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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Dem „Systeme“ zufolge gibt es im All ein feines Imponderabile, das Aehnlichkeit mit dem Magnetismus hat und auf Lebenskraft und Nervenmagnetismus wirkt. Dieses unsichtbare und unwägbare Etwas ist das Bindeglied zwischen Geist und Stoff, die wirkende Kraft, durch welche der Wille Muskeln in Bewegung setzen kann. Der im Inneren wirksame Wille vermag schwere Körper nach außen hin zu bewegen. Das feine, nicht wahrnehmbare Etwas bildet eine ganz besondere Atmosphäre und diese wirkt auf gewisse Personen, die „Media“, vermittelst der doppelten Affinität sowohl für Geist, als für Stoff, und unter ihren eigenen Bedingungen und Gesetzen können Geister aus der Geisterwelt, von der wir Menschen ja überall umgeben sind, Töne hervorbringen, Körper bewegen, leuchten, sicht- und greifbare Gestalten annehmen, Verzückungen hervorbringen, das Medium in den Zustand des Besessenseins versetzen, sich desselben zum Sprechen bedienen, auf seinen Geist Eindrücke machen, vom Medium gesehen werden, kurz alle Erscheinungen hervorbringen, von denen der Spiritualismus so viel Seltsames zu erzählen weiß. Auch Geister, die noch im lebenden menschlichen Körper befangen sind, z. B. Magnetiseure, Mesmeristen oder wie man sie sonst nennen will, können Verzückungen an Anderen herbeiführen, Glieder steif machen, Willen auf den Geist Anderer ausüben und deren Gedanken lesen. Diese Erscheinungen alle, so sagt das „System“ weiter, werden weder allein durch die Geister, noch durch das Naturgesetz allein hervorgebracht, sondern durch eine Vereinigung beider, und zwar so, daß die Geister sich der Naturgesetze bedienen und auf diese Weise Erscheinungen bewirken. So verlieren diese letzteren Alles, was an ihnen etwa für übernatürlich erachtet werden könnte, und kommen in das Bereich der Natur und deren Gesetze gerade so, wie die Muskelkraft, welche der Mensch durch seinen bloßen Willen in Bewegung setzt, oder wie er sieht, wenn es hell ist, oder wie die Luft den Schall fortpflanzt.

Gegen dieses „System“ lasse sich, wie die Spiritualisten meinen, gar nichts einwenden! Sie berufen sich auf unsern Goethe, welcher einmal im Faust gesagt habe: „Die Geisterwelt ist nicht verschlossen“, aber um sie zu erkennen, müsse man offenen Sinn und lebendiges Herz haben. Folgendes stehe ein- für allemal im System fest: – Der spirituelle Körper ist aus dem stofflichen Bestandtheile des lichtvollen Aethers zusammengesetzt. Es gibt eine Substanz im All, welche unter allen Umständen unwandelbar eine und dieselbe bleibt und auf welche keine andere irgend welche Wirkung üben kann; denn sie ist und bleibt, wie sie ist, im Eise der Pole oder im glühenden Krater eines Vulcanes. Erkennbar für die Sinne ist sie nicht, und man muß sie als lichtvollen, lichttragenden Aether bezeichnen, als das verdünnte Medium, vermittelst dessen Wärme, Licht und Elektricität von einem Theile des Weltalls auf alle anderen übertragen werden, wobei dann die Wellenschwingungen eine Schnelligkeit haben, von welcher der Mensch sich gar keine Vorstellung machen kann. Dieser Aether ist vorhanden sowohl in den allerdichtesten Massen, wie im sogenannten Vacuum und in allen nur irgend möglichen oder denkbaren Modificationen der Materie. Er hat eine ganz erstaunliche Thätigkeit. Aus solchem Lichtäther sind die spirituellen Körper zusammengesetzt, und deshalb hat auf diese Geister irgend welche Temperatur gar keinen Einfluß. Wenn auch der ganze Erdball seine gegenwärtige chemische Zusammensetzung verändert, wenn Welten mit Welten zusammenkrachen und einander in Trümmer zerschmettern, so wird das Alles dem geistigen Körper nichts anhaben, und wäre er auch gerade an derselben Stelle, wo das fürchterliche Zerplatzen etwa seinen Anfang nimmt. „Er wäre sicher in seiner unsterblichen Wohnung, und die Seele könnte lächeln, wenn die Materie zusammenbräche und die Welt unterginge.“

