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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Meteoriten und die Kometen.
Von F. v. R–ch.

Versenkt sich der Blick des sinnigen Menschen in die Tiefen des nächtlichen Sternenhimmels, so füllt sich das Gemüth mit ahnenden Empfindungen, der Geist wird ergriffen von forschendem Verlangen. Er fühlt sich winzig inmitten der Unendlichkeit gewaltiger Mächte, – er erkennt sich groß in seiner Kleinheit, wenn er sich mit seiner Glaslinse und seinem Rechenstabe emporschwingt, den geistigen Flug durch diese Ewigkeiten nimmt und den leuchtenden Sternen für Aeonen ihre Bahnen vorzeichnet.

Aber in heutigen Tagen fängt er an, noch einen anderen Weg zu brechen, auf dem er Antwort sucht auf die großen Fragen der Schöpfung, es ist der der Physik und zuletzt der der Chemie, mit denen er einzudringen wagt in den dunkeln labyrinthischen Grund des Weltgebäudes.

Wie? Will er hinauflangen mit seiner Retorte in das Himmelsgewölbe? Will er den Sternenstoff destilliren? Will er keck den Sonnenglanz zerlegen? – Nicht doch! Aber der Sonnenglanz kommt zu ihm herunter; er gibt sich gefangen, läßt sich geduldig zerschneiden in sieben Portionen und gehorcht ihm als dienender Knecht zum Bildermachen. Und der Sternenstoff? Der kommt gar von selbst herbeigeflogen und springt ihm in den Schmelztiegel hinein. Da gibt es Donnern und Rasseln am Himmel, eine prachtvolle Leuchte gibt ihm das Geleite in unsere Atmosphäre herein, und ein wunderbares Gebilde kommt aus den himmlischen Reichen als Gesandter bei uns an.

Was in aller Welt ist das? Was schlägt in ein Dach ein, was schmettert hier einen Baum nieder, was tödtet dort einen friedlichen Menschen? – Es ist ein Meteorstein (Meteorit), ein Stein aus Eisen, aus Kohle, der mit Wucht in den Boden eingeschlagen hat. Er ist heiß, man verbrennt die Hände an ihm und kohlschwarz sieht er aus. Das ist keine Gestalt aus des Himmels Klarheit, die Hölle scheint ihn ausgeworfen zu haben; mit Toben, mit Feuer und Rauch und mit wüthender Gewaltsamkeit feiert er seinen Eintritt bei uns. Er selbst zerschmettert seinen Leib dabei und geht in Trümmer.

Doch siehe, innen ist er nicht mehr schwarz, er ist weiß. Er muß silbern, er muß golden sein, eine Menge gelber und weißer blanker Körner glänzen aus seinen weißlichen Eingeweiden metallisch heraus. Wagen wir es, ihn zu zergliedern!

Da finden wir, daß seine Schwärze nur aus einer oberflächlichen Haut besteht; sie hüllt ihn ganz ein, ist nur so dick als ein Kartenblatt darüber hergezogen und so hart, daß man damit die Fensterscheiben ritzen kann. Man sollte glauben, daß sie zum Schutze des Steines da wäre. Dem ist aber nicht so; wir haben gesehen, wie er in Feuer und Flammen aus dem Himmel hervorbrach und heiß auf der Erde ankam. In diesem Feuer, das nur Secunden dauerte, hat er eine oberflächliche Schmelzung erlitten und davon die dünne schwarze Rinde erhalten, in der wir ihn einige Augenblicke darauf finden.

Ganz anders ist sein Aussehen im Innern, wenn wir ihn zerbrechen. Die glänzend metallischen, gelben und weißen Körnchen darin sind kein Gold und kein Silber, sie sind Schwefelkies und blankes Eisen. In großer Menge sind sie ziemlich gleichförmig in der graulich-weißen Substanz des Steines zerstreut. Aber auch diese letztere ist nicht einfach. Wir sehen in eine feine erdige, rein weiße Grundmasse unzählige der verschiedensten Körper eingebettet. Manche sind groß, wie Wallnüsse, wie Mandelkerne; andere klein, wie Hanfsamen, wie Mohn, ja, viele sind kleiner, als Vanillekörnchen, und legt man etwas davon unter ein Vergrößerungsglas, so gehen die Maße herab bis in’s unendlich Kleine, die feinsten Nadelstiche sind grob gegen Millionen schwarze krystallinische Pünktchen, die man darein eingesäet findet.

Betrachten wir aber diese für sich, so finden wir die meisten davon wieder nicht einfach; auch sie erscheinen wieder zusammengesetzt aus allerlei Theilchen, und so kommen wir an kein Ende in dem feinen Gemenge der mannichfaltigen Bestandtheile der Meteoriten. Kein irdischer Stein ist ihnen in der Zusammensetzung gleich.

Werfen wir einige Blicke auf einzelne dieser Körperchen, aus deren Haufwerk ein Meteorit besteht. Zuerst auf die schönen goldgelben Schwefelkiese. Sie zeigen sich krystallisirt, ganz in denselben Formen, wie wir sie aus unsern Bergwerken hervorholen.

