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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

hatte er auch in einer gewissen Vorliebe für den sogenannten christlichen Staat nahe Berührungspunkte mit den Gedanken und Intentionen des Königs. Allein dieser seiner Vorliebe, seinem strenggläubigen Sinne hafteten niemals, wie bei den Zionswächtern der Kreuzzeitung, hyperbolische Auswüchse an, waren eine auf Geistesverfinsterung, Gewissensdruck, auf Knechtung unter den Buchstaben gerichtete Tendenz, widriger Zelotismus und egoistische Unduldsamkeit von jeher fremd. Niemals von Haß gegen die freien Bewegungen des menschlichen Geistes beseelt, hat er in Streben nach einem echt evangelischen Wesen, das Aufklärung und Bildung nicht ausschließt, besser wie die Meisten derer, welche sich rühmten, mit ihm in gleicher Phalanx zu kämpfen, die protestantischen Bewegungen, den welthistorischen Act der Bildung des Deutschkatholicismus gewürdigt, ihnen gleich damals eine gewisse Berechtigung nicht abgestritten und keinen Augenblick die kirchlichen Maßregeln des Ministeriums Eichhorn gebilligt, welche die Erstehung der freien Gemeinden zeitigten. Was der Justizminister von Mühler am 30. März 1840 bezüglich des Verfahrens gegen die Altlutheraner äußerte, daß man sich in Religionsangelegenheiten aller Gewaltthätigkeiten enthalten müsse und der Staat lediglich durch Belehrung, Bestellung würdiger Geistlicher und Förderung der Sittlichkeit auf die religiösen Ansichten des Volkes wirken dürfe, das war auch Bethmann-Hollweg’s Bekenntniß, bevor es in Preußen eine Verfassung und einen §. 12 darin gab.

Die ministerielle Auflehnung gegen Fortschritt in Glaubenssachen, gegen die Bethätigung selbstständiger Vernunft auf religiösem Gebiet hat die Ereignisse des März 1848 mit erzeugen helfen. Die innere Neugestaltung des preußischen Staats aber gab Bethmann-Hollweg Gelegenheit, sich noch von einer dritten Seite her, auf dem Felde der Politik zu zeigen, da man schwerlich schon seine Schrift über den „Ursprung der lombardischen Städtefreiheit“ (Bonn 1846) dahin mit rechnen wird. Er gelangte 1849 in die erste, 1852 in die zweite Kammer. Hier bildete er eine besondere Fraction, das rechte Centrum, und trat in Opposition zu dem Ministerium Manteuffel. Vornehmlich stritt er gegen die der Würde und Macht des preußischen Staats so ganz unangemessene auswärtige Politik, gegen das Junkerthum mit seinen autokratischen Gelüsten, den Stahl’schen Pharisäismus, gegen die schwertbewaffnete Autorität der Kirche, wie gegen das Uebermaß polizeilich-büreaukratischer Gewalt. Zum Verständniß seiner Fraction, zur Verbreitung und größeren Geltendmachung seines politischen Strebens gründete oder protegirte er ein eigenes Organ, das „Preußische Wochenblatt“, worin er Anerkennung der Verfassung, Selbstregierung der Gemeinden, Parität aller Religionsbekenntnisse, Selbstverwaltung der katholischen und protestantischen Kirche als leitender Hauptgrundsätze für die innere Politik der Monarchie verfocht, in Betreff der äußeren eine kräftige und vernünftige Machtstellung mit Beachtung der Bundesverfassung von 1815 anstrebte.