Unter so bewandten Umständen darf es uns gewöhnliche Menschenkinder, die wir vom Spiritualismus nicht erleuchtet sind, kein Wunder nehmen, wenn eine aus solchem „Aether“ gebildete Seele ihre Gedanken an Andere übertragen und Kunde von Ereignissen geben oder empfangen kann. Daß es damit sehr rasch geht, glauben wir gern, „da die Seele binnen acht Minuten mit Wesen auf der Sonne in einer Entfernung von hundert Millionen Meilen sich verständigen kann.“ Die Sache selbst ist gewiß sehr hübsch; es fehlt nur der Nachweis, woher die Herren Spiritualisten von alle dem so genau unterrichtet sind. Denn was ein beliebiges „Medium“ sagt, hat doch wohl keinen Anspruch auf beweisende Kraft, und wir glauben nun einmal nicht an Hexerei oder an Worte, für die wir keinen wesentlichen Inhalt zu finden vermögen. Wohl aber gibt es Hallucinationen und Traumgesichte. Wer Derartiges erblickt, für den ist die Erscheinung im Augenblicke subjectiv vorhanden, aber für die gesammte Welt außer ihm nicht. Dergleichen gehört aber nicht in die „Geisterwelt“, sondern in die Lehre vom kranken Menschen, in die Pathologie. Manchmal sieht ein Mensch kürzere oder längere Zeit Gegenstände doppelt oder dreifach, obwohl sie in der That nur einfach und einmal vorhanden sind; was groß ist, erscheint ihm klein, oder umgekehrt, was fern ist, nahe; eine Wolke erscheint wie ein Ball, ein Thier wie ein Mensch und dergleichen mehr. Das Alles läuft einfach auf eine Sinnentäuschung hinaus. Die Hallucinationen sind aber nicht immer auf ein einziges Sinnenorgan beschränkt, sondern können sich zu gleicher Zeit auf mehrere erstrecken. Jene des Gesichts kommen nicht so häufig vor, wie die des Gehörs, am seltensten sind jene des Gefühls. Tausende von Menschen erblicken phantastische Gestalten, wie einst der bekannte Buchhändler Nikolai, welchem Goethe mit der bekannten Stelle im Faust ein Denkmal gesetzt hat („Er wird sich bald in eine Pfütze setzen, das ist die Art, wie er sich soulagirt“ etc.). Ein Professor der Anatomie in Paris, Andral, sah eines Morgens, als er aufstand, die Leiche eines von Würmern angenagten Kindes eine gute Viertelstunde lang so deutlich vor sich, daß er darauf hätte schwören können, der Gegenstand befinde sich leiblich vor seinen Augen. Bei Nikolai wichen die Scheingestalten manchmal erst nach neun Stunden. Daß Leute, die mit Säuferwahnsinn behaftet sind, allerlei Erscheinungen haben, ist bekannt.

Gewiß hat die psychologische Physiologie noch manche Aufgabe zu lösen und vielerlei Erscheinungen zu erläutern, über deren Entstehung und Zusammenhang das letzte Wort noch nicht gesprochen worden ist. In Bezug auf das moderne „Geisterwesen“ ist mit den Formeln und Redensarten, die seit sechs Jahren in Menge von den Gelehrten zum Besten gegeben werden, gar nichts gesagt. Die Tische z. B. drehen sich und pochen. Diese Thatsache steht fest und Alle geben sie zu, aber hier sagen Gelehrte, es sei Betrug dabei im Spiele, und dort sagen Gelehrte, es ist kein Betrug im Spiele. Merkwürdig bleibt, daß, als das Tischrücken durch alle europäischen Länder wie ein Lauffeuer ging, als bemerkenswerth hervorgehoben wurde, daß überall die dabei vorkommenden Umstände ganz dieselben waren und daß auf der weiten Strecke von Bremen bis Rom und Madrid die Sache selbst überall den gleichen Charakter trug. Karl Andree, welcher durch einen Aufsatz in der Augsburger Allgemeinen Zeitung im Jahre 1853 lediglich die Thatsache des Tischrückens feststellen wollte, gab damit den Anstoß zu einer merkwürdigen Bewegung, und wenn dieser Geograph und Handelspolitiker damals voraussagte, daß binnen wenigen Wochen die Tische von der Nordsee bis in die Alpenthäler Tyrols laufen und wackeln würden, so hatte er Recht. Dasselbe war der Fall mit seiner Schlußbemerkung, daß mit der Sache selbst Stoff in Menge für die Gelehrten der Akademien, wie für die Gelehrten des Kladderadatsch gegeben sei.

Die ersteren haben es sich sauer genug werden lassen. Der Eine will Tischrücken und Klopfen aus einem Fluidum erklären, ein Anderer aus einer unfreiwilligen Geistes- und Muskelwirkung, ein Dritter aus automatischer Gehirnwirkung, ein Vierter aus Odylkraft, ein Fünfter aus unbewußter Muskeläußerung (nämlich der englische Physiker Faraday, der am Berge stand und sich mit dem Ausdruck „unconscius muscular exertion“ helfen wollte), und ein Sechster, Morin, sprach gar von einem Gesetz instinctiver Kraft, während ein Siebenter etwas plumper Alles zu erklären meinte, wenn er annahm, daß die Klopfer sich Bleikugeln an die Zehen gebunden hätten. Dieser sinnreiche Professor lebt in Boston und heißt Page. Ein Achter will das Geisterklopfen daraus erklären, daß die Media ihre Knie- und Fußgelenke benutzen, um damit den vielfachen Heidenlärm, das Pochen, Klopfen, Hämmern und Poltern hervorzubringen. Viele andere Gelehrte machen sich die Sache noch leichter und bezeichnen sie ungemein bequem als dummes Zeug, Betrug, Humbug, Unsinn. Das Alles mag sie sein, aber Jedermann wird zugestehen, daß mit einem solchen Absprechen gar nichts erklärt worden ist. Man schiebt sich nur die Frage selbst weg, nach der von Goethe angedeuteten Manier: „Wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zu rechter Zeit sich ein.“

Die Hallucinationen und die Sinnestäuschungen, zum Beispiel die Erscheinung der sogenannten Geister, sind allemal nur für Einen da, das Tischrücken dagegen und das Klopfen ist eine Wirklichkeit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_343.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)