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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

seine Kunstschule und eine Anzahl daraus hervorgegangener Künstler, aber beide, Schule und Jünger, haben bisher noch nicht eben sehr von sich reden gemacht, was zu thun auch hier nicht unsere Absicht sein kann.

Leipzig ist auch in keiner Hinsicht dazu angethan, eine Pflanzstätte der bildenden Kunst zu sein und zwar wesentlich aus zwei Gründen. Erstens ist die große Zahl unserer „reichen Leute“, mit sehr wenigen rühmlichen Ausnahmen, nicht sehr mäcenatisch gegen dieselbe gesinnt, namentlich seit der Mann, der als Vorbild leuchtete, Schletter, nur noch in seinem schönen Vermächtniß an die Stadt lebt, unsterblich lebt. Die alljährlichen Bilderschauen, in denen unser großer Aquarellist C. Werner den reichen und vornehmen Leipzigern seine Bilder vorführt, haben nur noch sehr wenige von jenen verführt, den reichen Engländern etwas von den Arbeiten ihres Mitbürgers vorwegzunehmen. Der Leipziger sagt: „das liegt nicht drin“. Was in ihnen, in der haute volée von Leipzig liegt, das ist eine einseitige Vergötterung der Musik.

Ein zweiter Grund, weshalb Leipzig keine Pflanzstätte der Kunst ist, liegt im Buchhandel. Der riesige Verlags- und Commissionsbuchhandel bemächtigt sich sofort jedes halbwegs fertig gewordenen Kunstjüngers. Schon manche vielversprechende Kraft ist erlahmt sitzen geblieben bei dem täglich frisch gebackenen Brode der – Illustrationsbestellungen. Bleistift und Holz werden von den Leipziger Künstlern mehr verbraucht, als Pinsel und Malertuch. Die kaum zu befriedigenden Bestellungen des Buchhandels hemmen den Flug nach dem Höchsten. Das soll freilich nicht sagen, daß Leipzig nur mittelmäßige Künstler besäße; wir wollen zur Abwehr dieser Auffassung unserer Worte nur noch zwei nennen: Knauer und Sichling. Wir reden in dieser Beurtheilung des drückenden Verhältnisses des Buchhandels zur Kunst nicht allein aus eigener Auffassung, sondern noch ganz kürzlich äußerte sich hierüber eine unserer tüchtigsten Kräfte in einer solchen Weise, daß es geradehin ein Ringen nach Befreiung war. Um so verdienstlicher wäre es, wenn der Reichthum Leipzigs dieser Befreiung etwas beispringen wollte.

Aber um so nothwendiger war es auch, die zahlreichen Leipziger Kunstjünger gegenseitig unter die Kräftigung der von jeder Vereinigung ausstrahlenden Wärme zu stellen, und darum begrüßte jeder Freund der Kunst die Gründung des „Leipziger Künstlervereines“ mit Freuden. Der lange unter dem Herzen der Muse getragene Spätling fühlte bald sein Blut keck durch die Adern pulsiren. Mancher hielt es für zu keck; denn nach kaum halbjährigem Bestehen ein großartiges Künstlerfest zu feiern, sah fast aus, wie ein va banque. Der junge Verein wagte es, er setzte Alles auf Eine Karte und siehe da, er gewann seinen Einsatz. Denn man kann es gewiß ein Gewinnen nennen, daß sich Leipzig zu dem am 19. März in den schönen Räumen des Schützenhauses abgehaltenen Feste drängte, im buchstäblichen Sinne drängte.

Um Carl Werner, den Präsidenten des Vereins, schaarten sich opferbereite Hände, mit Pinsel und Farben zu produciren und durch lebendige Bilder bekannte oder sonst sich eignende Kunstwerke zu reproduciren. Die Musik, als gleichberechtigtes Glied des Vereins, verband sich in etwas unschwesterlicher Weise, wie wir gleich sehen werden, mit der Malerei.

Wochenlang war das angekündigte Fest des Leipzigers Taggedanke und Traum; viele Hunderte, die mißtrauend zugewartet hatten, konnten sich zuletzt keine Eintrittskarten mehr verschaffen. Es war eine namenlose Spannung auf den Gesichtern zu lesen, denn so etwas war in Leipzig „noch nicht dagewesen.“ Das Nachfolgende soll keine Beschreibung sein, denn eine Festbeschreibung ist doch nur ein post festum; es soll nur unseren Holzschnitten als Legitimation dienen.

