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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Als der Knecht fort war, fragte Marx: „Was halten Sie davon, Herr Lieutenant?“

Schellenberg erheuchelte einen hohen Grad von Gleichgültigkeit, indem er antwortete: „Es wird wieder auf eine Prellerei herauskommen, wie wir das schon einmal erlebt haben.“

„Das glaub’ ich nicht. Damals schenkte ich der Angabe keinen Glauben, aber diesmal thu’ ich’s wohl.“

„Freilich, Herr Marx, wenn wir damals Ihrer Ansicht gefolgt wären, so hätten wir uns Aerger und Beschämung erspart. Ich erkenne gern an, daß ich die hiesigen Verhältnisse nicht scharf genug zu beurtheilen verstehe, und ordne mich Ihrer besseren Einsicht bereitwillig unter. Was rathen Sie also?“

„Das will ich Ihnen offen und ehrlich sagen. An Ihrer Stelle würde ich den Steuerbeamten in Eversburg nichts sagen, denn die haben, die Wahrheit zu sagen, das Pulver nicht erfunden; auch Ihren Soldaten in der Stadt würde ich nichts mittheilen, denn der Jude ist zu klug und hat zu viele Kundschafter, die ihm augenblicklich, sobald sie die geringste Bewegung merken, entgegeneilen und ihn veranlassen, zurückzubleiben oder einen andern Weg einzuschlagen; aus demselben Grunde würde ich der Mannschaft auf dem Waldhof nichts wissen lassen, denn auch da herum fehlt’s vielleicht nicht an Augen, die im Dienste des Juden sind. Ich würde die Sache ganz still bei mir behalten, die Leute auf dem Hofe um zwölf Uhr wecken und, ohne daß sie selbst eine Ahnung von dem Unternehmen gehabt haben, um den Waldhof herum auf die Hofwiese führen. Sie können dieselbe nicht fehlen, sie liegt gerade zehn Minuten unter dem Waldhof und beginnt da, wo die alte hölzerne Wasserschleuße im Wiesengraben liegt. Wenn Sie von der Schleuße an das rechte Ufer des Baches mit Ihren Leuten besetzen, so fallen Ihnen die Schmuggler auf jeden Fall in die Hände, und zwar gerade in dem Augenblick, wo sie sich nicht wehren oder fliehen können, nämlich wo sie aus dem Bach das ziemlich hohe Ufer hinansteigen. Die Erlen und Weiden verbergen Sie völlig, und wenn Sie sich selbst das Vergnügen machen wollen, den Juden zu fangen, so nehmen Sie nur in der Mitte Ihrer Leute bei dem hohen Espenbaume Ihren Platz, denn es ist zehn gegen eins zu wetten, daß Feibes da herüber kommt, weil an den übrigen Stellen das Ufer zu steil und das Wasser zu tief ist.“

„Ich danke Ihnen, Herr Marx, und werde genau Ihren Anweisungen folgen.“

In diesem Augenblick meldete ein Schütze, daß der Unterofficier Winrich unten auf dem Hofe sei und frage, ob morgen Brod aus Eversburg geholt werden solle. Schellenberg antwortete: Allerdings, und es soll zugleich bestellt werden, daß ich übermorgen eine Musterung dort abhalten will - - doch ich muß wohl den Befehl dazu dictiren, ich komme selbst herunter.“

Als er in den Hof trat, stellte er sich mit Winrich in die Mitte desselben, ließ den Unterofficier seine Brieftasche hervornehmen, und gab ihm abwechselnd mündliche Befehle und Dictate, je nachdem der mißtrauische Marx, der ihm gefolgt war und lauernd auf und ab ging, in seine Nähe kam oder sich entfernte. Winrich begriff seinen Officier ganz gut, als dieser bald leise und rasch, bald laut und langsam sprach: „Sie gehen augenblicklich nach Eversburg zum Oberjäger Lasing und befehlen ihm, zwanzig Mann einzeln auf elf Uhr zum Abmarsch zu bestellen, mit Androhung der schwersten Strafe, wenn sie ein Wort kund werden lassen – – um elf Uhr Vormittags tritt das Commando auf dem Sammelplatze an – – Sie dirigiren die Mannschaft in das Gebüsch, fünf Minuten unter dem Waldhof an der rechten Seite des Baches, wo ich um zwölf Uhr zu weiteren Befehlen mich einfinden werde – – das Lederzeug wie die Knöpfe müssen untadelig geputzt, die Waffen im besten Zustande sein – – Sie selbst begeben sich augenblicklich nach dem Waldhof zurück, und bewachen den Müller genau, daß er sich nicht entferne oder Niemand entsende, Sie können ihn nur lieber gleich arretiren und bis morgen festhalten – – jeder Mann muß vorzeigen, wie viele Patronen er besitzt – – Sie schlagen natürlich jetzt gleich den Weg zum Waldhof ein, biegen aber rechts ab, sobald Sie von hier aus nicht mehr gesehen werden können – – die Löhnung soll am Ende der Musterung ausgezahlt werden. Weiter ist nichts zu bemerken. – – Ich hole Sie nach elf Uhr vom Waldhof ab.“

„Sehr wohl, Herr Lieutenant!“ Winrich grüßte militairisch und entfernte sich.

