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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Charakter des Menschen, der mit mir in Berührung tritt, belehrt zu werden. Ich durchschaue ihn im Nu bis zu Herz und Nieren. Mein Blick hat magnetisch-mesmerische Kraft; wer meiner Einwirkung unterworfen ist, fühlt seine Glieder gelähmt, ihm verschwindet die Sehkraft, und der ganze Mensch ist meinem Willen überlassen.“ Es gibt freilich Menschen, welche dem Schwinden der Sinne nicht in solchem Maße unterworfen sind, aber auch sie gehorchen wenigstens dem Blicke des sykologistischen Herrn und Meisters, wie der Hund seinem Gebieter; auch sie denken sich, ganz wie er es will, in das Wesen anderer Menschen hinein, und zwar so sehr, daß es schwer hält, sie zu überzeugen, sie seien nicht selber jene Person, in welche sie sich hineindenken. Die Sykologisten haben z. B. vor einem staunenden Publicum den lebendigen Magyaren Kossuth, den verstorbenen amerikanischen Staatsmann Heinrich Clay und andere öffentliche Charaktere personificirt, und die gläubige berückte Menge sah den „Professor der Sykologie“, der eine so große Gewalt über die Seelen zu haben schien, mit Zittern an. Die befangenen Menschen wollten nicht zugeben, daß Alles eine Gaukelei sei, welche sie mit einem Viertelthaler bezahlten, denn Geisterbeschwörungen sind, bei großer Concurrenz, schon wohlfeil geworden, und bei den „Professoren“ muß die Menge es bringen. Aber sie geben auch Vorstellungen im engern Kreise, für einige wenige „Ladies“ mit Ausschluß von „Gentlemen“; was bei solchen magnetischen Zusammenkünften Alles vorgeht, mag der Leser sich selber denken.

Die Sykologisten sagen: „Unsere seelenbändigende Kraft ist eine göttliche; aber aus Theilnahme und Wohlwollen für die Menschheit fühlen wir uns bewogen, sie zu verbreiten, damit recht Viele an ihren Segnungen Theil nehmen. Wir lehren sie für ein Honorar von nur fünf Dollars.“ Seitdem werden die Vereinigten Staaten von ganzen Schaaren sykologistischer „Doctoren oder Professoren“ durchzogen, die überall den Städtern und Landleuten System und Evangelium der Sykologie verkündigen und dieselbe durch praktische Beispiele im Seelenbändigen erläutern. Nachdem sie den verblüfften Zuschauern das Geld abgenommen, ziehen sie weiter.

Wir schließen unsere Mittheilungen über eine gefährliche und entsittlichende Verirrung mit einigen ergötzlichen Angaben über die neumodischen Klopfgeister, aus welchen sich ersehen läßt, wie sehr dieselben sich vervollkommnet haben, und was sie Alles leisten können.

Ein im Uebrigen durchaus achtbarer und sonst recht verständiger Mann erzählte deutschen Freunden in New-York buchstäblich Folgendes: „Als Augenzeuge habe ich gesehen, wie die Klopfgeister mit einem sehr schweren Tische plötzlich davon liefen. Ich wollte mich überzeugen, daß dabei keine Menschenhände im Spiele seien, und setzte mich mit zwei andern Männern auf den Tisch. Es waren also übermenschliche Kräfte nöthig, denselben auch nur zu heben; aber trotzdem lief der Tisch mit uns fort, denn er wurde von Geisterhänden getragen.“

Im Herbst des verflossenen Jahres machte ein sogenannter Knochengeist viel von sich reden. Als Mensch war er auf der Anatomie zergliedert worden, und man hatte seine Gebeine zu Hartford im Staate Connecticut begraben. Aber das war ihm offenbar nicht genehm und er beschloß, sich selber nach New-York hinüber zu transportiren. Dort standen am 1. October die beiden Aerzte Dr. Redman und Dr. Orton in einem Zimmer, als ein plötzlich aus der Luft herabfallender Knochen ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie hoben ihn auf und betrachteten ihn, aber während sie damit beschäftigt waren, fielen noch mehrere, und der Knochenregen hielt, mit Zwischenräumen, einige Stunden lang an. Ueber diese „wunderbare Erscheinung“ wurde ein genaues Protokoll aufgenommen, und von den sechs Männern, welche dieselbe mit angesehen hatten, unterzeichnet. In den Decembernummern des Spiritual Telegraph ist dasselbe abgedruckt. Bald nachher warf der Geist wieder vierzehn Knochen binnen einer Viertelstunde in’s Zimmer, im Verlauf jeder Minute etwa einen; was wir als erklecklich rasch betrachten müssen, da Hartford und New-York weiter von einander entfernt liegen, als etwa Leipzig und Magdeburg. Dann ruhete er aus bis zum andern Mittage; wahrscheinlich hatte er seine Kräfte gesammelt; „zwischen elf und zwölf Uhr bombardirte er das Zimmer mit einem wahren Platzregen von Knochen, die überall hinfielen, auf Stühle, Tische und Fußboden, sie kamen vom Fenster wie von der Decke her; es waren Fußknochen, Rippen, Kniescheiben, Finger und Zehen.“ Die Doctoren der Medicin waren darüber ganz erstaunt, aber die Sache kam noch besser, denn das von ihnen beglaubigte Protokoll berichtet: „Als wir alle am Tische standen, fiel plötzlich mitten unter uns hinein ein Sack, der nicht weniger als einundsechzig kleine Knochen enthielt. Der Sack war von Musselin, etwa fünfzehn Zoll lang, und fiel gerade vor Doctor Orton’s Gesicht senkrecht von der Decke herab und mit solcher Gewalt, daß auf den Tisch Eindrücke hervorgebracht wurden.“ Das ging in Redman’s Hause vor. Eine Stunde später war Orton in seiner eigenen Wohnung. Sobald er in sein Zimmer trat, fiel ein achtzehn Zoll langer Schenkelknochen nieder und schlug dem Doctor einen Apfel, den er eben zum Munde führen wollte, aus der Hand; ein paar Minuten nachher folgte ein zweiter. Damit war die Geschichte zu Ende; binnen achtzehn Stunden hatte der Geist seine Gebeine nach New-York hinübergeschafft.

