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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wird keine Gattin finden, er müßte denn seine Ansprüche tiefer stellen, als ich zu thun gesonnen bin.“

„Wenn Du auch nur der Adoptivsohn des verstorbenen Majors Schellenberg gewesen bist, so gehörst Du doch ohne Zweifel zu seiner Familie, die ja sehr achtungswerth ist.“

„Nein, lieber Freund, ich gehörte nie zu seiner Familie. Er traf mich als kleinen Knaben bei einer ärmlichen Kunstreitertruppe, nahm aus irgend einem Grunde Antheil an mir, kaufte mich den Leuten förmlich ab, ließ mich erziehen und nahm mich später an Kindesstatt an.“

Busch zeigte bei dieser Eröffnung ein so eigenthümlich verblüfftes Gesicht, daß Schellenberg wohl begriff, er sei in seiner Offenherzigkeit zu weit gegangen. „Du machst an Dir selbst die Erfahrung,“ sagte er, „wie der Heimathlose, von der Straße aufgelesene Findling bei der Welt kein Zuvorkommen, sondern nur Abstoßung oder höchstens Duldung zu erwarten hat. Du hast mich seit Jahren als Deinen Freund betrachtet, Du glaubst in diesem Augenblicke mir Dank für einen Dienst schuldig zu sein, und doch stutzest Du und schämst Dich gewissermaßen meiner, sobald Du hörst, daß ich aus einer Vagabundengesellschaft hervorgegangen bin, ohne einmal unter dieser meine Eltern zu kennen.“

Erröthend und verwirrt sagte Busch: „Du bist im Irrthum, lieber Schellenberg - -“

„Ich bin gewiß nicht im Irrthum, mache auch dem Freiherrn, der seinen Stammbaum Jahrhunderte hinauf verfolgen kann, keinen Vorwurf daraus, wenn er die Niedrigkeit und Unsicherheit meiner Herkunft für ein unersetzliches Unglück ansieht.“

Mit Beschämung und Rührung des Freundes Hand ergreifend, sagte Busch: „Du ersetzest durch Kopf und Herz zehnfach Alles, was Dir sonst abgeht; Du überragst uns Alle weit an tiefer Bildung und hochherzigem Edelmuth. Aber, nicht wahr, Du wirst vor der Welt über diese Verhältnisse schweigen?“

„Ich werde sie eben nicht an die große Glocke hängen, aber unter Umständen auch kein Geheimniß daraus machen.“

Sinnend sprach Busch: „Ich kann mir nicht denken, daß Du wirklich der Sohn solcher Leute gewesen sein solltest, die ja öfter schon Kinder guter Eltern geraubt haben. Hast Du nie an diesen Fall und an die Möglichkeit der Auffindung Deiner wahren Eltern gedacht?“

„So wenig mir, wie meinem Pflegevater, lag der Gedanke an diese Möglichkeit fern. Die Kunstreiter hatten auf das Heiligste betheuert, daß sie selbst von meiner Herkunft nicht das Geringste wüßten, sondern mich von andern Herumstreichern erhalten hätten. Sie händigten meinem Wohlthäter einen Ring ein, den sie zugleich mit mir bekommen, als das Einzige, was möglicher Weise auf die Entdeckung meiner wahren Eltern führen könne.“

„Und besitzest Du diesen Ring noch?“ fragte Busch gespannt. Schellenberg knöpfte seine Weste auf und zog einen unscheinbaren goldenen Ring hervor, den er an einem Bande um den Hals trug; in der Mitte war ein geschliffener Stein eingesetzt. Busch gab nach genauer Betrachtung den Ring zurück, indem er enttäuscht sagte: „Es ist kein Familienwappen, sondern dem Anscheine nach eine antike Kamee. Dennoch läßt sich immerhin annehmen, daß nur Leute aus den besseren Ständen im Besitze dieses Stückes gewesen sind. An geeigneten Versuchen zur Auffindung einer Spur werdet Ihr es nicht haben fehlen lassen?“

„Mein Pflegevater hat zahlreiche Ankündigungen erlassen, hat alle möglichen alten Zeitungen durchstöbert, doch umsonst. Aber lassen wir nun diesen Gegenstand fallen. Vom Obristen erfuhr ich, daß ich mein Hauptquartier nicht in Eversburg selbst, sondern eine Stunde davon hart an der Grenze bei einem wohlhabenden Landwirthe aufschlagen soll, welcher die Absendung des Detachements am eifrigsten betrieben hat.“

„So hast Du wenigstens auf guten Willen Deines Quartiergebers zu rechnen.“

Nachdem die Freunde noch dies und jenes besprochen, nahmen sie Abschied voneinander. Am nächsten Tage erhielt Schellenberg seine Instruction und am folgenden Morgen trat er mit fünfzig Mann des Schützencorps den Marsch nach Eversburg an. Am dritten Tage erreichte er das Städtchen, ließ darin den größeren Theil der Mannschaft unter dem ältesten Unterofficier zurück und folgte mit dem Rest einem Führer nach dem Vorwerk „Wolfsgrund“.


