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die Meinung, um die Stimmung und Handlungsweise dieses Onkels zu verändern? Ihm brannte das Herz, Helene zur Vertrauten seiner überstandenen Herzensqualen, die auf nichts begründeten, zu machen, aber dazu mußte er ihr allein gegenüber stehen, um die Demüthigung der Liebe nicht profanirt zu sehen. Sein Zustand enthielt Tantalusmarter, als er sich dicht vor ihrer Thür in den Wagen gebannt sah, während sich der Mann, der die Schuld an dem Zerwürfnisse zwischen ihnen trug, in ihrem Lächeln sonnen und die milde Freundlichkeit ihrer Worte genießen durfte. Schicksalstücke schien zu walten, um seine Strafe für die Feigheit, womit er vor dem Spotte des Onkel Fabian geflohen war, zu erhöhen. Es erschwerte seine Stellung gegen die Bewohnerinnen dieses Hauses, daß er vor ihrer Thür hielt und ruhig wartete, ohne von Sehnsucht getrieben zu werden, zu Helenens Füßen Abbitte für sein unverantwortliches Verschwinden zu leisten.

Jetzt nahten sich die Stimmen, die er nur ganz von fern und undeutlich vernommen hatte – das rauhe kräftige Organ der Tante Starkloff mischte sich mit den weichen, klingenden Tönen der jungen Dame und sein würdiger Oheim scherzte mit Beiden im anmuthigsten Dolce seiner Stimme. Ein stürmisches Gefühl packte ihn und unterjochte alle mühsam gepflegte Besonnenheit. – Er mußte Helene sehen! – Was sollte sie denken, wenn Onkel Fabian gesagt hatte: „mein Neffe Cécil wartet auf mich!“ Im Nu verließ er den Wagen und als die Damen den Regierungsrath abschiednehmend bis zum Hausflure begleitet hatten, stand der junge Mann plötzlich, wie aus der Erde gezaubert, vor Helene, faßte ihre Hände, preßte sie mit unbeschreiblicher Aufregung an seine feuchten Augen, an seine heißen Lippen und flüsterte:

„Helene! O Helene! – Morgen früh! – Darf ich kommen? Darf ich?“

„Ja,“ entgegnete fast bewußtlos vor Schreck das Mädchen. „Ja, morgen früh!“

„Morgen früh,“ jubelte Cécil und war wieder verschwunden. Gleich darauf rollte der Wagen die Straße hinab.

„Hilf Himmel, wer war denn das?“ schrie Frau Starkloff, zurückprallend und in großer Bestürzung ihre Nichte anstarrend, die sich bebend an ihre Schulter lehnte. „War es nicht Cécil? Der hat das Kommen und Verschwinden wohl seiner preiswürdigen Tante Olga abgelernt? Was sagte er, Kind, was?“

„Morgen früh!“ flüsterte das Fräulein ganz leise.

„Das scheint seine Devise zu sein!“ meinte die Dame trocken und zog ihre zitternde Nichte in’s Zimmer zurück. „Morgen, morgen, nur nicht heute – Kind, hoffe nicht wieder auf „morgen früh!““

Helene blickte zu ihr auf. Eine schwärmerische, glühende Freude verklärte ihr schönes Auge und verbreitete einen Heiligenglanz um ihr Haupt, aber sie gab ihren Gefühlen keine Worte, sondern hob nur bittend ihre Hände zu ihr empor.

„Nun, nun! Ich habe ja nichts dagegen,“ erwiderte Frau Starkloff, erschüttert von dem lebendigen Ausdrucke einer inneren Glückseligkeit, die der beste Beweis vom Dasein unveränderter Liebesgefühle war und sie zugleich belehrte, daß sie im großen Irrthume über die vernünftige Ruhe Helenens geschwebt hatte. „Wenn er nur „morgen früh“ wirklich kommt und sich einen tüchtigen Vorrath von gehaltvollen Entschuldigungsgründen mitbringt. Dein Glück ist mein zärtlichster Wunsch, Kind meiner Schwester, und ich habe, außer der sechswöchentlichen Abwesenheit Cécil’s ohne Urlaub, gar nichts gegen Deine Wahl einzuwenden.“




V.

Ein prächtig durchwärmtes Zimmer, mit luxuriöser Beleuchtung und allen erforderlichen Anstallen zu einem späten Diner, empfing die beiden Herren von Sieveringk, als sie im Hause des Regierungsrathes ankamen. Doch nach der Hausfrau blickte sich Cécil vergeblich um.

„Ich muß wissen, was hier geschehen ist, was das zu bedeuten hat,“ dachte der junge Mann, sich schnell seines Reisepelzes entledigend, während sein Onkel vom Bedienten im Nebenzimmer umgekleidet wurde.

Gleich darauf trat der Regierungsrath zu ihm, warf sich tief athmend auf einen Sessel nieder und ließ seine Blicke rundum laufen. Sein Auge glänzte von einer zurückgehaltenen Thräne, als er es dann zu Cécil emporschlug, der voller Verwunderung zu ihm niederschaute.