Das wäre also die erbauliche und höchst glaubwürdige Geschichte von dem Hartforder Knochengeiste. Wir lassen darauf unmittelbar jene vom Trompetengeiste folgen. Sie spielte im August des vorigen Jahres zu Newark im Staate Ohio, und wir folgen wörtlich dem Berichte der dort erscheinenden Times.

„Vor Kurzem fanden sich in Newark zwei Damen ein, Fräulein Vincent und Frau Garner, die bekannt machten, daß sie „Trompeten-Media“ seien. Bald vernahm man, daß alle bisher kund gewordenen Aeußerungen des Spiritualismus durch sie in Schatten gestellt würden. Die Geister, welche sich in der Obhut beider Damen befanden, waren ruhige, ordentliche, würdige Wesen; sie verschmäheten die unhöfliche Praxis, Geräthschaften umzuschmeißen, und gaben ihre Mittheilungen vermittelst eines Hornes oder einer Trompete. Wir unsererseits waren freilich etwas ungläubig, begaben uns aber doch zum „spirituellen Rendezvous“, um zu sehen und zu hören.

„Dort fanden wir etwa ein halbes Dutzend Leute, untersuchten sogleich das Zimmer nebst Wänden und Decke sehr genau, bemerkten aber nichts Verdächtiges. Man bildete einen Halbkreis vor einem Gerüst oder Stand, auf welchem zwei gewöhnliche Zinnhörner ohne Mundstück lagen; das letztere war abgebrochen worden. Dann wurde die Thür verschlossen, und Fräulein Vincent (Frau Garner war gerade in dem benachbarten Dresden) setzte sich an das Ende des Cirkels. Eine Untersuchung der Hörner ergab nichts Verdächtiges. Darauf wurden die Lichter ausgelöscht und einige Kirchengesänge angestimmt. Nach Verlauf von etwa fünf Minuten vernahmen wir einen Ton, wie etwa von einer Kugel, die in das Horn geschossen worden wäre; zugleich flammte ein phosphorischer Blitz auf und das Horn auf dem Gerüst begann zu wackeln.

„Fräulein Vincent sagte: Bruder King (der Schutzgeist des Mediums) ist unter uns. – Nun herrschte Todtenstille und feierliche Stimmung im Cirkel. Da kroch das Horn langsam an der Wand empor, dann an der Decke hin und flog nachher in verschiedenen Richtungen durch das Zimmer hin und her. Das Medium ersuchte den Geist, sich den Mitgliedern des Cirkels zu offenbaren, und sogleich folgte er, gab jedem Anwesenden einen Stoß, der deutlich verspürt wurde, und verfügte sich wieder auf sein Gerüst. Auf die Frage des Mediums, ob er Mittheilungen zu machen habe, eilte er vom Gerüst wieder fort und schlüpfte mit großer Schnelligkeit durch das Zimmer, während er zugleich ein Geräusch machte, das jenem des aus einer Dampfmaschine herausdringenden Dampfes glich und fast eben so heftig war. Nachdem er etliche Male im Zimmer umhergekreist war, machte er Halt, stand in der Luft gerade vor dem Cirkel und sprach dann mit übermenschlicher Stimme, aber etwas undeutlich: „Ihr seid Kinder der Erde, ich aber bin ein Sohn des Himmels und unsichtbar.“ Die Stimme kam unverkennbar aus dem Horn und war so gewaltig, daß man sie über ein ganzes Häuserviereck hätte hören können: sie tönte, als ob sie aus einer schwerathmenden Brust hervordränge. Nachher gab diese Stimme Mittheilungen aus dem Geisterlande und Schilderungen über verstorbene Personen, welche von deren Angehörigen als zutreffend erkannt wurden. Die Unterhaltung dauerte etwa zehn Minuten; dann ließ der Geist das Horn fallen und sagte uns ein Lebetwohl.

„Das Licht wurde wieder angezündet, der Cirkel erhob sich und Alle waren überzeugt, daß aus dem Horn eine übernatürliche Kraft gesprochen habe. Das Innere der Trompete war vor der Offenbarung des Geistes glatt und rein; als ich es nach derselben untersuchte, war es dick mit einem kalkartigen Stoffe überzogen.

„Die ganze Geschichte mag ein Betrug sein, welchen ein Schlaukopf geschickt eingefädelt hat; ich aber bin überzeugt, daß die wirkende Kraft von dem Medium unabhängig war. Das Fräulein saß im Cirkel, einer unserer Mitbürger hielt ihr während der ganzen Zeit die Hände fest und sie sprach oft zu gleicher Zeit mit dem

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