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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Setzen wir ihr einen Denkstein durch Pestalozzi’s eigene Worte.

„Ihr Wort“ – sagt er – „beruhigte meinen sterbenden Vater, sein Auge erheiterte sich, und mit diesem Trost im Herzen schied er. Sie hielt ihr Versprechen, und blieb bei meiner Mutter bis an ihren Tod. Sie half ihr ihre drei armen Waisen durchschleppen durch alle Noth und durch allen Drang der schwierigsten Verhältnisse, und zwar mit einer Ausdauer und zugleich mit einer Umsicht und Klugheit, die um so bewundernswürdiger ist, als sie eben erst aus einer armen Dorfhütte in die Stadt gezogen war. Aber sie war in derselben zu solcher Würde und Treue der Gesinnung erstarkt durch hohen, einfachen Glauben. So schwer auch immer die gewissenhafte Erfüllung ihres Versprechens war, so kam ihr doch nie der Gedanke in die Seele, daß sie aufhören dürfe oder aufhören wolle, dieses Versprechen ferner zu halten. Sie förderte auf alle Weise die äußerste Sparsamkeit, die unserer Mutter Lage gebot. Wo es aber Ehrenausgaben, Neujahrsgeschenke, Trinkgelder und dergleichen galt, da wurden solche – trotz aller Einschränkung – fast über das Vermögen sehr ehrenfest bestritten. Ich und meine Geschwister hatten immer sehr feine Sonntagskleider, aber wir durften sie nur wenig tragen und mußten sie, sobald wir heimkamen, wieder ablegen, damit sie recht lange als Sonntagskleider getragen werden konnten. Erwartete die Mutter einen Besuch, so wurde die einzige Stube, die wir hatten, mit aller Kunst, die uns möglich war, in eine Besuchsstube umgewandelt.“

Wie mächtig dies Alles auf die Seele des kleinen Heinrich einwirkte, läßt sich gar nicht verkennen. Sein ganzes späteres Leben zeugt davon.

In der Wohnstubenweisheit, in der Wohnstubenkraft suchte er hauptsächlich das Heil und die Erlösung, denn die Wohnstube aus seiner eigenen Kindheit stand ihm leuchtend vor dem Auge. Hatte er in derselben auch Noth und Armuth kennen gelernt, so fehlte es in ihr doch nicht an großer, aufopfernder Liebe. Ein erhebendes Bild der Treue war ihm aufgestellt in der Babeli, dem schlichten Mädchen aus niedrigem, armen Stande. Durch solchen Anblick, durch solch ein Zusammenleben erwuchs in dem Knaben der kräftige Keim zu jener Selbstüberwindung, die der Mann Pestalozzi in seinem späteren Leben so kernig und ehrenfest zeigt. Hier in der Wohnstube ahnte er zuerst die hohe Kraft, die in jeder Menschennatur liegt und aus ihr sich heben läßt, wenn eben die Wohnstube nicht verkrüppelt, nicht verunstaltet wird. Diese Ahnung wurde bald in ihm zur Erkenntniß, und die Erkenntniß führte ihn zu der Grundansicht, welche alle seine Bestrebungen leitete, als er dann auftrat als Erzieher und Bildner der Bettelkinder, sowie der Kinder der Großen und Reichen.




Die Luftbahn auf den Rigi.

Ein neues Project, welches kürzlich in einer interessanten Schrift der Oeffentlichkeit übergeben wurde, ist so sehr geeignet, das Interesse der reiselustigen Welt zu erwecken, daß wir uns nicht enthalten können, dieselbe, mit Bewilligung des Verfassers, der uns außerdem mit den nöthigen Unterlagen unterstützte, in Auszügen aus seiner Schrift unsern Lesern mitzutheilen. Für den Laien, hoffen wir, wird unsere Darstellung genügen; demjenigen aber, der sich speciell für die Sache interessirt, rathen wir an, die wissenschaftlich und gründlich abgefaßte Schrift[1] selbst zu lesen. Dieselbe beginnt folgendermaßen:

Die Gondel in der Rollenbahn.