Vor einem heringsmäßig zusammengeschichteten Publicum entfalteten sich die zwei Hauptabtheilungen des Festes, von denen die erste eine rein musikalische war, weil sicherem Vernehmen nach die Musik sich geweigert hatte, mit den Vorführungen ihrer Schwester abzuwechseln. Dies nannten wir eben, und gewiß nicht mit Unrecht, unschwesterlich. Es brachte dies eine grundfalsche Stimmung in das Publicum, welches gewiß nicht gekommen war, um fast zwei volle Stunden die Augen vor dem geschlossenen Vorhange warten zu lassen. Die Ohren hatten jedenfalls kein Vorrecht bei einem Künstlerfeste, wobei man an München und Düsseldorf und nicht – an das „große Concert“ von Leipzig gedacht hatte. Um die Ungeduld der schaulustigen Menge recht auf die Folter zu spannen, nicht etwa in heiterer Weise anzuregen, gab es nur, ausnahmslos nur ernste Musik.

Mit um so günstigerem Vorurtheil sah man endlich den Vorhang sich theilen.

Nach einer eigens von Maczewski componirten Ouverture begann das, wir glauben vom Maler L. Clasen gedichtete Festspiel. Der Humor empfahl den Herrn Schacherich und Frau Prosa, Leipziger Kinder, der Gönnerschaft der daherschwebenden Kunst, und diese that jenen den Gefallen, das Nachfolgende ihnen zu zeigen. Der Humor verdiente seinen Namen nicht vollständig.

Es folgten sechs lebende Bilder: 1) das Abendgebet auf dem See von Ruben; 2) Don Quijote im Amadis lesend von Schrödter; 3) Lindaraja von Werner; 4) Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser von Souchon; 5) Paolo Veronese den Besuch des Dogen empfangend von Hammann und 6) des Sängers Fluch von Foltz.

Sämmtliche Bilder fanden den wohlverdienten Beifall. In die langen und langweiligen Pausen zwischen den Bildern hätten die Musikstücke gehört. Aber die Musik hatte keine „Lückenbüßerin“ sein mögen! Die Musikbegleitung der Bilder von Maczewski war größtentheils sehr entsprechend; ausgezeichnet war die zu Don Quijote, dessen höchst passender Darsteller in Spanien sich dazu die Weihe geholt hat.

Nun zeigte der Humor den beiden kleinbürgerlich angeputzten Leipzigern Schacherich und Prosa (doch auch den echt pariser-imperialistisch angeputzten Leipzigerinnen des Zuschauerraums) eine „Chronik der Stadt Leipzig“, einen transparanten Fries von Leutemann, den wir unsern Lesern vorführen. Die Erklärung dazu war nicht sehr humoristisch und am Ende durch einen zum mindesten äußerst taktlos zu nennenden politischen Ausfall – denn es war mehr als blos eine Anspielung – „gekrönt“, was je nach Parteistellung verstimmte oder in’s Fäustchen lachen ließ. Die sehr glücklich aufgefaßte und ausgeführte Idee des talentreichen Künstlers hätte eine bessere Interpretation verdient, als die gegebene.

Den Schluß der Schaugebungen machte die Enthüllung von zwei großen von Clasen gemalten Transparents: allegorische Gestalten der Poesie, Architektur, Sculptur, Malerei und Musik.

Eine nun folgende Verlosung von kleinen Kunstgaben an die Damen mußte wegen des großen Andrangs der Hoffenden aufgegeben werden.

Wenn der erst nach sechsstündigem Hören und Schauen und – Warten folgenden Festtafel der geistige Schaumwein fehlte, so war dies wahrlich kein Wunder. Einen einzigen Tropfen spendete Werner durch ein in Wiener Mundart und in echter Leopoldstädter Färbung vorgetragenes Lied, welches die imperialistischen Kriegsgelüste geißelte und eine durchschlagende Wirkung hatte. Man war mehr als müde, man war ermattet. Es waren von dem Festausschuß mancherlei Formfehler begangen worden, die dies verschuldeten, aber nach unserer Meinung auch nur Formfehler, und die kann und muß man einem Erstlingsversuche nachsehen. Ein Festball machte natürlich den Beschluß.

Das Fest war jedenfalls eine würdige Inauguration des Leipziger Künstlervereins. Leipzig hat Ursache, sich des Vereins zu freuen; und die wohlthätigen Rückwirkungen des Festes auf die Leipziger und auf die Festgeber selbst werden sicher nicht ausbleiben. Der Verein selbst hat Erfahrungen gesammelt, und Erfahrungen bezahlt man nie zu theuer.



Pariser Bilder und Geschichten.
3. Sonderbare Existenzen.

Alltäglich begegnet man in Paris einer großen Anzahl von Individuen, deren Antecedentien und Urgeschichte schwerer festzustellen sind, als die Urgeschichte irgend eines Völkerstammes, dessen Ursprung sich in der dunkelsten Nacht der Zeiten, hinter den Vorhängen vieler Jahrtausende verliert. Man begegnet ihnen in den Salons reicher Bankiers, bei Institutsmitgliedern, an der Privatspielbank zweideutiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_222.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)