Seite:Die Gartenlaube (1859) 216.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Eine Anzahl tatarischer Jäger, auf’s Trefflichste beritten, vertheilt sich über die Steppe, jeder hat einen kleinen, langhaarigen Wachtelhund bei sich, welcher weiter nichts zu thun hat, als in möglichst ruhigem Tempo die Vögel aufzustöbern und emporzujagen. Auf der Hand, ohne Handschuh, trägt der Jäger einen Habicht mit der Lederkappe über den Augen; sobald die Wachtel auffliegt, reißt er jene dem Vogel ab und wirft ihn nach; der Habicht steigt nicht empor, wie der Edelfalke, sondern schießt sofort im Bogen auf das Wild, welches zwar sogleich einfällt und sich zu verbergen sucht, allein selten dem gierigen Auge des Räubers entgeht, der sich darauf stürzt, aber es mit den Fängen gewöhnlich so säuberlich packt, daß er es seinem Herrn lebend und unversehrt überbringt. Nur junge, noch unerfahrene Habichte stoßen so scharf nieder, daß sie die Wachtel verletzen oder tödten. Der Jäger führt, ein seltsamer Anblick, einen hölzernen Käfig neben sich, in welchem er das erbeutete Wild verwahrt; er fängt nicht selten an einem Tage fünfzig bis sechzig Stück Wachteln auf solche Weise. Dieselben werden gewöhnlich noch eine Zeit lang gemästet und dann lebendig zu Markte gebracht; man verkauft sie nach dem Gewicht, das Pfund etwa zu einem halben Thaler; sehr viele davon werden in Tonnen eingepökelt und geräuchert, oder auch mit Fett übergossen aufbewahrt.

Die zur Beize bestimmten Habichte müssen ganz jung aus dem Neste genommen werden; der Jäger füttert sie stets nur selber und sie gewöhnen sich frühzeitig so an ihn, daß sie seinem Locken gehorsam folgen. Sobald sie mit der Kappe und der Faust vertraut sind, kann man unbedenklich wagen, sie fliegen zu lassen. Die Tataren besitzen überhaupt eine höchst merkwürdige Geschicklichkeit in Zähmung und Abrichtung der Thiere; sie beizen nicht nur mit dem Habicht, sondern auch mit dem Steinadler, dessen Junge sie von den riesigen Gebirgen der Krim holen, und mit dem Edelfalken, den sie aus Persien und dem Kaukasus beziehen. – Wachtelfang mit Stellnetzen und Laufgarnen wird ebenfalls vielfach betrieben und ist ziemlich einträglich.

Einige Abwechselung in das einförmige Wachtelschießen, dessen Ausbeute durch den liebenswürdigen Monsieur, so hieß der Hund, um ein Drittheil mindestens decimirt ward, boten die kleinen Suppenhühner, die sich überall fanden, dann die hübschen Zwergtrappen (Otis tetrao) von der Größe einer Wildgans, fast gerade so gefiedert, wie die große Trappe; ich traf dieselben stets einzeln in der Steppe liegen, sie lassen den Jäger nahe herankommen, und fliegen dann plötzlich mit merkwürdig tönendem Flügelschlag empor aus ihrem Versteck im Burian. Die Raubvögel, von welchen die Steppe wahrhaft wimmelt, lernten bald die Flinte kennen, und wichen ihr im scheuen Respect aus, obgleich sie als nützliche Naturpolizei vor ihr vollkommen sicher waren; die Hasen lagen alle wohl geborgen tief im Getreide, und überdies war es nicht ihre Zeit; so mußte denn manchmal nur des Schusses wegen ein unglückliches Ziesel herhalten, das vor seinem Loche sich sonnte, und die mit gestohlenen Körnern gefüllten Backen kratzte. Aber nach und nach ward dies Alles langweilig, zumal die furchtbare Hitze, die schon mit dem frühen Morgen begann, jeden Jagdzug zu einer Art von Martyrium, langsamem Braten auf dem Roste vergleichbar, machte.

Da kam eines Tages der Schäfer Stepan, ein Bündel unterm Arm, das er mit gar betrübter Gebehrde vor den Füßen seines Herrn ausbreitete; es waren drei blutgetränkte Lämmerfelle.

„Der Wolf hat sie zerrissen, o Herr!“ so klagte der Getreue, und die hellen dicken Tropfen rollten ihm unaufhaltsam in den krausen Bart, während sich plötzlich die ganze Atmosphäre des Zimmers mit Spiritus vollgesogen zu haben schien; „wir haben gewacht, Herr, und die Hunde haben ihn gejagt, aber er ist wiedergekommen und hat die drei besten Stücke geholt aus der Heerde, sieh hier ihre Felle, die Leiber haben wir verscharrt. Hilf, Herr, und gib uns den Leo, denn unsere Hunde trauen sich nicht an den Wolf.“

Leo war ein ungeheurer Neufundländer, von merkwürdiger Tapferkeit und Stärke, aber träg und verwöhnt, nur Wächter des Hauses und Hofes, doch hatte er schon manchen Wolf im Kampfe gar rühmlich bezwungen. Der Gutsbesitzer wiegte bedächtig den Kopf, antwortete aber weiter nichts als:

„Geh’ zuvor, Stepan, und schlafe Deinen Rausch aus!“ worauf sich der Schäfer entfernte unter den fürchterlichsten Eiden, daß er gar nicht mehr wisse, wie Branntwein aussehe, nur der Kummer, nur die tiefe Betrübniß um die fortwährenden Verluste des geliebten Herrn habe ihm die Beine geknickt. Als er fort war, sprach mein Freund: „Ich weiß zwar ganz bestimmt, daß die Spitzbuben selbst die Lämmer geschlachtet und verzehrt haben, aber was will man machen? Beweisen kann ich es ihnen nicht, Einer ist wie der Andere, und sie haben für sich, daß Wölfe wirklich in der Nähe sind, also muß ich es hinnehmen. Aber um ihnen auf ein paar Wochen mindestens die Ausrede abzuschneiden, sollen die angeblichen Räuber verjagt werden. Morgen in der Frühe der Erste!“

Wer war froher als ich über die willkommene Kunde!

