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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 12. 1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Onkel Fabian.
Ein Lebensbild von Ernst Fritze.
(Schluß.)

Cécil von Sieveringk horchte erstaunt auf den Stimmenausdruck seines Onkels, dem nicht der geringste Spott, eher aber eine sonderbare Aengstlichkeit anhing.

„Wenn ich mich mit Bella zu verloben Lust gehabt hätte, so konnte ich dies Vergnügen schon vor Jahresfrist haben,“ warf er ruhig ein. „Eine Helene von Kursen vergißt man übrigens so leicht nicht.“

„So, so! Das ist mir lieb!“ stieß der Onkel Fabian hervor und schwieg dann wieder eine lange Zeit, bevor er weiter fragte: „Wo bist Du sonst noch gewesen?“

„In der Residenz, von dort aus nach Ballberg, um mich der Gräfin Theodora zu präsentiren und Ihre Erlaucht zu bitten, mir die erledigte Stelle eines Kammerrathes in ihrem kleinen Staate zu übertragen, was sie mir auch huldreichst auf die ganz specielle Empfehlung des Oberpräsidenten gewährt hat.“

„Bist Du toll, Cécil? Kammerrath in einem Winkelstaate – Du, einer vom Stamme Sieveringk!“ rief Onkel Fabian ganz entrüstet.

„Es würde mir leid thun, wenn ich mir Deine Ungnade zugezogen haben sollte,“ entgegnete der junge Mann sehr gleichmüthig, „allein die Sache ist nicht mehr zu ändern und ich bin jetzt nur hierher zurückgekehrt, um mein geheimnißvolles Verschwinden in den Augen derjenigen zu rechtfertigen, die ein Recht hat, mich zu tadeln. Gelingt es mir, den trüben Eindruck einer unverzeihlich kindischen Flucht vor dem Bilde einer „genaschten Brezel“ zu beseitigen, so ziehe ich als glückseliger Mensch in die Hallen des alten Schlosses ein, das ich theilweise bewohnen werde.“

„Wir fahren zuerst zu ihr,“ fiel Onkel Fabian zerstreut in seine Rede. „Ich muß meine Kinder noch sehen. Willst Du mit aussteigen? Nein? – Auch gut!“

Die Droschke erreichte in diesem Momente das Steinpflaster des Stadtthores und rollte, donnernden Kanonenwagen gleich, dahin. Beide Männer verstummten wieder, aber Cécil recapitulirte sich mit steigender Verwunderung das ganze bis dahin geführte Gespräch bis zu den merkwürdigen Schlußworten, die er unmöglich richtig verstanden haben konnte.

Und dennoch! Der Wagen hielt, der früher schon gegebenen Ordre gemäß, richtig vor dem hübschen, einstöckig langausgestreckten Hause der Justizamtmännin Starkloff und der Regierungsrath verließ mit Jünglingseifer denselben, um mit der Sicherheit eines gerngesehenen Bekannten rasch die Klingel an der Hausthür zu ziehen. Cécil blieb sitzen, lehnte sich weit aus dem Wagenschlage und starrte wie ein Träumender auf seinen Onkel, auf das Haus, das seine schönste Erdenfreude in sich barg, und auf die holde Gestalt Helenens, die selbst an der Pforte erschien, um mit der weichen Stimme des Bedauerns zu rufen:

„Ach, nun schlafen sie schon; wie sehnsüchtig haben die kleinen Herzen Minute auf Minute gezählt, bis der Schlaf die Worte „der Papa kommt“ von ihren Lippen nahm. Kommen Sie, Herr von Sieveringk, und sehen Sie die Kinder, aber wecken Sie sie nicht.“

Sie verschwand von der Thür und der Regierungsrath folgte ihr. –

Cécil begriff nichts, konnte auch nichts begreifen, verzehrte sich aber beinahe in dem heißen Wunsche, den Zusammenhang dieser abenteuerlichen Ereignisse zu erfahren. Wo war die Mutter dieser Kinder, daß sie der schützenden Obhut einer Fremden anvertraut waren? Sollte sie gestorben sein während der Zeit? Nein. So sah sein Oheim nicht aus, obwohl eine merkliche, ganz wesentlich einwirkende Wehmuth den Ton seiner Stimme dämpfte und den Inhalt seiner Rede stempelte. Eine Viertelstunde verweilte der Regierungsrath in dem Hause der Amtmännin, dem jungen Manne im Wagen däuchte es eine Ewigkeit. Die wenigen Wochen selbstgeschaffener Pein hatten seinem Charakter die nothwendige Reife des Mannes verliehen und ihn aus dem träumerischen Exaltationsstadium überschwenglicher Huldigung und Liebe zu den prosaischen Ueberlegungen für eine standesgemäße Existenz gebracht. Unter der Einwirkung dieser Gemüthsverwandlung hatte er sich um das Amt in der Besitzung der Gräfin Theodora von Ballberg beworben, dessen Verleihung ihn nun in den Stand setzte, als Bewerber um Helenens Hand in aller Form aufzutreten, während er vor sechs Wochen nur als leidenschaftlicher Liebhaber ihr Herz in Anspruch zu nehmen vermochte. Es war die Ruhe der Gewißheit eingekehrt, wo sonst die Wallungen idealer Ueberschätzungen gewaltet hatten, aber mit dieser Veränderung der Herzenstemperatur war die feste und edlere Zärtlichkeit des Mannesherzens in ihm aufgewacht, das nicht feig vor dem Urtheile der Welt zurückweicht, sondern mit seinem eigenen Leben und Blute den hohen Werth der Geliebten zu vertreten bereit ist.

Er war entschlossen gewesen, um Helenens willen mit seinem Onkel Fabian zu brechen, ihn zu meiden und dem Einflusse seiner Spöttereien Trotz zu bieten. Und siehe da! – er fand seinen Onkel Fabian in der Laune, den Freund des jungen Mädchens, das er

spöttisch verunglimpft hatte, zu spielen. Was war vorgefallen, um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_161.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)