Dann prüfen wir die Eisenkernchen. Sie sind weich, lassen sich feilen, hämmern, fletschen, auflösen in Säuren, niederschlagen, man kann aus ihnen Englischroth, Berlinerblau und Alles machen, was unser irdisches Eisen gibt. Zerlegt man sie mit chemischen Hülfsmitteln, so findet man fast immer Nickelmetall darin. Bisweilen ist das Eisen nur in geringer Menge vorhanden und verschwindet dem freien Auge; bald mehrt es sich, nimmt ein Viertel, die Hälfte des Steines ein; bald klumpt es sich und macht ganze größere Kerne darin aus; ja, es nimmt endlich so überhand, daß der ganze Stein fast aus nichts besteht, als aus dem vorherrschend gewordenen Eisen und Nickel allein. Man kann ihn dann nicht mehr einen Stein nennen, sondern es wird eine Eisenmasse daraus, die bisweilen zu Hunderten von Centnern anschwillt.

Vor Allem begegnen uns gewisse runde Kügelchen, die sehr häufig in den Meteoriten in’s Auge fallen. Zunächst gewahren wir ganz kugelrunde, glänzende, dunkle, harte Körperchen, die wie Schrote in die weiße Grundmasse hineingeworfen erscheinen. Im Jahre 1794 ist in Italien bei Siena ein ganzer Regen von kleinen Meteoriten vom Himmel gefallen, in diesen finden sich Tausende solcher runder, schöner, reinbegrenzter, glänzender Kügelchen, die meist graulichschwarz in weißem erdigem Grunde liegen. Im Jahre 1798 geschah Aehnliches bei Benares in Ostindien. Feurige Wolken erschienen plötzlich am Himmel und schwarze Steine stürzten zahlreich aus ihnen herab zur Erde; alle waren außen schwarz und innen weiß und voll von kleinen runden, harten Kügelchen von Mohnkorn- bis zu Hanfsamengröße, dunkelgrau, aber glanzlos. Sie zeigten sich so lose eingelagert in die Steine, daß man sie leicht herausnehmen konnte; es blieb dann ein reines, glattes, hohles Kugellager im Muttergesteine zurück. – Ein ganz ähnlicher Stein fiel zu Utrecht im Jahre 1843; ein anderer zu Littlepiney in Missouri; andere zu verschiedenen Zeiten zu Pultawa in Rußland, zu Richmond in Virginien, zu Epinal in den Vogesen, zu Weston in Connecticut, zu Blansko in Mähren, zu Heredia in Costarica, zu Seres in Macedonien, zu Mäsing in Baiern, zu Lontolax in Finnland, zu Borkut in Ungarn, zu Bremervörde in Hannover, und so eben in unseren Tagen recht schöne zu Ausson und Clarac in Südfrankreich. Alle diese Steine zeigen auffallend schöne Kügelchen in ihre Grundmasse eingelagert. Diese reine runde Form, wo die Kügelchen wie gedrechselt erscheinen, geht dann in’s Eirunde, in’s Längliche, in’s Plattgedrückte und in alle Gestalten von abgerundeten Geschieben über. Endlich werden die Körperchen eckig und nehmen alle Formen von Bruchstücken und Splittern an, ja, zuletzt gehen sie im Steine von Kaba und Alais mitunter völlig in weißliche Splitter, ja Fetzen über. Nahm man solche Kügelchen heraus und gab sie unsern Chemikern, so wiesen sie nach, daß sie größtentheils aus nichts als ganz aus derselben Mischung bestehen, wie unsere gewöhnlichen irdischen Olivine.

Aber die Grundmasse selbst, prüft man sie genau, besteht auch aus lauter terrestrischer Substanz, aus Augit, Hornblende, Feldspath, Oligoklas, Anorthit, Eisenoxydulkernchen, Thonerde, Kalk, Chromoxyd, dann Kobalt, Mangan, Kupfer, Zinn, Schwefel, Phosphor, Kohle u. s. w., endlich aus einer Menge Trümmern von Olivin, und dies nicht selten so reichlich, daß die Grundmasse zum größten Theile daraus zusammengesetzt erscheint.

Ein allgemeiner Rückblick auf alles dieses zeigt uns also, daß sie nichts Anderes, als ein zusammengesetztes Trümmergestein, eine Breccie von einer Menge verschiedenartiger Dinge sind, die da zusammengemengt, bald groß, bald klein, bald eckig und splitterig, bald länglich, bald rund, bald fest, bald locker, bald hart, bald weich, bald metallisch, bald steinig regellos aneinander gefügt, bald einfach, bald selbst wieder gemengt in eine schwarze Brandrinde eingehüllt sind.

Ein solches Gemenge der verschiedenartigsten Gebilde nun kann nicht auf einmal und aus einem Gusse der schöpfenden Werkstätte hervorgegangen sein, es müssen die entlegensten Zeiten und die mannichfaltigsten Kräfte an seinem Aufbaue gearbeitet haben. Alle die in den Stein eingeschlossenen, Gebilde müssen fertig gewesen sein,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_247.jpg&oldid=- (Version vom 3.5.2023)