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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

leicht verblendeten Bourgeoisie phantastische Träume in’s Ohr, machten die Erwartung rege, daß die gewerbliche Thätigkeit sich verdoppeln werde, und stellten neue Quellen des Gewinnes in Aussicht, Paradiese für Warenausfuhr und den Handelsverkehr zwischen den Völkern. Wo sind sie? Das productive Leben Frankreichs ist erstarrt, die Aufträge vermindern sich, und das Capital beginnt sich zurückzuziehen. Sie haben, wie jener Barbar, den Baum umgehauen, dessen Früchte Sie pflücken wollten. Sie haben in erkünstelter Weise eine wilde, durch und durch unsittliche, Alles versprechende und nichts haltende Speculationsschwindelei immerfort angestachelt. Sie haben durch marktschreierische Projecte, die Sie in’s Riesenhafte aufbauschten, die Ersparnisse des kleinen Capitalisten aus allen Theilen Frankreichs nach Paris gelockt, und haben die Capitalien den einzig wahren und dauerhaften Quellen des Nationalreichthums, nämlich dem Ackerbau, den Gewerben und dem Handel, entzogen. Diese ersparten Gelder sind in den Händen einiger Dutzend Hauptspeculanten geblieben, oder in grenzenlosem, unergibigem Luxus verschwendet worden, oder still und vorsichtig außer Landes in Sicherheit gebracht. Ich könnte in dieser Beziehung Mitglieder Ihrer Familie mit Namen anführen. Die Hälfte der Projectmacher ist schon in das Nichts der Vergessenheit hinabgesunken, und Ihre künstlichen Mittel haben sich erschöpft. Von nun an wird Alles, was Sie thun, um den finanziellen Schwierigkeiten und jenen Ihrer Lage zu begegnen, nur eine weitere Stufe zu dem verhängnißvollen Abhange bilden, welchem Sie zueilen. Bisher haben Sie auf Credit gelebt, von einer langen Reihe von Anleihen, aber wer bürgt Ihnen dafür, daß dieser Credit ewig vorhalten werde? Rom und Napoleon plünderten eine Welt aus; Sie können nur Frankreich plündern. Die Heere jener Beiden lebten von Eroberungen, aber Sie können nicht und dürfen nicht wagen, solche zu unternehmen. Die römischen Dictatoren und Ihr Oheim führten Eroberungsheere in Person an. Sie Ihrerseits lieben wohl auch goldstarrende Paradeuniformen, aber ich möchte bezweifeln, daß Sie fähig seien, auch nur einige Bataillone anzuführen.

„Zu Frankreich sagten Sie: um des Landes willen unternähmen Sie den Kampf gegen die Anarchie; die wahre, gemäßigte, ordentliche Freiheit werde die beste und sicherste Bürgschaft unter der kaiserlichen Regierung finden; der Bonapartismus sei eine Idee, und zwar die Idee des Fortschrittes unter einer starken, centralisirenden Gewalt. Ferner erklärten Sie, daß die wahre von Gott geschaffene Aristokratie, jene der sich erschließenden Talente und des Geistes, unter Ihnen das civilisirende Leben der Nation befördern würde. Aber können Sie auch nur eine Spur von Freiheit in einem Lande aufweisen, das, Dank Ihnen! unter die übrigen gesunken ist, wo Hunderte von Männern im Gefängnisse schmachten, um nach Cayenne oder Lambessa deportirt zu werden, ohne daß mit ihnen auch nur ein gerichtliches Verhör vorgenommen worden wäre? Können Sie in Ihrem kaiserlichen Frankreich auch nur eine einzige unabhängige Zeitung aufweisen? Auch nur eine einzige Classe von unabhängigen Männern, der es ermöglicht wäre, den Gedanken, Wünschen und Bestrebungen des Landes Ausdruck zu geben? Einen einzigen Mann, der von seinen Landsleuten in eine Ihrer hohlen Scheinversammlungen gewählt werden könnte, ohne im Voraus durch einen Eid sich verpflichten zu müssen, daß er Ihre despotische Herrschaft aufrecht erhalten wolle? Können Sie nur einen einzigen wahrhaftigen, talentvollen und gesinnungstüchtigen Mann nennen, der in Ihrem Rathe säße und dadurch Ihr verhaßtes System anerkennte?

„Nein. Sie sind nie im Stande gewesen, einen Minister, eine Stütze Ihrer Politik außerhalb des Kreises Ihrer unmittelbaren Mitschuldigen zu finden. Von Thiers zu Guizot, von Cousin zu Villemain, von Michelet bis zu Jean Reybaud scheut das intellectuelle Frankreich vor Ihrer Berührung zurück, weil diese besudelt.

„Noch vor Kurzem strahlten Sie vor Europa groß damit, daß Frankreichs Herz Ihr Herz sei und, glücklich, ruhig und ungestört, Sie als seinen Retter und Heiland begrüße. Aber vor wenigen Monaten ertönte ein Krach in der Straße Levelletier, und dann erklärten Sie – vermittelst Ihrer brutalen und vom Schrecken eingegebenen Zwangsmaßregeln, durch halb drohende, halb flehende Appellationen an Europa, durch die militairische Eintheilung Frankreichs, – Sie erklärten, nachdem Sie sieben Jahre lang eine uneingeschränkte Gewalt geführt mit Hülfe eines Heeres, das Alles überwältigte, und nachdem Sie die Nation von den Männern gelichtet, die Ihnen Furcht einflößten, – Sie erklärten, daß Sie nicht leben und nicht herrschen können, falls nicht Frankreich in eine große Bastille und Europa in ein großes kaiserliches Polizeiamt umgewandelt werde!

