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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze.
I.
Straßenleben in Turin. – Vor dem Café Ligure. – Freiwillige. – Fahrt nach Alessandria. – Kriegsleben zwischen Stadt und Bahnhof. – In den Straßen und Kirchen Alessandria’s. – Arretirt als Spion. – Chasseurs d’Afrique. – Fahrt nach Genua. – Aussicht auf das Meer. – An- und Verkauf von Maulthieren. – Garde-Zuaven. – Ankunft und Einzug des Kaisers. – Auf der Terrasse.

Das Leben in den prächtigen Hauptstraßen Turins, die sich weithin überschauen lassen, da sie sich rechtwinklig schneiden und in geraden Linien verlaufen, machte einen eigenthümlich überraschenden Eindruck. Statt der erwarteten aufgeregten Bevölkerung sah ich eine ernste Menschenmenge in erwartungsvollem düstern Schweigen ruhig an den Palästen unter schattigen Arcaden auf und ab wandeln. Nirgends verriethen heftige Reden oder auch nur lebhaftes Gespräch und Gebehrde rege Theilnahme an den verhängnißvollen Ereignissen, welche nur wenige Meilen von hier sich zu entwickeln begannen. Nur hier und da lenkte die bunte Uniform der Nationalgarde oder die unansehnliche graue Kleidung der sardinischen Infanterie, die sich vereinzelt in der Menge verloren, den Blick auf sich. Die Stadt war von Truppen entblößt.

Turcos in Genua, Abendbrod kochend.
(Nach einer Genueser Originalphotographie.)

Ordnung herrschte in dem Menschengewühl, obwohl weder der dreieckige Hut und das breite weiße Wehrgehäng der Carabinieri, noch sonst eine polizeiliche Uniform sichtbar war. Am Sonntag wurde der Anblick der Menge durch einige französische Soldaten und Frauen belebter, ohne daß der ernste Charakter des Bildes sich verändert hätte. Eine schwüle, gewitterschwere Luft schien auf der Stadt zu liegen und ihre Einwohner mit bangen Ahnungen zu erfüllen. An den Straßenecken zogen Maueranschläge dichte Menschenmassen zusammen. Ein riesiges Placat machte die Namen sämmtlicher am gestrigen Tage aus der Stadt Turin zum Militairdienst Ausgehobenen bekannt. Es wurde von manchem Auge mit Hast überflogen, um die Namen theurer Freunde oder Angehörigen zu entdecken, die das Schicksal zu den Waffen, zu langer Trennung, ja vielleicht zum Tode bestimmt hatte. Solche Empfindungen schienen die Gesichter der in der Liste Suchenden auszudrücken, – da wendeten sich plötzlich Aller Augen nach einer Seitenstraße, aus der ein kriegerischer Marsch ertönte; eine Abtheilung Nationalgarde lenkte, mit ihrem Musikchor voran, in die Via di Po ein, um sich nach der Kathedrale zu begeben. Hinter ihnen schloß sich sofort wieder die dichtgedrängte Menge. Wir sahen Landleute, gekommen, den gesunkenen Muth an dem Anblick der Hauptstadt zu heben; Freiwillige aus den Bergen, die vor ihrem Abgang zu Garibaldi’s Schaar das ungewohnte Leben Turins noch einen Tag genießen wollten; Priester und Mönche in ihren Kutten und den verschiedensten Ordenstrachten, mit schleppenden Schritten dem Strome des Volkes folgend; überall das aufdringliche Geschrei der Zeitungsverkäufer, welche „l’Opinione“, „l’Independenza“, „la Gazetta del Popolo“ und eine Menge anderer eben auftauchender Zeitschriften für 5, 10, 20 Centesimi an den Mann zu bringen suchen, ehe die Waare kalt und altbacken wird.

Wir retteten uns aus diesem Treiben, indem wir der großen Verkehrsader der Welt, der Eisenbahn, dem Ausgangspunkte jeder Neuigkeit und dem Mittelpunkte aller Bewegung, uns näherten, nach dem Café Ligure. Dieses neue Etablissement ist das glänzendste in Turin, und seine prachtvolle Einrichtung, seine ungeheuren Spiegelscheiben, welche für Gold- und Marmorverzierungen nur geringen Raum lassen, seine hohen und geräumigen Säle werden von den prachtvollen Kaffeehäusern in Paris nicht übertroffen. Dem Bahnhof gegenüber, an der Ecke des freundlichen und immer belebten Platzes der Porta nuova gelegen, der von hohen Palästen und gegen Regen und Sonne geschützten Laubengängen umgeben ist, und dessen Mitte eine kräftige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_353.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)