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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Endlich erreichten meine Füße auch die Schultern des Trilbusser wieder, und mit diesem rutschte ich glücklich auf den schmalen Sattel hinab. Dieser lud zum Ausruhen nicht ein, die Hauptsache aber war überstanden, und das gab neuen Muth. Es wurde denn auch sofort auf den vom Eder eingehauenen Stufen, nachdem mit seiner Hülfe auch der Bürgermeister am Seile herabgekommen, die zweite Spitze erklommen, indem Eder mit dem Seile nach oben zog, und der Tribusser nachschob. So war denn das seit meinen jungen Jahren ersehnte Ziel erreicht. Weiter empfand ich aber im ersten Augenblick nichts. Ich warf mich mit dem Gesicht in den Schnee der höchsten Spitze und erholte mich von den Anstrengungen des Geistes mehr, denn des Körpers. Jetzt wurde aufgeschauet. Der Bürgermeister holte aus der Brusttasche seines dicken Lodenhemdes auf meine Weisung das Glas hervor, ich selbst band die Maßflasche mit Wein vorn vor meinem Halse los, wo sie mit großer Kunst befestigt worden, als dem einzigen Orte, wo sie vor dem Zerdrücken sicher war. Die Führer hatten sie nicht mit hinübernehmen wollen und gemeint, daß dies unmöglich sei. Ich war daher nicht wenig stolz auf dieses mein eigenes Werk. Nun wurde das Glas bis zum Rande gefüllt, ich trank das Wohl der Allerliebsten, rief es hinaus in die weite Welt und schleuderte das Glas über den Kopf in die Tiefe. Mit offenem Munde und staunenden Augen hatte der Bürgermeister, der dicht neben mir lag, die ganze Geschichte mit angesehen. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Laut brüllend griff er nach der wohlgeschliffenen weißen Flasche, um sie mit dem Weine dem Glase nachzuschleudern, indessen ich faßte seinen Arm und rettete Flasche und Wein. Jede Spur von Aufregung war nun verschwunden. Die Sache war vollbracht. Eine echte Regalia, die letzte (kostete neun Kreuzer) wurde hervorgeholt und in größter Gemüthsruhe mit wahrer Wollust verzehrt.

Wir hatten höchstens einige Grad unter Null und fanden die Luft, da wir vorher stark gefroren, sehr behaglich. Der Himmel lag dunkelblau über uns. Bereits früher, von einem Riesen der weißen Kette, welche die Thäler von Gurgel und Fend trennt, wenn auch nicht so hoch wie der Glockner, dennoch immer über 10,000 Fuß, hatte ich an einem ganz klaren Tage schon ein Mal die Welt überschaut, und wußte also, wie es da oben bei hellem Wetter aussieht. So gut war es uns nun heute nicht geworden. Im ersten Augenblicke hatte ich geglaubt, alle die andern weißen Spitzen der Berge in der Nähe und Ferne unter mir zu sehen. Schon suchte ich Venediger, Ortler etc. herauszusondern, als ich mich überzeugte, daß es nicht die Berge, sondern die Wolken waren.

Da der Berg nach den meisten Messungen 12,000 (11,988, 11,982) Pariser Fuß hat, nach neueren Messungen noch bedeutend mehr, so hat der Horizont einen Durchmesser von mindestens 60 Meilen, wonach man auf jeder Seite über 30 Meilen, also z. B. auch noch über 10 Meilen in’s adriatische Meer, hineinblicken könnte. Davon war nun nichts zu sehen. Zwar blieb der Himmel klar und dunkelblau, auch war die nächste Umgebung völlig deutlich dem Auge sichtbar, namentlich der ganze Berg, der Ort Cals in Tyrol mit seinen Thälern, die ganze blaugraue Pasterze mit den einzelnen Spalten und Schlünden, jenseits derselben die Gemshütte, Heiligeblut in Kärnthen mit seiner gothischen Kirche und dem schönen spitzen Thurme, das ganze liebliche Moellthal bis Winklern hinab und alle die Berge von Nordosten bis zum Johannesberge, der hohe Narr, die große und kleine Fleiß, die ganzen Goldberge, deren Gletscher dem Auge ganz nahe erschienen u. s. w. Aber nach Norden, Westen und Südwesten war die Fernsicht von einer weißen, unter uns liegenden, durch einander wogenden Wolkenmasse geschlossen. Es war dieses Wolkenmeer auch ein wunderbarer Anblick, Ein starkes Gewitter tobte unter uns in demselben, während wir da oben unter blauem Himmel im köstlichsten Sonnenschein lagen.