Der „glücklich beseitigte“ Minister des Innern, Herr von Westphalen, der mit der Einführung der „discretionairen Polizeigewalt“ das preußische Volk mit einem Stück französischer Präfectenwirthschaft beschenkte, erachtete jedoch selbst die so sehr gemäßigte und umschränkte Opposition des dermaligen Cultusministers mit seinem System für unverträglich, und bei den nächsten Wahlen traf er die Veranstaltung, daß Herr von Bethmann-Hollweg nicht wieder in der Kammer erscheinen konnte. Gänzlich aber vermochte man ihn nicht vom politischen Schauplatz zu verdrängen, nach wie vor gab er auf diesem, wie auf dem kirchlichen, Lebenszeichen, dabei der Pflege seiner reichen Besitzungen in der Rheinprovinz, wie seinem Hange zur antiquarischen Kunst obliegend, für deren Verständniß unter andern das ihm gehörige, durch ihn restaurirte, erweiterte und künstlerisch verschönerte Bergschloß Rheineck einen herrlichen Beweis liefert. Erst durch die höchste Berufung vom 6. November v. J. erschien er wieder im Abgeordnetenhause, diesmal aber, in seinem Werthe an maßgebender Stelle längst erkannt, am Ministertisch, im Besitz des wichtigen Portefeuilles der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, und im Hinblick auf eine neue Schaar von Deputirten, welche allen heilsamen Bestrebungen der vom Prinz-Regenten verordneten Regierung von vornherein wirksamen Beistand verhieß.

Vorauszusehen war, daß die aus wirklichen Volkswahlen hervorgegangene Kammer mit Beschwerden und Petitionen in reichlichem Maße bedacht werden würde. Von den bisher bekannt gewordenen sind die erheblichsten die der Dissidentengemeinden, welche gesetzliche Regelung ihrer Angelegenheiten, Schutz des verfassungsmäßigen Rechts auf freie Religionsübung begehrten. Wer die Zeitungen der verwichenen zehn Jahre aufmerksam gelesen, die Geschichte dieser Zeit nur einigermaßen im Gedächtniß hat, wer Walesrode’s „Politische Todtenschau“ und Uhlich’s „Dissidentische Denkschrift“ kennt, der weiß, unter welchem Verfolgungssystem die freien Gemeinden und ihre Führer seufzten. In der achtzehnten Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 28. Februar d. J. erfolgte die Berathung über die Petitionen der Dissidenten zu Königsberg, Tilsit und Berlin, und es wurde von der betreffenden Commission beantragt, jene dem Staatsministerium zur Berücksichtigung und in der Erwartung zu überweisen, daß baldigst eine gesetzliche Regelung der Verhältnisse der Dissidentengemeinden im Geist der Artikel 12–16 der Verfassung herbeigeführt werde. Der Minister des Innern, Flottwell, nahm zunächst das Wort, um anzuzeigen, daß den Beschwerden der Petenten im Wesentlichen schon abgeholfen, daß gänzliche Beseitigung des Vereinsgesetzes vom 11. März 1850 nicht stattfinden könne, die Behörden aber auf’s Strengste angewiesen seien, ihre Beaufsichtigung auf das allergeringste Maß zurückzuführen, sich dabei auf die bescheidenste Weise zu betragen, um nicht religiöse Gefühle zu verletzen, daß fortan keine Gensd’armen mehr störend in die Versammlung eingreifen dürften, und ihnen jede Auflösung einer Versammlung untersagt wäre. Nachdem noch der Justizminister Simons einige Worte gesprochen, erhob sich Bethmann-Hollweg und sprach:

„Von dem Standpunkte meines Ministeriums kann ich den Wegfall aller ferneren einschränkenden polizeilichen Maßregeln gegen harmlose religiöse Versammlungen, welcher religiösen Richtung sie auch angehören mögen, nur herzlich willkommen heißen. (Bravo!)

„Denn solche Maßregeln tragen mehr oder weniger den Charakter religiöser Verfolgung an sich und sind weder der Wille des Staates, noch den preußischen Traditionen, noch unserer Verfassung gemäß (Bravo!), ja sie sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, noch viel weniger im Interesse der beiden großen religiösen Gesellschaften, in welche sich unser Volk theilt. Es wäre ein Armuthszeugniß, das diese großen kirchlichen Gemeinschaften sich selbst ausstellten (Bravo!), wenn sie durch solche Mittel sich erhalten zu können glaubten; es wäre ein Widerspruch mit dem ihnen innewohnenden Princip, mit dem Christenthum. Das Christenthum hat durch freie Ueberzeugung die Welt überwunden und wird ferner durch diese geistigen Waffen sich behaupten und sich Bahn brechen.

