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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Im duft’gen Gras des nahen Raines,
Sorglich gebettet weich und lind,

35
Auf groben Windeln liegt ein kleines,

Rothwangig, blaugeäugtes Kind,
Es zappelt lustig mit den Füßen
Der kleine Schelm, dehnt sich und lacht,
Und seine hellen Blicke grüßen

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Mit frohem Staunen rings die Pracht.


Du gönnst Dir kaum das Athemholen,
Hebst nicht vom Boden das Genick,
Doch schweift, der Arbeit abgestohlen,
Zum Rain hinüber mancher Blick,

45
Dann strahlt’s um Deine Wangen heiter,

Dein Herz schlägt munter und geschwind,
Mit frischen Kräften gräbst Du weiter:
Du gräbst ja Brod auch für Dein Kind!

Doch halt! Du horchst: War das nicht Weinen?

50
Den Spaten wirfst Du jäh bei Seit’,

Hinüber fliegst Du zu dem Kleinen
Und forschest bang’ nach seinem Leid.
Wie, willst der Ruhe Du genießen,
Du streckst Dich hin in süßer Lust?

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Den durst’gen Lippen läßt Du fließen

Den heil’gen Quell der Mutterbrust.

Er schmiegt an Dich die ros’gen Glieder,
Als ließ’ er nimmer diesen Platz,
Und sel’gen Auges schaust Du nieder

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Auf Deiner Armuth einz’gen Schatz;

Noch darf er ruhevoll sich laben,
Der Lenz kost lieblich um ihn her,
Bald wird auch er den Acker graben –
Und keinen Frühling hat er mehr!

 A. Traeger.




Pariser Bilder und Geschichten.
4. Eine deutsche Löwin.

Gibt es in Paris Heuchler der Tugend, wie wir in der ersten Skizze (Nr. 10) bewiesen haben, so gibt es auch Heuchler des Lasters oder wenigstens solche, die oft besser sind, als ihr Stand und Beruf; solche, die selbst im verderbtesten Leben einzelne Funken edleren Gefühles in ihrem Gemüthe erhalten haben.

Ein in Paris wohnender, sehr bekannter deutscher Schriftsteller, der im Jahre 1848 in seiner deutschen Heimath eine gewisse Rolle spielte und jetzt verbannt ist, der vor und in seiner Verbannung viel Merkwürdiges erlebte, erzählte vor Kurzem in einer Gesellschaft von Landsleuten folgendes Abenteuer, das ich so viel als möglich mit seinen eigenen Worten wiederzugeben suche.

Vor ungefähr achtzehn Monaten, an einem schönen Frühlingsmorgen, da ich, nichts Böses ahnend und arbeitend, auf meiner Stube sitze, tritt ein Commissionair bei mir ein und übergibt mir mit den Worten: „Ich bin schon bezahlt“ ein sehr elegantes Briefchen, das deutsch geschrieben ungefähr so lautete:

„Verehrtester Herr H…!

„Sie würden ein gutes Werk thun, wenn Sie die Güte haben und mich besuchen wollten. Lassen Sie sich durch meinen Namen, wenn er Ihnen bekannt ist, von dem Besuche nicht abschrecken, da es sich, ich wiederhole es, um ein gutes Werk handelt, um eine Wohlthat, die Sie erzeigen sollen, indem Sie in einer wichtigen Angelegenheit Ihren Rath ertheilen. Alles, was ich von Ihnen gehört, gibt mir den Muth zu dieser Bitte, so wie den Wunsch, mich nach Ihrem Rathe zu richten. Ich wohne Boulevard des Capucines No. 17 im zweiten Hofe links, zwei Treppen hoch, und erwarte Sie zwischen ein und zwei Uhr. Ich bitte Sie noch einmal und auf’s Inständigste, kommen Sie, und wenn es Ihnen heute nicht möglich ist, doch einen dieser Tage um dieselbe Stunde.

