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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Gemse auf der Vorhut.

Neureiter keine Geis erschossen, sondern nur aus Scherz gelogen: er hatte zerstoßene Rippen, der Förster keinen Hühnerhund mehr, zwei treue Herzen waren zerrissen, und die Haarzöpf’ der Kundl auch; einen hob die Kuni in ihrem Kasten auf als Andenken an den schönen Jugendschmuck, und den andern hatte der Stephl mit heimgenommen und in seiner Bettstätte verborgen. Gar so ein gefühlloser Klotz war der Stephl nicht! Von wehmüthigen Gefühlen bestürmt, zog der Bub’ den Zopf öfter hervor und machte sich überhaupt oft in seiner Kammer zu thun. Dann betrachtete und betastete er den vollen, weichen Zopf, und der arme Schelm konnte es sich nicht verbergen, wie angenehm es wäre, wenn am Zopf in dieser Nähe die Kundl selber hinge.

Der Förster war sehr erbittert über den Tod seines unübertrefflichen Kastor und betheuerte, die nächsten drei Bauernhunde, die ihm heute begegneten, werde er den Manen seines Kastors hinopfern. Ob er Wort gehalten, weiß ich nicht.

Es war Herbst, von den Gipfeln der Gebirge erglänzte frischer Schnee, die Almen waren längst verlassen, die Kühe mit ihrem traulichen Glockengeläute weideten an den Thalhängen oder auf den Wiesen neben den Häusern unter den Bäumen mit den reifen Aepfeln und Birnen. Ueberall rauschelte es schon von den Bäumen, welche ihr Laub der Mutter Erde zurückgaben, vergilbt sah das grüne Sommerkleid der Buchen von den Höhen in das Thal herab, dessen Wiesplan ebenfalls eine abgeschossene Farbe zeigte und von der reichen Sommerflora nur noch die Kelche der Herbstzeitlosen übrig hatte. Frisch strich der Ostwind über die Fluren, reicher flossen die Quellen wieder und die Gießbäche, es waren so freundliche Tage, an denen die Natur segensmüde in sich lächelte. Der Sommer war auf der Alm glücklich vorbeigegangen, abgesehen davon, daß die Jäger häufig in die Hochreviere kamen, und mehreres Vieh Neureiters auf der untersagten Weide gepfändet hatten. An Neureiters Hof ging aber kein Jäger vorbei, lieber machten sie einen Umweg; sie wichen den heftigen Leuten aus, welche voll Groll gegen sie waren. Der Bauer pflegt den ganzen Haß und Zorn über Maßregeln, deren Ausführung von hohen Aemtern anbefohlen ist, den executirenden Individuen auf den Hals zu laden. Die Beschränkung des Weiderechtes gilt ihm als ein Rütteln am Wohlstande, den er den Nachkommen hinterlassen will und welcher unveräußerlich ist, und keiner möchte es sich im Grabe nachsagen lassen, daß unter seiner Wirthschaft irgend ein Unrecht am Besitzthum ruhig hingenommen werden sei. Der Neureiter hatte gegen die neue Pfändung appellirt, aber ohne Erfolg, und er sah der Auspfändung entgegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)