„Es sind noch nicht hundert Jahre verflossen, seit unsere Straßen in höchst schlechtem Zustande waren. In ihrer Richtung größtentheils nur den durch die Natur selbst gebahnten Wegen, Bächen und Schluchten folgend, wiesen sie selten eine Spur technischer Thätigkeit auf. Plumpe Karren, Saumpferde, Reitpferde, Sänften waren die Transportmittel; langsam und mühsam war der Verkehr. Nur Wenige sahen die Welt in großem Umkreis. Man blieb bequem zu Hause, weil sich keine angenehmen, die Reiselust aufreizenden Verkehrsmittel boten. – Wie ist dies nun Alles anders geworden! Breite, ebene, kunstmäßig ausgeführte Straßen verbinden fast alle Ortschaften, überschreiten Flüsse, Schluchten und Berge. Bequeme Postwagen, elegante Kutschen, mit raschen Pferden bespannt, beleben sie. Noch mehr! Eisenstraßen, mit weiser Berechnung, unwiderstehlicher Ausdauer und siegreicher Kühnheit ausgeführt, verbinden Länder und Völker, und auf ihnen führen gewaltige Dampfwagen mit langen Wagenzügen auf einmal Hunderte von Reisenden und mächtige Waarenlasten mit rasender Schnelligkeit ihrem Bestimmungsorte zu.

Es gibt indeß immerhin noch Orte, wo selbst bei sehr großem Postverkehr die alten, unbehülflichen Verkehrsmittel existiren, weil die Localität zu große Schwierigkeiten für Anwendung der neuen bietet. Ich meine hiermit namentlich diejenigen Orte, wo ein starker Verkehr mit hochgelegenen Punkten stattfindet, und weise als ganz auszeichnendes Beispiel auf den weltbekannten Rigi in der Schweiz hin. Jährlich wird dieser Berg von tausend und tausend Reisenden aus allen Weltgegenden besucht. Bis zu seinem Fuße werden dieselben auf die angenehmste Weise durch rasche Dampfschiffe geführt; dann beginnt aber ein sehr beschwerliches Steigen, welches drei gute Stunden dauert. Ein Theil der Reisenden keucht mühsam zu Fuß den Berg hinan, andere lassen sich durch Reitpferde hinauf tragen – eine wahre Tierquälerei – die dritten übergeben ihren trägen Leib sogar einer Sänfte, welche von Männern getragen wird – eine wahre Sklavenarbeit. – Oben angekommen, findet man dann wieder allen möglichen Comfort, stattliche Hotels, elegante Zimmer, feine Mahlzeiten, ohne daß man daran denkt, welch’ große Mühe die Herstellung all’ dieser Bequemlichkeiten auf einer Höhe von 5500 Fuß (über Meer) verursacht hat, und immer noch verursacht. Bei Betrachtung dieses primitiven Verkehrszustandes ist mir denn schon vor mehreren Jahren der Gedanke gekommen, ob es in unserer, an vorzüglichen Verkehrsmitteln so reichen Zeit, überhaupt bei dem so sehr gehobenen Zustande der Bau- und Maschinentechnik, nicht möglich wäre, auch für den Verkehr mit Höhen eine Einrichtung zu treffen, die in den Leistungen mit den Eisenbahnen in der Ebene zu vergleichen wäre.

Wohl scheint auf den ersten Blick eine schiefe Eisenbahnebene mit stationären Dampfmaschinen (wie sie anderwärts für Uebersteigung geringer Höhen schon angewendet wurde) die anwendbarste

  1. Die Luftbahn auf den Rigi.“ System einer Communication mit Höhen, mit Anwendung der Luftballons als Locomotiven, von Friedr. Albrecht, Architekt. Mit 4 Tafeln Abbildungen. Winterthur, in Commission der Steiner’schen Buchhandlung. 1859.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_180.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)