Marx schien ganz befriedigt mit dem Ausfall seiner Horcherei, er trat jetzt zum Officier heran, zwang sein Gesicht zu einer gewissen Freundlichkeit und sagte: „Da Sie mit Ihren Leuten gewiß schon gegen Mitternacht aufbrechen werden – –“

„Ich denke um elf Uhr abzugehen.“

„– – so erlauben Sie mir vielleicht, daß ich den Soldaten ein Versprechen halte, welches ich ihnen schon längst gegeben, nämlich sie mit einigen Flaschen Wein zu bewirthen?“

„Ich habe durchaus nichts dagegen, nur darf es nicht zu viel sein, damit die Leute nicht untauglich für den bevorstehenden Dienst werden.“

„Lassen Sie mich nur sorgen, ich werde die Mannschaft auf gute Weise bis elf Uhr munter halten, so daß Sie dann gleich abmarschiren können.“

„Gut. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Herr Marx.“

Schellenberg zog sich auf sein Zimmer zurück, wohin ihm später, wie jetzt immer geschah, sein Abendbrod mit einer Flasche Wein gebracht wurde, und hielt sich hier ganz ruhig. Er konnte wohl denken, daß Marx das Trinkgelage der Soldaten benutzen werde um die Büchsen unschädlich zu machen, aber er hütete sich wohl, ihn darin auch nur im mindesten zu stören oder zu belauern, denn er hatte mit einem sehr scharfsinnigen Mann zu thun, der nur dann in die ihm bereitete Falle ging, wenn sein Argwohn durchaus nicht geweckt war. Man hörte die Soldaten singen und jubeln, und Schellenberg ließ sie, wie ihren arglistigen Wirth, völlig gewähren. Zehn Minuten vor elf Uhr trat er plötzlich unter die erstaunten Leute und überraschte sie nicht wenig durch den Befehl, ihm augenblicklich zum Dienst zu folgen. Sie rannten erst ein wenig verwirrt hin und her, um sich in gehörigen Stand zu setzen, waren aber alsbald bereit und marschirten mit ihrem Officier ab. Marx sah sie in das Dunkel der Nacht abziehen, kleidete sich dann rasch um, so daß er einem gewöhnlichen Landmann ähnlich sah, steckte ein paar Pistolen, die er vorher genau untersucht hatte, nebst einer schwarzen Gesichtsmaske zu sich, trat dann durch eine Seitenpforte in’s Freie und glitt in die Nacht hinaus, nach der linken Seite des Thales hin.

Schellenberg traf auf dem Waldhof die Leute wach und in Bereitschaft; sie hatten den Müller in ein leeres Gelaß ohne Ausgang gesperrt. Auf des Officiers Befehl untersuchte man die Büchsen genauer, die man vom Wolfsgrund mitgebracht hatte, und fand die Zündlöcher mit feinen Stiftchen verstopft; man ließ also die für den Augenblick unbrauchbaren Gewehre zurück, sowie zwei Leute, um den Müller zu bewachen, und die Männer, die ohne ihre Hauptwaffe waren, nahmen Stricke mit, die für die Transporte aus der Stadt gedient hatten. So brach die Truppe auf und erreichte bald das Wäldchen, welches zum Zusammentreffen bestimmt war, und wo auch nicht lange nachher die Mannschaft aus Eversburg eintraf. Schellenberg bildete eine bogenförmige Kette von Posten um den Platz, den er am Bache einnehmen wollte, damit er nicht im Rücken überrascht werden konnte, und besetzte darauf das Ufer längs der Hofwiese, besonders den ihm von Marx bezeichneten Punkt, mit der Weisung, die muthmaßlich kommenden Schmuggler bis ans diesseitige Ufer gelangen zu lassen und dann zu verhaften, Leute aber, die etwa ohne Gepäck herüber kommen wollten, anzurufen und auf sie, wenn sie nicht ständen und antworteten, zu schießen. Er selbst hielt sich vorzugsweise in der Nähe des hohen Espenbaumes auf, weil er da einen Hauptangriff erwartete. So harrte man ruhig einige Stunden.

Jetzt hörte man auf der andern Seite sich nähernde Schritte, und bald konnte man, da die Nacht nicht sehr dunkel war, Gestalten erkennen, die theils belastet, theil ledig über den Bach zu setzen begannen; fünf bis sechs Männer, dem Anschein nach nicht beladen, drangen rasch auf die Espe los. Schellenberg rief sie an, aber sie beeilten sich um so mehr, während eine dumpfe Stimme rief: „Drauf los!“ Da ließ Schellenberg die beiden Schützen feuern, die neben ihm standen. Ein Fall in’s Wasser wurde gehört, hier und da ertönten noch mehr Schüsse, auch auf der äußeren Postenkette, wilde Flüche und Verwünschungen wurden laut, man vernahm das Ringen und Stöhnen Einzelner, eine Stimme von drüben rief: „Es ist geschehen ein Verrath, weil sie schießen dennoch; rette sich, wer kann!“ Darauf wurde es still, indem die Schritte einiger Flüchtiger bald sich in die Nacht verloren. Nur bei der Espe regte es sich noch, denn man schien da einen Todten oder Verwundeten das Ufer hinauf zu schaffen. Winrich war mit noch einigen Schützen herbeigeeilt

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