Auf Ihre Güte trauend, Ihre ergebenste Dienerin

Augustine R.–.“

Kennen Sie diesen Namen, meine Herren? Nicht? – Ich kannte ihn. Augustine ist eine Deutsche und eine der elegantesten, schönsten, blondesten und verrufensten Löwinnen von Paris. Es ist sehr merkwürdig, welchen großen Erfolg unsere schönen Landsmänninnen haben, wenn sie sich mit Energie und Ausdauer darauf werfen, Lionnes zu werden. Sie überstrahlen dann alle französischen Löwinnen, die doch den Ruf größerer Koketterie und höherer Grazie haben. Da ich den Namen kannte, war ich etwas verlegen, um so mehr verlegen, da in demselben Hause, im vierten Stocke, aber auf einer andern Treppe ein bekannter Musiker des Conservatoriums wohnt, dessen wöchentliche musikalische Soireen ich regelmäßig besuchte. Wenn mich dessen Frau zu Augustine gehen sähe! oder auch nur der Portier, der mich ganz genau kannte! – Und was kann sie von mir wollen? Was habe ich mit dieser Halbwelt zu thun? Ich habe mich von solchen Berührungen immer so fern als möglich gehalten, soll ich jetzt mit Gewalt in diese Welt hineingezogen werden? Man kann nie voraussehen, in welche unangenehme Geschichten man bei solchen Weibern verwickelt wird. – Aber der Brief war so dringend; es wehte mich eine Luft der Wahrhaftigkeit, der Aufrichtigkeit, ja der Trauer aus diesen Zeilen an, die mich nachdenklich machte und beinahe rührte. Es ist jedenfalls Pflicht, nachzusehen, dachte ich und machte mich gegen ein Uhr auf den Weg.

Der zweite Hof des Hauses Nr. 17 Boulevard des Capucines ist ein sehr schöner, freundlicher Square. Mit dem ersten Schritt in diesen Hof glaubt man sich hundert Meilen weit von Paris. Aller Lärm der Straße verhallt in der Ferne, wie das Rauschen eines fernen Stromes; man hört nur das melodisch-monotone Fallen des Springbrunnens, der sich silbern, glänzend aus der Mitte des Rasenplatzes erhebt, um in ein rundes von Blumen umgebenes Bassin zurückzufallen. Die Bäume, die den Rasenplatz umgeben, standen schon in Blüthe und in ihren Zweigen zwitscherte ein Volk von Vögeln, als ob es sich mitten in einer lachenden Landschaft befände. Auf den Square hinab sehen die großen Krystallscheiben der Fenster, die mit Sculpturen im Renaissancestyl geziert sind und zwischen welchen hübsche Statuen, Nachahmungen der Antiken im Louvre, in Nischen stehen. Aus jeder einzelnen Wohnung führt ein kleiner Balkon, dessen geschmackvolles Gitterwerk hie und da vergoldet ist und Blumen- und Laubgewinde vorstellt, aus dem kleine Köpfchen von Rittern und Damen, von Pagen und Knappen hervorblicken. Aus den vier Ecken führen vier weiße Treppen in den Hof, welche von breiten Glasdächern bedeckt sind, die wieder von eisernen, bronzirten schlanken Säulen getragen werden. In manchen der Wohnungen war die Dienerschaft noch mit Aufräumen und Reinmachen beschäftigt und aus den offenen Fenstern hingen bunte Teppiche oder wurden glänzende Decken geschwungen und geschüttelt. Dort und da sah man eine Dame im Morgenhäubchen am Fenster vorübergehen, oder auch einen Cigarre rauchenden Gentleman im seidenen Schlafrock; aus dem und jenem Fenster kamen einzelne Pianotöne hervor. Das ganze Haus schien die Wohnung, die Zufluchtstätte sorgloser, glücklicher Menschen. Im zweiten Stock, in einem der schönsten Appartements dieses Hauses wohnte Augustine, der mein Besuch galt.

Ich zog die Glocke; ein Bedienter in Livrée öffnete mir und führte mich in den Vorsaal, wo mich ein andrer Bedienter empfing. – „Madame erwartet Sie,“ sagte dieser und führte mich in den Salon. Meine Herrn, Sie kennen den Luxus luxuriöser Pariser Salons und ich will Ihnen diesen nicht erst beschreiben. Nur so viel, daß hier mit all dem Gold, Sammt, Seide, Bronze, Marmor, Porzellan etc. etc. nicht nur Luxus und Reichthum verschwendet war; beide waren mit Geschmack gewählt und geordnet. Kaum war ich eingetreten, als mir Augustine schon voll Dankbarkeit entgegenkam; wie sie aus dem zweiten Zimmer heraus und mir entgegentrat, war ich in der That von der Schönheit dieser Erscheinung wie gebannt. Sie kennen sie ja! – Nicht? – Ach, Sie müssen sie kennen, Sie wissen es nur nicht. Hundert Mal müssen Sie sie schon im Bois de Boulogne gesehen haben – offener Wagen – blaue Livrée – englische Füchse – sie ist meist allein – blonde Locken – die schönste Person des ganzen Demi-Monde. – Ach! nicht wahr? Sie erinnern sich? Sie frappirt ja jedes Auge; man vergißt es nicht, wenn man sie einmal gesehen; sie beschämt alle großen Damen, diese Küferstochter aus Hanau.

Bon! ich will kurz sein. Nachdem sie mich zum Sitzen gezwungen und sich noch hundert Male wegen ihrer Zudringlichkeit entschuldigt – und das Alles auf das Einfachste, ohne Koketterie, ohne Komödie, stand sie wieder auf und bat mich um Verzeihung,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_277.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2023)