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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Inhaberinnen von Sparcassenbüchern, sondern auch für den Schlachtenmaler der Zukunft fixirt und in einem zweiten, etwas mißlungenen Exemplare aufbewahrt.

Belebt hier die Andeutung eines Geschäftes die Hoffnungslosigkeit des Socialphilosophen, so muß uns der Blick, den wir durch das Schaufenster in das Innere eines zarten, aber von der ersten Secunde seines Daseins an den Keim des Todes im Busen tragenden Wechsel- und Bankiergeschäftes werfen, mit tiefem Grauen erfüllen. Als der Goldreichthum Californiens und Australiens in der Welt bekannt wurde, wollte Alles, was über seine Person frei disponiren konnte, über den Ocean schiffen und sich der Goldgräberei befleißigen; als man in dem Sande der Mark vor einigen Jahren jenen ungeheueren Reichthum an Bankactien und Agio entdeckte, wollte jeder Jüngling, welchem die Strenge des Studiums nicht munden konnte, Bankier werden. Der Insasse unseres Ladens gehört zu diesen unzeitigen Geburten eines genuß- und gewinnsüchtigen Zeitalters. Noch vor fünf Jahren ein löblicher Commis, der durch die Zinsen eines kleinen, von den Eltern ererbten Capitales sein sicheres Gehalt in einem alten Geschäfte verdoppeln konnte, machte er sich rasch selbstständig und unabhängig, ging an die Börse und hing ein Schild mit seiner Firma vor der Thür aus. Die Einrichtung des Geschäftes ist nicht ohne Eleganz, die Fächer sind mit vielen Skripturen gefüllt und oben mit Briefkasten, daran die laufenden Jahreszahlen, besetzt, allein der Anblick des Chefs kann uns nicht erfreuen. Wir bemerken einen Paß in seinen Händen und daneben ein Päckchen von Papieren, welche die anständige Haltung von Geldwerth entwickeln. Er blickt düster vor sich hin und scheint bereits an seine künftigen Unternehmungen in Nordamerika zu denken. Auf dem Zahltische bemerken wir eine Menge mit Kreide geschriebener Ziffern, die Berechnung von Ultimo, die der Ladenbesitzer in Ermangelung anderer Geschäfte zur Ausfüllung seiner Muße angestellt hat. Dicht daneben liegt ein ganz vertrockneter Schwamm, das passendste Symbol des untergehenden Bankiergeschäftes.

Das kleine Fleischwaarengeschäft im Kellergeschoß scheint von dem europäischen Kriegslärme weniger zu leiden. Die an den Fenstern hängenden, allen unverdorbenen Magen und Gemüthern imponirenden Riesenwürste, und der Duft der gekochten Zungen und Schinken stimmt die vorübergehende Menschheit versöhnlich. Nicht Gedanken an Zerstörung, sondern an Erhaltung werden in allen Geistern wach, wenn sie sich entschließen, ein wenig zu verziehen, und der dicke, von Weißbier und kleinen Kümmeln erglühende Wirth sieht entschieden wie ein respectabler Mann aus, der auf einer höheren Warte, als auf den Zinnen der politischen, Partei, steht. Die gemeinen Zwistigkeiten der Cabinete, der Ehrgeiz der Könige, die Ruhmsucht der Soldaten kümmern diesen Edlen nicht; er verkauft Wurst an Feind und Freund, noch ist ihre Ausfuhr nicht verboten, und selbst die tönende Proclamation des Kaisers ist ihm nur Wurst. Durch die offenbleibende Thür entdecken wir, daß sich nicht allein der zum Ausrücken befehligte Soldat, sondern auch der zum Bleiben und Aushalten bestimmte Kleinbürger an den feilgebotenen geräucherten Lebensmitteln stärken und einen mündlichen Senf dazu geben, dessen löbliche Schärfe uns wünschen läßt, der französische Gesandte möchte sich nicht in unmittelbarer Nähe der antinapoleonistischen Keller- und Wurstpolitiker befinden, um nicht durch den nach Paris gesandten Bericht über norddeutsche Stimmung ein kleines Cayennegelüste in dem großen Manne zu erwecken.

Im Tabaksladen nebenbei wird unentgeltlich aus der großen, auf den Tisch genagelten Dose geschnupft und die Volkszeitung vorgelesen. Als ein Herr den Laden betritt und ein halbes Dutzend Cigarren für sieben Silbergroschen und sechs Pfennige fordert, entsteht eine Bewegung des Staunens über diesen frechen Luxus. Die auf durchgesessenen Rohrstühlen sitzende Gruppe, bestehend aus einem Colporteur, einem Barbiergehülfen, einem Droschkenkutscher und dem Tabaksbändiger selber, betrachtet den Herrn als einen Empörer gegen die augenblicklich in Berlin herrschende sittliche Ordnung, als einen die heiligsten Gefühle einer kriegerischen aber sparsamen Nation verhöhnenden Buben. Als er das geforderte, für kostbar gehaltene Kraut empfangen hat, stellt der Barbiergehülfe einige mit vielem Beifall aufgenommene Betrachtungen über die um sich greifende Verderbniß der Welt an, nebst Glossen über die unnatürliche Vorliebe für theuere und feine Cigarren.

