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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

der Stephl vorwärts, und nun rührt sich die Kundl und nun schaut sie um, wer sich herbeischleicht. Der Stephl steht vor ihr wie ein armer Sünder, ganz abgeblaßt, mit dem zweiten Zopf in der Linken, die Rechte ihr entgegenstreckend, bittenden Auges. Dann tritt er zum Altar und hängt den einen Zopf zum andern. Das Mädl hatte diese Sprache verstanden, denn die Liebe hat ein helles Aug’. Dann kniete der Stephl neben der Kundl auf das Pflaster, und bald darauf ergriff er sie bei der Rechten, welche sie ihm willig ließ. Und nun zog er sie mit sich aus der Kirche. Rings um diese sind die Gräber der Todten, und der Stephl ging mit der Kundl schnurstracks zum Grabhügel seiner Mutter. Hier reichte er der Kuni wieder die Hand und sie gab ihm ihre Hand, es bedurfte nimmer der Bitte um Verzeihung und Liebe.

Nach wenigen Wochen war beim Hagmair Hochzeitfest, und die Forstleute waren alle dabei zugegen. Der alte Neureiter rieb sich vergnügt die Hände und schnalzte einmal über das andere mit den Fingern, denn sein Stephl und die junge Neureiterin waren das schönste, stattlichste Paar, was man sehen konnt’ im ganzen Lande.

J. Sch–r.




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer. (S. Gartenl. Nr. 4.)
Nr. 8. Auf der Gemsjagd. – (Mit Abbildung.)

Neues Leben war mit der Frau Herzogin in das stille Thal der Hinterriß eingezogen. Ausgezeichnete Gäste, wie Prinz v. L., Graf E., der von seinen Streifereien im herzoglichen Jagdgebiete niedergestiegen war, um der edeln Dame zu huldigen, Mstr. B. u. A. hatten sich eingefunden. Auch der weltbekannte und allbeliebte Friedrich Gerstäcker befand sich im Gefolge der Herzogin, um an den bevorstehenden Gemsjagden Theil zu nehmen, nachdem er solchen eben erst bei einem der kaiserlichen Erzherzöge in Steiermark beigewohnt und sich als glücklichen und tüchtigen Jäger bewährt hatte.

Wohl zwölf Jahre mochten vergangen sein, seit ich ihn nicht gesehen, diesen geistvollen und liebenswürdigen Schriftsteller, mit dem ich zu jener Zeit manche frohe Stunde verlebt – durch ihn erlebt habe, indem er mit der ihm eigenthümlichen lebendig poetischen Sprache und seinem köstlichen Humor die Erlebnisse seines amerikanischen Waldlebens schilderte, aus dem er nur erst zurückgekehrt war. Mit wahrem Herzklopfen begab ich mich eines schönen Sonntag-Morgens nach dem Schlosse, um den wackern – im Herzen sagt’ ich Freund – wieder zu begrüßen. War er noch der frühere herzliche, frische, wahre Mensch, wie ihn die Urwälder gebildet hatten? Oder hatte auch ihn „die Cultur beleckt“? Die beste Antwort ließ nicht auf sich warten, und rasch laß ich sie wiederklingen; selten habe ich einen Menschen nach einem solchen Zeitraume geistig und körperlich so unverändert gefunden, als Gerstäcker.

An demselben Tage wurde ich durch den Haushofmeister zur herzoglichen Tafel geladen, wobei ich das Glück hatte, vom Herzoge einer der edelsten Frauen vorgestellt zu werden, der Herzogin. Gleich ihrem hohen Gemahle ist sie für Wissenschaft, Kunst und Natur lebendig beseelt, und namentlich die Botanik ihr Lieblingsstudium.

Diese Tage und Abende, die in dem hirschgeweihgeschmückten, alterthümlichen Saale mit zauberhafter Schnelle dahinflossen, waren für mich von außerordentlichem Reiz. Die Pürschgänge auf den Hirsch waren, wie ich schon im vorigen Artikel erwähnte, beendigt und die Gemsjagden begannen. Auch ich hatte das Vergnügen, mich betheiligen zu dürfen. War ich auch nicht so glücklich, auf den zwei Gemstreibjagden, denen ich beiwohnte, zu Schuß zu kommen, so fühlte ich mich doch nichtsdestoweniger glücklich dabei. Hatte ich doch eine Büchse in der Hand und die Anwartschaft, Gemsen zu schießen!

Wie herrlich war schon der Auszug zur Jagd! Der Jagdherr, in seinem der Oertlichkeit angepaßten und landesüblichen Costüme, zu Pferd, um bis zu einer gewissen Höhe zu reiten; die anderen Schützen mit den Jägern und Treibern in malerischen, durch die Hunde noch mehr belebten Gruppen den Gebieter umgebend, – es war ein herrliches Bild! Ein frischer, lebendiger, heiterer Geist beseelte Alle – von oben bis zum unverdrossenen Treiber herab. Unverdrossen muß man die Letzteren in der That nennen, denn nie habe ich Menschen dieser Gattung kennen gelernt, welche mit einer solchen Ausdauer und Freudigkeit die fabelhaftesten Anstrengungen ertrugen, wenn es galt, dem Herrn zu dienen, der aber auch mit der gewinnendsten Art diese von ehrfurchtsvoll dankbaren Empfindungen erfüllten Leute behandelte.

