegreich heim, unsere deutsche schwarz-roth-goldene Fahne voran; denn sie wird das allgemeine Feldzeichen sein müssen, zu welchem die Fahnen unserer Einzelstaaten sich verhalten, wie Richt-Standarten zur Regimentsfahne. Wir bedürfen eines allgemeinen Reichsbanners, an dem unser Volk mit Liebe hängt.

Und wird, wie ich glaube, unseren deutschen Waffen der Sieg beschieden, dann fehlt uns auch der Kampfpreis nicht. Er kann nur einer sein, und es ist unsere Aufgabe, ein heilloses geschichtliches Unrecht wieder gut zu machen. Der alte Arndt hat es in seinem herrlichen Kriegsliede gesagt:

Mein einiges Deutschland, mein freies, heran,
Wir wollen ein Liedlein euch singen,
Von dem, was die schleichende List euch gewann,
Von Straßburg und Metz und Lothringen.
Zurück sollt ihr zahlen, heraus sollt ihr geben,
So stehe der Kampf uns auf Tod und Leben.
So klinge die Losung: Zum Rhein, übern Rhein!
Alldeutschland in Frankreich hinein!

Nur durch den Besitz deutscher Lande, welche Kaiser und Reich zur Zeit unserer unglückseligen Kirchenstreitigkeiten schmachvoll hinopferten, ist Frankreich so mächtig geworden, daß seine Stellung für Europa und insbesondere für Deutschland so bedrohlich geworden, und glaube es mir, mein theurer Alfred, es gibt keine Sicherheit und keine dauernde Ruhe für unsern Erdtheil, so lange jene abgerissenen ehemaligen Reichslande sich in den Händen des wetterwendischen Volkes der Franzosen befinden, die sich immer von einem Extrem in das andere treiben lassen.

Du erinnerst Dich, wie oft ich Dir von dem erzählte, was ich auf meinen Wanderungen durch das Elsaß gesehen, diesen Garten Europa’s, welchen kerndeutsche Leute allemannischen Schlages bewohnen. Seit nun zweihundertundzehn Jahren sind sie staatlich mit Frankreich verbunden, welchem sie durch den unseligen westphälischen Frieden überantwortet wurden. Sie haben sich mit den „Wälschen“ in ein und demselben Staate zusammengelebt; sie haben ihnen die besten Regimenter, namentlich Reiter, geliefert und sind ein Anhängsel der Franzosen geworden. Das ist für deutsche Menschen eine klägliche Rolle, und der „elsässische Klotzkopf“ (denn das soll tête carrée allemande auf den Pariser Theatern bedeuten) ist eine Spottfigur geworden; aber trotzdem haben sich diese vierschrötigen, etwas schwerfälligen, aber urtüchtigen allemannischen Elsässer an den französischen Staat gewöhnt, weil er groß und einheitlich war. Das imponirt ganz anders und gibt einen stärkeren Bindekitt als vielköpfige Kleinstaaterei ohne eine kräftige Bundesgewalt. Es liegt allemal etwas Stolzes darin, einem großen Ganzen anzugehören; und ist es nicht beim Heere eben so? Die Leute vom lippeschen oder hessischen etc. Bundescontingent sind an sich gewiß eben so tüchtig, wie jene der übrigen, aber es gibt doch einen ganz anderen Strich, wenn sie mit den übrigen zusammenstehen und einen Bestandtheil eines deutschen Heeres von einer halben Million Kriegern ausmachen. Das leuchtet auch beschränkten Köpfen ein!

Ich werde den Tag nicht vergessen, an welchem ich zum ersten Male den Fremersberg bei Baden-Baden bestieg. Es war an einem herrlichen Sommerabend, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang. Vor mir lag das herrliche, üppige Rheinthal von Worms und Speier bis aufwärts zu den Grenzen des Sundgaues ausgebreitet; der Strom schlängelte sich hindurch wie ein riesiges Band von Silber; die Gipfel der Vogesen und die scharf eingeschnittenen Berge der Haardt wurden von den Strahlen der Sonne vergoldet, und an den Abhängen lagerte ein veilchenblauer Duft, der sich allmählich immer tiefer färbte. Das Auge weidet sich an dieser prächtigen Landschaft, in welcher unzählige Städte und Dörfer zerstreut liegen, aber am Ende bleibt es ruhen auf dem Straßburger Münster, dessen hoher Thurm wie ein gewaltiger Mast in die Lüfte ragt.

Da lag Straßburg vor mir, einst der Schlüssel zum deutschen Reiche, als Festung eine „Jungfrau“, die nie zuvor einem Feinde die Thore geöffnet, bis sie durch Schwäche des Reiches und durch Verrath in die Gewalt Ludwig’s des Vierzehnten von Frankreich fiel. Ueber mich kam tiefe Wehmuth und ein unbeschreiblich schmerzliches Gefühl. Ich sah die Höhen des Wasgau, welche im Südwesten Deutschlands Thermopylen bilden; ich dachte an den Ausspruch Karl’s des Fünften, der kurz und bündig lautet: „Wenn Wien und Straßburg vom Feinde bedroht wären, so würde ich im Nothfalle jenes preisgeben, um dieses zu retten.“ Und doch ist die wichtigste Festung Deutschlands, in einer Zeit kläglicher Schwäche und Erniedrigung, preisgegeben worden!

Das war schmachvoll, aber es ist noch unendlich schmachvoller und es treibt einem den Zorn und den Grimm in alle Glieder, wenn man daran denkt, daß eine elende Diplomatie nach des corsischen Napoleon Sturz die geschichtliche Sünde nicht wieder gut machte und, von gegenseitiger Eifersucht angestachelt, von legitimistischem Wahnwitz getrieben, Straßburg sammt dem Elsaß an dieselben Bourbons zurückgab, deren Vorfahren beide dem Reiche geraubt hatten. Diese Rückgabe deutscher, von uns wieder erworbener Lande an die Franzosen gehört zu den historischen Niederträchtigkeiten der abscheulichsten Art. Die deutschen Fürsten haben Vieles wieder gut zu machen, um solche Dinge in Vergessenheit zu bringen.

  1. Obwohl wir uns mit einigen Ansichten des geschätzten Einsenders über die politische Situation des Augenblicks und deren nothwendige Folgerungen nicht ganz einverstanden erklären können, so glauben wir doch den Worten eines bewährten Patrioten, die ein so echt nationales Gepräge tragen, ein Ehrenplätzchen in unserer deutschen Gartenlaube nicht versagen zu dürfen. In der Absicht stimmen wohl alle Freunde des Vaterlandes mit dem Briefschreiber überein, wenn auch die Ansichten über Erreichung des schönen Zieles etwas von den seinigen differiren dürften. D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_401.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)