Biegen wir um die nächste Ecke und schlagen wir einen kurzen Bivouac in dem dort vielbesuchten Wein- und Delicatessenlocale auf, so erschrecken wir über die torricellische Leere in demselben. Die Abgeordneten des Herrenhauses waren die Letzten, welche das Banner des schwarzweiß-neupreußischen Wirthes aufrecht erhielten. Seit sie durch die Beendigung der parlamentarischen Saison auf ihre Provinzialschlösser, Präsidentenstühle, Katheder und Bürgermeistereien auseinander gesprengt sind, ist der arme Mann fast vereinsamt. Die goldene Börsenjugend, die Vormittags bei ihm Stärkung und Labung suchte, ist durch den niedrigen Stand der Course längst fortgescheucht, die Garde hat bei ihm niemals sonderlich verkehrt, und höchstens spricht ein umherspähender Beobachter, wie unsereiner, bei ihm vor und trinkt einen Curiositätsschoppen zu zehn Silbergroschen, denn der Medoc für diesen Preis ist das einzige Juste Milieu, welches der rothloyale Wirth in seiner Reactionsbude duldet. Auf dem zierlich servirten Schenktische starren gebratene Hamburger Hühner, Rheinlachs, Spargel und Aal trostlos in’s Leere, auf den Rand des ziemlich unversehrt erhaltenen Kladderadatsch ist noch keine anzügliche Bemerkung mit Bleistift geschrieben, und die Kellner, die schon seit geraumer Zeit kein Trinkgeld mehr erhalten zu haben scheinen, gleichen angehenden Asceten, die sich noch nicht von der Richtigkeit der Grundsätze dieser mystischen Schule überzeugen können. Lassen wir die Bartneige in der Flasche stehen und entfernen wir uns eilig; der Anblick dieser erzwungenen Kriegsbereitschaft ist gar zu traurig. Sicherlich sähe unser guter Patriot statt dieser Einsamkeit lieber einen Haufen französischer Officiere mit Taschen voll Beute an seinen Tischen.

Vor jener eleganten Conditorei sitzt draußen zwischen den Fenstern und dem eisernen Geländer ein schmaler Streifen von mannichfaltigen Menschen, Alle unzufrieden und düster, wie ein hartnäckiger Regentag. Die Hauptfigur unter ihnen ist der Doctor, der die Hypochonder und faulen Friedenshämorrhoidarier mit theuren Pülverchen curirt. Louis Napoleon, der Pariser Wunderdoctor, hat schon am Neujahrstage alle diese Patienten besprochen und sie sämmtlich gesund gemacht. Die eingebildeten Sorgen sind den wirklichen gewichen, die Kranken halten das Geld für die Pülverchen an sich, grübeln nicht mehr über den Zustand unter ihren kurzen Rippen und werden vor lauter politischem Kummer von Herzen gesund; der Doctor aber läßt sich ein Glas Eiswasser auf seinen Absynth gießen und grübelt über die mögliche Erfindung einer neuen Krankheit nach, die von Krieg oder Frieden nicht afficirt wird und sich gleichfalls durch ein Geheimmittelchen behandeln läßt.

Unweit von diesem Kaffeeborn und kastalischen Quell magenstärkender Liqueure hat sich ein Sclavenhändler angesiedelt. Unter dem Namen eines Modemagazines für Herrenartikel beherrscht er eine weitläufige Kleiderplantage, in welcher eine Menge armer kleiner Schneidermeister und Gesellen Hosen, Röcke und Westen für das In- und Ausland nähen müssen. Die vornehme und eigentlich elegante Gesellschaft läßt in solchen Geschäften ihren Bedarf an Garderobe nicht anfertigen, allein der männliche Demi-monde, der für wenige Thaler einen gut geschniegelten Rock haben will, fühlt sich hier zu Hause, und der wohlhabende Gast vom Lande und aus der Provinz versieht sich hier mit dem nothwendigen Costüm. Machen wir uns ein kleines Gewerbe und treten wir ein, um eine leichte Halsbinde zu kaufen und so den qualvollen Zustand der Neutralität kennen zu lernen. Die sonst so gefüllten prächtigen Räume sind leer, nur etwa zwanzig Angestellte, lauter Vettern des klassischen Antinous, irren umher und fahren auf den Eintretenden los, wie zwanzig Spinnen auf eine arme Fliege. Wir fordern die Halsbinde. Sie wird gebracht und uns vor einem hohen Trümeau mit einer Feierlichkeit angelegt, als gelte es den bekannten Toilettenact der Justiz und als sollte sie den Lohn für alle unsere satirischen Unthaten bilden. Sämmtliche Angestellte umgeben uns in einem Kreise und lassen ihr ästhetisches Gutachten über die Halsbinde laut werden. Gleich das erste Exemplar sitzt ganz gut, allein nur um einen Zeitraum der schrecklichsten Langeweile auszufüllen, zeigen sich die Jünglinge höchst unzufrieden mit ihrem Schnitt und holen noch ein halbes Hundert anderer Cravatten herbei, die uns der Reihe nach um den Hals gebunden werden. Man behandelt uns, wie eine Gesellschaft Backfische eine Weihnachtspuppe. Am liebsten entkleideten uns die unbeschäftigten Künstler bis auf die neunte Haut und probirten uns der Reihe nach alle Stücke des Magazines an. Die Sache beginnt leider bedenklich zu werden, und ein besonders kecker Jüngling legt schon Hand an die Hosenträger, als ein Herr, der nach seinem Kleiderschnitt nur vom Lande sein kann, in Begleitung zweier ältlichen Damen in das Local tritt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_346.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)