II.

Nach einem Marsche durch dichte Wälder sah man den Wolfsgrund vor sich. Ein neuerbautes Wohnhaus mit ausgedehnten Nebengebäuden lag in einem kesselförmigen Thal, das hier am Hauptgebirgsstocke begann. Die tiefsten Stellen am kleinen Bergwasser bildeten Wiesen, zunächst um das Haus dehnten sich Gärten aus, die Berghalden hinauf zogen sich wohlgepflegte Aecker. Mit diesem freundlichen Anblicke stand die weitere Umgebung in scharfem Gegensatze: Berge von wechselnden Formen stiegen ringsum zu bedeutender Höhe empor, tiefe Schluchten zwischen sich mehr errathen, als erblicken lassend, ein gleichförmiger Wald bedeckte das Ganze, nur unterbrochen durch einige senkrechte Felsen. Tiefe Stille herrschte überall?

„Dies ist wundervoll!“ rief Schellenberg dem jungen Unterofficier Winrich zu, der neben ihm herging.

Trocken entgegnete Winrich: „Das werden die Schmuggler auch meinen. Mir kommt es aber etwas unheimlich vor, besonders da es hier ganz an lebenden Wesen zu fehlen scheint.“

Darin irrte sich indessen Winrich, denn die nahende Einquartierung wurde allerdings bemerkt und beobachtet. In dem Garten neben dem Hause standen zwei Männer so, daß sie den Weg übersehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Der ältere Mann in halbländlichem Anzug war von großem und starkem Körperbau, sein braunrothes Gesicht stach gegen das weiße Haupthaar seltsam ab, unter den ergrauten buschigen Brauen leuchteten sonderbare wasserhelle Augen hervor, die zuweilen Gemüthsbewegungen oder Leidenschaften wie in raschen Blitzen zeigten. Der Andere in städtischem Anzug, welcher freilich sehr vernachlässigt und in keinem seiner Theile zusammenpassend war, konnte die jüdische Abkunft nicht verleugnen; in seinem wechselvollen Gesicht sprachen sich unmittelbar hintereinander und oft fast gleichzeitig die verschiedenartigsten und sogar widersprechendsten Eigenschaften oder Stimmungen aus.

Der Jude sagte: „Mit dem Officier hab’ ich gezählt zwölf Mann; ’s ist ein schöner Haufen und wird Euch kosten manchen schönen Thaler Geld für die Beköstigung.“

Ausweichend erwiderte der Andere: „Du solltest machen, daß Du fortkommst, Feibes, denn die Soldaten brauchen Dich hier nicht zu sehen.“

Mit verzogenem Grinsen seines häßlichen Gesichtes sagte Feibes: „Bin nicht neugierig auf die Herren Soldaten, werde später schon machen die nähere Bekanntschaft. Auf Wiedersehen, Marx!“

Als Schellenberg mit seinen Leuten auf dem Hofraume des Gutes Wolfsgrund anlangte, erhoben einige Kettenhunde ein furchtbares Gebell, worauf hier und da ein aus seiner Mittagsruhe gescheuchter Knecht aus dem Nebengebäude trat oder eine Magd mit stumpfer Neugierde hervorglotzte, aber Niemand schien Miene zu machen, sich der Fremden anzunehmen. Doch jetzt kam Marx in seiner stattlichen Erscheinung aus der Hofthüre. Der Officier näherte sich ihm und sagte: „Ich bin der Lieutenant Schellenberg vom Schützencorps und mit dieser Mannschaft nach dem Wolfsgrunde detachirt; sehe ich den Besitzer des Gutes in Ihnen vor mir?“

Marx war bei dem Anblicke und den Worten des Officiers ein wenig zusammengefahren und hielt die breite Hand über die Augen, als wolle er den Sprecher möglichst genau betrachten. Dann sagte er rauh: „Ich bin der Besitzer vom Wolfsgrund, aber als ich mich zur Aufnahme des Officiers und einiger Mannschaft erbot, rechnete ich nicht auf eine so starke Anzahl. Ich kann nur etwa sechs oder sieben Mann unterbringen.“

Verstimmt entgegnete Schellenberg: „Meine Instruction schreibt mir freilich nicht vor, wie viele Schützen ich mit hierher nehmen solle, aber es ist jedenfalls von großem Vortheil, wenn sich hier so unmittelbar an der Grenze ein möglichst starker Posten befindet, und der Obercontroleur in Eversburg meinte, es ließen sich im Wolfsgrunde recht gut so viele Leute unterbringen.“

„Das mag der Herr Obercontroleur immerhin meinen, aber ich nehme außer Ihnen höchstens sechs bis sieben Mann auf.“

„Und wo sollen die Uebrigen bleiben?“

Nach kurzem Besinnen sagte Marx: „Die können auf den Waldhof gelegt werden, ein altes adliges Haus, eine gute Viertelstunde von hier; es ist zwar etwas verfallen, aber es fehlt nicht an bewohnbaren Räumen. Auch liegt eine Mühle dabei, und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_322.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)