„Frankreich mag tief in den Staub getreten sein, aber es läßt sich nicht in eine Bastille umschaffen, und Europa mag nicht Ihretwegen in eine Zweiganstalt Ihrer corsischen Polizei umgewandelt werden. Deshalb, mein Herr, üben Sie Entsagung, sinken Sie nur wieder unter! Ihr Kaiserthum hat sich als eine Lüge herausgestellt, und Lügen verdienen, der Vernichtung anheim zu fallen.

„Ja, das Kaiserreich hat sich als eine Lüge erwiesen! Sie, mein Herr, bildeten dasselbe nach Ihrem eigenen Angesichte. Im Verlaufe des verflossenen halben Jahrhunderts hat, mit Ausnahme Talleyrand’s, kein Mann so viel gelogen, wie Sie. Darin liegt das Geheimniß Ihrer zeitweiligen Gewalt. In einem skeptischen und zerfahrenen Zeitalter, wie dem unseren, werden Lügen leicht geglaubt, aber sie halten nicht vor.

„Im Jahre 1831 erklärten Sie, in Gemeinschaft mit Ihrem Bruder, den Aufstand und die Bewegung gegen den Papst für eine heilige Angelegenheit; jetzt und seit 1849 brandmarken sie diesen Aufstand als eine Demagogenrebellion. In Arenenberg sagten Sie 1838, Sie wären, weil alle edelen Seelen in die Verbannung gejagt seien oder von den Regierungen verfolgt würden, stolz darauf, zu der Schaar der Geächteten zu gehören. Seither haben aber gerade Sie gegen dieselben eine grausame Verfolgung organisirt.

„Als im Jahre 1836, nach dem von Ihnen verübten Straßburger Attentate, Ludwig Philipp Sie nach Amerika schickte, erklärten Sie, es sei Ihnen bewußt, daß Sie schuldig seien; Sie sagten weiter, daß Sie sich durch seine Großmuth und Milde tief gerührt fühlten, und Sie übernahmen die Verpflichtung, gegen ihn nie mehr eine Verschwörung anzuzetteln. Aber schon zwei Jahre nachher conspirirten Sie gegen ihn von der Schweiz aus und vier Jahre später landeten Sie in Boulogne.

„Im Jahre 1848 eilten Sie nach Paris, „um sich unter die Fahne der Republik zu stellen und der republikanischen Sache volle Hingebung zu bezeigen.“

„Noch in demselben Jahre schrieben Sie: „Im Angesichte der Souverainetät der Nation kann ich und will ich nichts in Anspruch nehmen, außer den Rechten eines französischen Bürgers.“

„Sie sprachen 1850 mit feierlicher Betonung: „Wenn die Verfassung Fehler hat und Gefahren in sich trägt, so steht es bei Ihnen, dieselben zu beseitigen. Ich aber halte mich durch meinen Eid gebunden, streng innerhalb der von ihr gezogenen Grenzen mich zu bewegen.“

„Wenige Tage vor dem Staatsstreiche von 1851 sagten Sie zur Armee: „Ich werde nichts von Ihnen fordern, das über mein von der Verfassung anerkanntes Recht hinausginge“. Und am 2. Dec. selbst, dem Endergebniß Ihrer Usurpationspläne, proclamirten Sie: „Es sei Ihre Pflicht, die Republik zu schützen“.

„Aber was kam gleich darauf? Es kam die Verletzung aller Eide und aller Garantieen. Es herrschte der eine ehrgeizige Wille, welcher sich an die Stelle des gesetzlich ausgesprochenen Willens der Nation drängte; es kam unter Strömen von Blut die Berufung an die brutale Gewalt; es kam der unerbittliche Befehl an St. Arnaud; die Volksvertretung wurde zersprengt oder verhaftet; Generale wurden verhaftet; Paris wurde einem durch Geld gewonnenen, aufgeregten, berauschten, mitleidlosen Soldatenpöbel preisgegeben. Das Feuer der Linie und der Pelotons wurde gegen eine unbewaffnete, unschädliche Volksmenge auf den Boulevards gerichtet und ein methodisches Niedermetzeln veranstaltet, um die Seelen der demnächstigen Stimmabgeber mit Angst und Schrecken zu erfüllen. Es fielen 2652 Opfer, 88 Volksvertreter wurden geächtet, Tausende eingekerkert und viele ohne auch nur die geringste Form eines gesetzlichen Verfahrens deportirt; dann erst war der Triumph vollständig und es erfolgte die Scheinwahl!

„Und Sie, mein Herr, konnten sich der Hoffnung hingeben, daß eine Dynastie sich gründen ließe auf so systematische Lüge, auf solch’ einen Unterbau von Blut und Leichen? Sie konnten glauben, daß die vorübergehende, ephemere Ehrfurcht einiger auswärtigen Mächte, die nur den Erfolg in Betracht ziehen, aushalten werde gegen das Kainszeichen, welches durch Gott und die Gerechtigkeit auf Ihre Stirn gedrückt ist?

„Herr! Es gibt etwas, das über dem bloßen Erfolge steht:

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