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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Zur Kunde des napoleonischen Polizei- und Spionenwesens.

Das napoleonische Spionirwesen hat seines Gleichen nicht in Europa, und sein geheimes Polizeisystem ist nicht nur über ganz Frankreich verbreitet, sondern bezahlt Werkzeuge in allen Ländern Europa’s. Die „Sicherheitsbehörden“ spielen eine Hauptrolle bei der Volksbeglückung. Unter dem Polizeiminister stehen die Präfecten der Departements, so weit deren Polizeigewalt in Rede kommt; diese verfügen über etwa 4000 Polizeicommissarien, 19,000 Stadtsergeanten und die „geheimen Agenten“, deren Zahl zwar, wie die Ereignisse alle Tage zeigen, ungemein groß, aber dem Publicum natürlich nicht genau bekannt ist. In Paris allein sind für diese Spione zunächst zwei Millionen auf das Vertrauensbudget gesetzt worden. Ferner hat der Napoleonismus zu seiner Beglückungstheorie und zur Durchführung seiner „Civilisation“ noch die sogenannten Specialpolicisten nöthig, die Gensd’armerie zu Fuß und Roß, die Eisenbahnpolizei und die Grenzpolizei.

Das Gesetz gegen die Verdächtigen besteht in voller Kraft, und deshalb gibt es unter dem Napoleonismus in Frankreich gar kein Recht und keine Sicherheit der Person mehr; Alles hängt von der Willkür ab. Nicht nur wer angeklagt worden ist, einer geheimen Gesellschaft anzugehören, kann nach Cayenne deportirt werden, sondern auch beliebig ein Jeder, „der anderer Vergehen beschuldigt worden ist.“ Die Präfecten der Departements haben die Gewalt, amnestirte Personen „ohne vorhergegangene Untersuchung wieder zu verbannen“, denn man nimmt an, daß ihr ehemaliger Widerstand gegen den Staatsstreich vom 2. December hinlängliche Gründe für eine abermalige Verbannung an die Hand gebe.

Aus London wird eine interessante Geschichte berichtet. Manche napoleonistische Spione, welche in der englischen Hauptstadt das Thun und Treiben der Flüchtlinge überwachen sollen, haben im Bunde mit eben diesen Flüchtlingen gestanden. Nun, es darf nicht auffallen, daß solche Personen ein doppeltes Spiel treiben; sie möchten sich bei den vermeintlichen Männern der Zukunft das Spiel nicht verderben und sich nützlich erhalten, andererseits aber auch den Sündenlohn für doppelten Verrath sich nicht entgehen lassen. So wurden Ledru Rollin und dessen Anhang lange Zeit von Allem unterrichtet, was der napoleonische Minister Billault beabsichtigte, und sie konnten ihm manchen Plan durchkreuzen. Da aber die geheimen Spione ihrerseits von andern Spionen überwacht werden, so kam Billault hinter den Verrath, welchen mehrere seiner Agenten ausübten. Er lockte sie unter irgend einem Vorwande nach Paris zurück, und ließ sie mit dem ersten Schiffe nach Cayenne bringen, wo sie bald dem gelben Fieber erliegen werden.

Auch die Angeberei, diese abscheuliche und niederträchtige Erscheinung, welche recht eigentlich die verfaulten Zustände despotisch regierter Staaten kennzeichnet, steht in dem napoleonischen Frankreich in voller Blüthe. Aber diese Blüthe verpestet das Land und vergiftet die Menschen. Es gibt in den französischen Städten und insbesondere zu Paris auch eine große Menge freiwilliger Denuncianten, welche sich gelegentlich ein Stück Geld von der Polizei holen, nachdem sie einen beliebigen Menschen als Feind des Napoleonismus angeklagt haben. Es liegt im Wesen der Sache, daß solche Angeber sich wichtig machen; deshalb übertreiben sie harmlose Aeußerungen, die einer verschiedenen Deutung fähig sind, und sie können ihr schmachvolles Gewerbe um so sicherer fortführen, da der verrathene Mensch ihnen niemals gegenüber gestellt wird.

Seit Januar 1858, insbesondere aber seit dem Februar des laufenden Jahres, werden täglich „verdächtige“ Leute aus Frankreich über die Grenze geschafft. Früher waren das zumeist Italiener, jetzt sind es vorzugsweise Deutsche. Jeder gebildete Mann aus unserm Vaterlande, der nach Paris kommt, erhält seinen unsichtbaren Begleiter, der ihn überwacht und bei der geheimen Polizei über ihn berichten muß; den Belgiern geht es nicht besser. Einige napoleonische Polizeigeschichten werden das System erläutern, welches der Retter der Gesellschaft und Heiland der Franzosen nöthig erachtete, um sein Regiment aufrecht zu erhalten.