Hinaus ging’s in die Alpen, die der geneigte Leser bereits kennen gelernt. Manch’ wilder Weg wurde, nachdem der Herzog das Pferd zurückgeschickt hatte, beschritten, bis man ein sogenanntes Kar, das heißt, einen Einschnitt in die Gebirge, erreichte. Hier nun wurden die Schützen vom Wildmeister angestellt, der mir zu meinem Erstaunen die Versicherung gab, daß das Treiben unter drei bis vier Stunden nicht gut herankommen dürfte. Ich hatte also auf meinem Stande hinlänglich Muße zu Naturbetrachtungen. Nachdem ich mir einen Punkt, der mir möglichst viel Spielraum zum Schießen bot, ausgesucht hatte, machte ich mich so weit fertig, um nöthigenfalls jeden Augenblick schußbereit zu sein. Bei ununterbrochener Aufmerksamkeit auf möglicher Weise vorkommende Fälle, in welchen das Wild zeitiger rege werden könnte, gab ich mich demungeachtet dem vollen Genusse an der wunderbar schönen Umgebung hin. Durch meinen Beruf bin ich schon daran gewöhnt, meine Aufmerksamkeit zu theilen. Ich hatte mich hinter einen alten, verknorrten, mit Moos und Flechten üppig überwucherten Ahorn gestellt. Zur Seite starrten silberbärtig geschmückte, alte Tannen empor, unter mir dergleichen Wipfel. Vielleicht hundert Schritte vor mir deckte tiefer, stiller Wald das Gebirge, bis es oben kahl darüber in die Luft ragte. Ein Gießbach stürzte sich aus dem mir gegenüberliegenden Hange hinab und zwängte sich durch gewaltige Felsblöcke oder schäumte über Geröll unter meinem Stande dahin. Verspätetes Vergißmeinnicht, blaues und rosig angehauchtes, nickte in den sprudelnden Bach hinein. Zu meinen Füßen äugten auch noch munter Erdbeeren mit ihrem schalkhaften Roth und Genzianen mit ihrem wunderbaren Blau vom Boden auf; hier und da guckte wohl auch ein nachblühendes Alpenröslein schelmisch aus dem dunklen Knieholzgebüsch herab. Stille herrschte überall, nur der Gießbach rauschte in seinem felsigen Bette dahin, und seltsam angezogen lauschte ich diesen immer gleichen und doch so beredten Tönen, die die Phantasie in förmliche Sprache und verständliche Laute übersetzte. Wer hätte einsam an einem lebendigen Wasser gestanden und nicht Worte zu vernehmen geglaubt, – vielleicht gar sich rufen hören, und zwar bei hellem Sonnenschein, als gehörte dieser zur Geisterstunde des Waldes? Auch mir ging es hier so. Dazu brauste es zuweilen, wenn ein rascher Luftzug sich erhob, orgelartig durch die Wipfel der Bäume und verhallte in leisem, wehmüthigem Flüstern, das die knarrenden Seufzer der alten Stämme begleitete. Wieder wurde es still, daß man es vor Ruhe im eigenen Ohre singen hörte. Jetzt ließ mich ein leiser, prickelnder Ton hoch aufhorchen, und in der Spannung glaubte ich schon, eine Beute zu hören – doch es war nur ein gelöstes Blatt des alten Ahorns, das hin- und herkreuzend zuletzt in den Bach fiel und, von dessen Wellen erfaßt, schaukelnd wie ein steuerloser Kahn dahinschoß, bis es in reißender Schnelle dem Auge entschwand.

Vielleicht eine Stunde war verflossen, da dröhnte der Schuß eines über mir stehenden Schützen herab und setzte sich, vielfach wiederhallend, ist den Gebirgen fort. Dann kehrte die heilige Waldesstille zurück, die nur vom Rauschen der Wässer und vom melodisch-melancholischen Klingen der luftdurchhauchten alten Bäume unterbrochen ward. Mich aber hatte der donnernde Schall fieberhaft aufgeregt, denn ich konnte ja ebenfalls jeden Moment so glücklich sein, zu Schuß zu kommen. Die Augen bestrichen fortwährend ihren Sehkreis, doch kein lebendes Wesen wollte sich blicken lassen. So waren, ohne daß ich etwas gesehen und gehört, wohl zwei Stunden vergangen, als einer von den Treibern aus dem Walde über den Gießbach geklettert kam. Ich stieg nun am Flügel des Treibens mit empor bis zum oberstem Schützen, Freund Gerstäcker. Er war der einzige Glückliche, der überhaupt zu Schuß gekommen war und durch denselben seine Beute niedergestreckt hatte. Theils durch Schwierigkeiten im Terrain, theils durch andere Hindernisse war das Treiben nicht erfolgreicher gewesen; die meisten Gemsen waren flüchtig auf einer Ecke hinaus in die höheren Regionen gewechselt, gerade da, wie das häufig zu gehen pflegt, wo keine Schützen gestanden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_259.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)