„Ich habe doch noch mehr von dem Dinge, was man Herz nennt, in meinem halbhundertjährigen Körper, als ich selbst geglaubt habe, mon cher Cécil,“ begann er, mit dem besten Willen, sich selbst diesmal zur Zielscheibe seines Spottes zu machen. Er fühlte jedoch, daß es ihm mißlingen werde, und fuhr wehmüthig fort: „Sie wird mir fehlen, überall fehlen! Ich habe sie lieb gehabt mit ihrem sonderbaren, fast gespenstischen Wesen! Es wird mir oft sein, als husche sie hinter meinem Rücken in’s Zimmer, und wenn ich mich umschaue, wird es mir vorkommen, als sei sie, wie sonst wohl, eben wieder verschwunden!“

„Aber um Gotteswillen, Onkel, erkläre mir –“

„Still!“ unterbrach ihn der Regierungsrath, „still, laß mich in Frieden – ich will nun Ruhe haben!“

„Es thut mir leid, wenn ich Dich quäle, allein ich muß wissen, was geschehen ist, um den Bann gehoben zu sehen, in welchem jedes meiner Worte liegt, so lange ich, nicht unterrichtet, befürchten muß, eine wunde Stelle zu treffen. Wo ist Tante Olga? Was ist’s mit ihr, daß ich sie nicht finde?“

„Wo Olga ist?“ wiederholte Herr von Sieveringk mit einem Anklange tiefer, feierlicher Empfindung. „Bei ihrer Mutter ist sie – im Elternhause, bei ihrer Mutter, einer herrlichen, gütigen Frau, die, barmherzig und mild, sanft und geduldig das Joch tragen will, das der Wille des Höchsten ihr auferlegt hat. Was mit meiner Frau ist, weshalb sie von mir entfernt wurde? Ja, wie sage ich Dir das, ohne Dein ehrliches Sieveringk’sches Herz mit Entsetzen zu erfüllen? Olga hat die Natur der Elster, sie kann nichts Blankes sehen, ohne es – ohne es zu stehlen,“ schloß er dumpf und setzte sogleich hinzu, als Cécil eine Gebehrde des Abscheues machte: „Ruhig, kein Wort des Tadels! Ich betrachte sie als wahnwitzig! Und irre ich denn? Ist’s nicht ein Wahn, der zu stark ist, um von der Vernunft gefesselt zu werden? Ich habe sie lieb gehabt, sie ist die Mutter meiner theuren Kinder und um deswillen ehre ihr Andenken, tadele sie nicht!“

„Wirst Du auch auf Scheidung antragen?“ fragte Cécil beklommen.

„Nein! Wozu denn Scheidung? Trennung ist ja hinreichend, Trennung auf Nimmerwiederschen.“

„Wie hat Tante Olga aber in diese Trennung gewilligt, da sie ihre Kinder dabei eingebüßt?“ forschte Cécil theilnehmend.

Der Regierungsrath sah nachdenklich vor sich hin.

„Es ist etwas Eigenes in dieser Natur, was ich nicht begreife. Sie erkennt die fürchterliche Ehrlosigkeit ihrer Handlungen nicht an und bekämpft jeden Tadel mit dem Ausspruche: „Ich kann es nicht lassen!“ Hingerissen von meiner Empörung, versuchte ich das Aeußerste, um ihr das Licht der Erkenntniß anzuzünden. Vergeblich. Darnach faßte ich meine Entschlüsse. Ich mußte sie fassen, Cécil, und wenn es mein ganzes zeitliches Wohlbehagen gekostet hätte. Was sollte aus meinen Kindern werden?“

Der junge Mann neigte beistimmend sein Haupt und sein Oheim fuhr fort:

„Mir ist nur unbegreiflich, wie ich fünf Jahre mit Blindheit geschlagen neben Olga leben konnte, ohne Erkenntniß dessen, was in ihr lebte. Bei meiner Menschenkenntniß, bei meiner Welterfahrung, bei meiner Beurtheilungskraft – kannst Du mir’s erklären?“

„Ja, Onkel Fabian. Du liebtest Deine Frau, und in dieser Liebe lag die Idealisirung ihres Wesens, welches dem nüchternen Verstande nicht Stich gehalten hätte!“

Herr von Sieveringk sah seinen Neffen zerstreut an und wiederholte mechanisch:

„In dieser Liebe lag die Idealisirung ihres Wesens!“

Eine Todtenstille trat nach diesen Worten ein, dann richtete sich der Regierungsrath straff empor, machte einen Gang durch’s Zimmer und stellte sich dicht vor Cécil hin.

„Die Liebe ist gewichen, mon cher Cécil,“ sprach er in veränderten, Tone, „was hier in der Brust noch pocht und mahnt, ist das süße Gift der Gewohnheit. Auch das wird sich verlieren. Sie mußte fort! Ich fühlte mich den Kämpfen nicht gewachsen, die ihr systematisches Räubersystem in Aussicht stellte. Sie mußte fort! Meiner Kinder wegen. Sollte ich ein Hohnlächeln ertragen, wenn meine Tochter in der Blüthe ihrer Schönheit dereinst an der Seite einer solchen Mutter erschien? Daß die Kinder in der Gottesfurcht

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