In der Mitte des Aprilmonats reisete ein auch in der gelehrten Welt bekannter höherer Beamter aus einem Staate Mitteldeutschlands über Köln nach Paris, wo er zwei Tage nach seiner Ankunft bei Anlaß eines Artikels der Kölnischen Zeitung einige harmlose Worte fallen ließ. Am andern Tage wurde er über die Grenze gewiesen! Der Briefwechsel der Deutschen wird von der Polizei streng überwacht, und das schwarze Cabinet hat stets vollauf zu thun.

Der Graf de Nieuwport aus Belgien kam nach Paris, um dort einige Monate zu verweilen. Nachdem er eben im Gasthofe sich eingerichtet, erschien ein „Monsieur“, welcher den Fremden auf den andern Morgen um zehn Uhr nach der Polizeipräfectur bestellte. Auf die Frage, weshalb er persönlich erscheinen solle, entgegnete der Polizeimann:

„Ich weiß es nicht; ich vollziehe nur den Befehl, welchen ich erhalten habe.“

Der Graf sann über die Sache hin und her, und begab sich dann zum Marschall Magnan, den er von Brüssel her kannte, erzählte ihm den Vorfall und erhielt zum Bescheid, daß wohl irgend etwas gegen ihn vorliege; indessen wolle er sich erkundigen. Das geschah, und als der Graf sich wieder beim Marschall einfand, entspann sich folgendes Gespräch:

„Mein liebster Graf, was machen Sie aber auch für Dinge! Und nun wundern Sie sich, daß Sie unter Aufsicht gestellt werden!“

„Was für Dinge? Ich mische mich nicht in französische Politik, und verzehre meine Renten als Lebemann.“

„Ganz wohl, ich habe nichts dagegen. Uebrigens wohnen Sie in Ostende?“

„Freilich, während der Badezeit.“

„Sie sind dort auf den National abonnirt, auf ein radicales Blatt?“

„Allerdings, aber auch auf die Independance, die eine conservative Zeitung ist.“

„Conservativ ist sie in Frankreich, aber nicht in Belgien; denn die Redaction veranstaltet zwei verschiedene Ausgaben, und von Ihnen wird „die andere“ gehalten.“

„Das weiß ich nicht, lieber Marschall.“

„Aber, mein bester Graf, Sie verkehren in Ostende mit Flüchtlingen?“

„Dann und wann spreche ich einen Flüchtling im Cercle, wo ich Zeitungen zu lesen pflege.“

„Sie unterhalten sich mit ihnen über Politik?“

„Manchmal, allerdings.“

„Sie haben einem Flüchtling Geld geborgt?“

„Das war nie der Fall.“

„Bitte um Entschuldigung, lieber Graf, wenn ich Einsprache thue. Sie spielten eines Abends mit dem berüchtigten Flüchtling N. N. Ecarté, und borgten ihm zweihundert Francs.“

„Das ist richtig, ich erinnere mich jetzt, ihm das Geld vorgestreckt zu haben; er zahlte die kleine Summe am andern Tage zurück.“

„Nun, das reicht hin, um unter polizeiliche Ueberwachung gestellt zu werden.“

„Sie machen Scherz, Herr Marschall.“

„Ich mache keinen Scherz, Herr Graf, und gebe Ihnen den guten Rath: Gehen Sie um zehn Uhr auf die Polizei.“

„Um zehn Uhr? Jetzt haben wir ein Viertel nach neun. Unten steht ein Wagen, ich habe noch Zeit genug, in meinen Gasthof und dann sofort nach der Eisenbahn zu fahren. Um elf Uhr geht der Zug nach Belgien ab; ich habe genug an diesem Vorgeschmack des vergnügten Lebens in Paris und lobe mir mein Brüssel.“

Auch der folgende Vorfall ist sehr bezeichnend. Ein sehr gesuchter Pariser Arzt, Dr. Odet, der kein Freund des napoleonischen Despotismus war, sich aber wenig um Politik kümmerte, weil die Praxis ihn von früh bis spät völlig in Anspruch nahm, wurde eines Morgens vom Polizeicommissarius seines Viertels besucht, dessen Tochter er einige Monate vorher vom Tode gerettet hatte. Der Mann war etwas befangen, als er dem Doctor anzeigte, daß er Befehl habe, ihn zu verhaften. Dann traten noch zwei Agenten in’s Zimmer und nahmen Papiere, Bücher, Schlüssel und dergleichen mehr in Beschlag. Er sollte sofort in’s Gefängniß von Mazas abgeführt werden.

Der Arzt machte Vorstellungen: es sei doch ganz unverantwortlich, daß man ihn ohne alle Veranlassung mit Polizei an hellem Tage über die Straße führen wolle; davon möge man Abstand nehmen, weil er sich ohne Weiteres im Zellengefängnisse stellen wolle. Am Ende willigte der Commissarius ein, und der Doctor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_314.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)