„Wenn auf diese Weise den dissidentischen Gemeinden die freieste Entwickelung gewährt ist, so wird es an ihnen sein, den Beweis des Geistes und der Kraft zu führen, den die Fundamentalwahrheiten des Christenthums im zweiten Jahrtausend ihres Bestehens täglich führen, sich zu consolidiren, namentlich sich mehr zu bestimmen und dadurch die Bürgschaft ihrer Dauer zu gewähren.“

Nachdem der Minister hierauf noch einige Mitteilungen über die Ertheilung von Corporationsrechten gegeben, ging er auf den „allein streitigen und sehr bedenklichen Punkt“, auf den religiösen Unterricht der Jugend über.

„Zwei Rechte,“ fuhr er fort, „nehmen in dieser Beziehung die Dissidenten-Gemeinden in Anspruch, erstens den religiösen Unterricht durch ihre Vorsteher, Redner, Geistliche oder wie man sie nennen will, ertheilen lassen zu dürfen, und zweitens ihre Kinder fern halten zu dürfen von dem religiösen Unterricht in den öffentlichen Schulen. Beides wurde ihnen früher bestritten; man glaubte, ihre Religionslehrer nach früheren gesetzlichen Bestimmungen als Privatlehrer ansehen und einer Prüfung unterwerfen zu müssen. Diese Bestimmung mußte schon in ihrer Ausführung zu Verwickelungen Veranlassung geben, da manche von diesen Religionslehrern früher bereits ein solches Examen bestanden hatten. Nach sorgfältiger Ueberzeugung habe ich, hat die Staatsregierung sich davon überzeugt, daß die Anwendung jener früheren Vorschriften auf den vorliegenden Fall nicht zulässig ist, daß vielmehr der Religionsunterricht der Jugend in den Dissidenten-Gemeinden ein wesentliches Stück der freien Religionsübung bildet, welche nach Artikel 12 der Verfassungs-Urkunde gewährleistet ist (Bravo!), so daß also fortan den Religionslehrern dieser Dissidenten-Gemeinden nichts im Wege steht, diesen Unterricht zu ertheilen. (Bravo!)

„Ebenso sind wir zu der Ueberzeugung gekommen, daß irgend welcher Zwang zur Theilnahme an dem Religionsunterrichte in der öffentlichen Schule nicht stattfinden darf. Eine bekannte Stelle unseres allgemeinen Landrechtes verordnet, daß die Kinder solcher Eltern, die einer anderen Religionspartei angehören, zur Theilnahme an dem öffentlichen Religionsunterrichte nicht genöthigt werden sollen. Man hat früher geglaubt, die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmung auf den vorliegenden Fall ablehnen zu können. Ich bin überzeugt, daß auch hier diese altpreußische Bestimmung Anwendung finden muß, daß man kein Recht hat, die Kinder zu nöthigen, sei es an dem Religionsunterrichte in der Schule, sei es an dem der Geistlichen der Landeskirche Theil zu nehmen. (Bravo!) Vorausgesetzt natürlich – wie es auch das Landrecht ausdrücklich sagt – daß ein anderweitiger Religionsunterricht nachgewiesen ist. Für einen solchen aber muß, wie ich schon vorher gesagt habe, der Religionsunterricht der Geistlichen der Dissidenten gelten. Dies ist nach unserer Ueberzeugung die gesetzliche Lage der Sache, und nach dem Gesetz soll und muß verfahren werden (Bravo!). Daß der Erfolg im Interesse des Staates ein bedenklicher sei, soll hier nicht verschwiegen werden. Die Frage ist von der Regierung auch bestimmt und klar in’s Auge gefaßt worden. Es ergibt sich daraus das sonderbare, fast widersprechende Resultat, daß, während der Staat darauf

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