Spät am Abend sprangen Sergei, Wassilei und Sacha, drei erprobte Reiter und Wolfsjäger, von den Gäulen; sie waren den ganzen Tag auf der Streife gewesen.

„Der Wolf ist gefunden, Väterchen,“ sagte der riesige Wassilei schmunzelnd, „morgen wird er zu Deinen Füßen kriechen.“

Und sie schmunzelten alle Drei immer energischer, und leckten die bärtigen Lippen, und kratzten sich hinter den Ohren, bis der Gebieter, wohlbekannt mit dieser Zeichensprache, einem Jeden ein mäßiges Wasserglas voll des geliebten Wodka kredenzte. Es floß hinab wie Wasser, immer schmunzelnd wischten sie den Mund mit den weiten Aermeln und verneigten sich tief, dann gingen sie, die nöthigen Anstalten zu treffen.

Um drei Uhr früh sollte Jedermann fertig zur Stelle sein; ich war schon eine Stunde vorher munter und bereit. Aber endlos dehnten sich noch die Zurüstungen, das Hin- und Herlaufen, der Thee, nachdem meinem ungeduldigen Rumoren gelungen war, männiglich zu erwecken. Einigermaßen verwundert war ich, als ich von dem gewohnten Apparat der Flinten, Waidmesser, Jagdtaschen, Pulverhörner durchaus nichts gewahrte, von welchen sich der Deutsche, dessen Erbtugend die Lust am Schleppen zu sein scheint, noch immer nicht losmachen kann.

„Hier Ihre Waffe!“ sagte der Edelmann, und übergab mir eine vortreffliche Reitpeitsche aus einem Stück ungegerbten Leders.

„Wollen Sie mir denn nicht die Ehre gönnen, einen Wolf erlegt zu haben?“ gegenfragte ich halb gedemüthigt.

„Die Ehre ist so klein,“ entgegnete mein Freund lächelnd, „daß ein Sportsman darauf verzichtet. Wissen Sie nicht, wie man in England den Fuchs jagt? Gerade so werden wir es mit seinem Vetter machen. Und nun zu Roß!“

Vor der Veranda scharrten vier Pferde ungeduldig den Boden. Das stattlichste darunter war eine englische Vollblutstute, welche bei den Rennen zu Cherson, Wosnesensk und Jekaterinoslaw schon mehrmals gesiegt, eines der werthvollsten Thiere aus dem bedeutenden Gestüte meines Freundes. Sie war von dessen Güte für mich bestimmt; aber neben ihr schäumte und stampfte ein tatarischer Rapphengst, dessen prachtvolle Mähne, überhaupt sein ganzes Wesen mich augenblicklich dergestalt einnahm, daß ich mir die Gunst ausbat, ihn reiten zu dürfen. Sie ward mir, wie ich glaube, mit einiger Genugthuung gewährt, denn die englische Stute war zehnmal werthvoller, wie das eingeborene Thier. Wassilei und Sacha waren unsere Genossen, sie ritten starke Ponies der Steppenrace, der Letztere trug einige Stricke am Sattel, und darin bestand unsere ganze Ausrüstung; nicht einmal Hunde wurden mitgenommen.

Im scharfen Trab ging’s hinaus in die thauige, stille Steppe, die beiden Leibeigenen etwa um funfzig Schritte voraus. Wie herrlich war’s in dieser Morgenfrische, überwölbt vom blauen, ungetrübten Himmel, dahin zu reiten durch die Wüste, ohne Weg und Bahn! Nicht lang und die Pferde fielen von selbst in die gewohnte Gangart, den Galopp, denn Trab laufen in Rußland nur die Orlow’schen Traber aus Chränowoi, und es hält schwer, Steppenpferde an diese dem Thier nicht natürliche Bewegung zu gewöhnen. Wir mochten ungefähr drei Werst zurückgelegt haben, als Wassilei sich umwandte und die Hand hoch empor hielt; es war ein Zeichen größerer Vorsicht, wir warfen die Cigarren weg, und befleißigten uns des Schweigens. Aber lang noch dauerte der Ritt, viel zu lang für meine fieberhafte Ungeduld. Plötzlich wandte sich der Vorreiter zum zweiten Male mit eindringlicher Gebehrde.

„Halt!“ commandirte mein Begleiter, „wir sind dem Lager des Wolfes nahe; die beiden Burschen werden ihn aufjagen; lassen wir unsere Pferde etwas verschnaufen, damit sie sich zeigen können, wenn es wirklich gilt.“

Wassilei und Sacha hatten mittlerweile sich getrennt und ritten nunmehr im Schritt einer Bodensenkung zu, die von wildem Buriangestrüpp erfüllt war, das hier und da seine stacheligen Häupter über das Niveau der umliegenden Fläche erhob. Nach einigen Minuten waren sie unseren Blicken entschwunden. In athemloser Erwartung harrten wir – wenigstens ich – eine ziemliche Weile; da, auf

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_216.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)