Der Fürstbischof Salm hatte auf dieser Spitze vor Jahren ein Kreuz von Eisen aufrichten lassen. Die Wetter hatten es längst zerschlagen und zerknickt. Verbogen wie dünnes Rohr lagen die einzelnen Stücke, zum Theil vom Eise überzogen, umher. Es fiel mir auf, daß die Rudera dieses Kreuzes, welches auf der Spitze gestanden, sich mindestens 10 Fuß unter uns befanden. Auf meine Frage erfuhr ich, daß die Spitze eben auch da unter uns sei, die Erhöhung, auf der wir uns befanden, aber gefrorner Neuschnee sei, der bald wieder verschwinden, während unserer Anwesenheit aber wohl noch halten würde. Dies schien mir denn doch sehr bedenklich, und mit größter Behendigkeit rutschte ich zur Stelle des Kreuzes hinab. Auf meine Weisung schlug mit vieler Mühe der Tribusser ein Stück von einer Eisenstange dieses Kreuzes ab, welches ich zum Angedenken mitgenommen, und da der Eder sehr richtig bemerkte, viel lieber als dieses Stück von Menschenhand würde ihm ein Stück von Deutschlands höchster Spitze sein, so wurden noch einige Stücke des graugrünen Felsens für mich und einige Freunde in der Heimath losgehauen.

Diese höchste Spitze des Berges besteht nicht, wie die kleineren, aus dem blanken Firneise, vielmehr tritt aus demselben an mehreren Stellen der schwärzliche Stein des Glimmerschiefers hervor. Diese zweite Spitze ist überhaupt ein viel gemüthlicheres Plätzchen, als die erste. Wir hatten alle Vier bequem Platz bei einander zu liegen, zu stehen, sogar einige Schritte zu gehen. Schwer trennten wir uns von dort. Zeit und Wetter mahnten indeß an die Heimkehr. Fast eine Stunde hatten wir zum Uebergang von der ersten bis zur zweiten Spitze gebraucht, weiße Wolken kamen von unten zu uns herauf und züngelten sogar um den Sattel zwischen den beiden Spitzen. Eine halbe Stunde hatten wir oben gelegen, so mußte denn geschieden sein.

Mit großer Schnelligkeit war ich, von dem oben stehenden Eder am Seile gehalten, die Spitze zum Sattel hinabgeruscht. Während Einer das von oben herabhängende Seil hielt, kletterte mit dessen Hülfe der Bürgermeister zuerst zur andern Spitze hinauf und zog Einen nach dem Andern empor, wobei wir uns mit Händen und Füßen so gut als möglich an der schmalen Eiskante hielten. Nun gab es noch einen bitteren Augenblick. Wie vorher mußte ich die schmale Kante überkriechen, dann aber war die Noth vorbei. Wie von der andern Spitze rutschte ich, auf dem Rücken liegend, mit den Füßen gegenstemmend, am Seile gehalten, den Zuckerhut hinab. Der Punkt am Fuße heißt „Adlersruh“. Wir hatten dort ziemlich das alte Wetter; gelber Dunst und Schneegestöber nahm uns auf. Dennoch fanden wir unsere Alpstöcke glücklich wieder. So schnell es hinabging, wollten wir doch noch schneller fortkommen und versuchten abzufahren, ein Manöver, welches dem schwer deutlich zu machen ist, der es nicht aus Erfahrung kennt; der tiefe Schnee indessen war hinderlich. Ich verlor das Gleichgewicht und in langem Bogen schoß ich mit dem Kopf in den Schnee. – Ich fühlte nichts als Schnee und daß ich tief hineingefallen. Obwohl ich mich nicht betasten konnte, überzeugte ich mich doch, daß ich nicht verletzt sei, und als eine dumpfe Stimme über mir fragte:

„Herr, auch nichts zerbrochen?“ konnte ich mit Ruhe antworten: „Nur der Hosenträger.“ Fern von den Wohnungen der Menschen auch nicht angenehm.

Bei den Füßen wurde ich herausgezogen, und selbst die vor dem Munde sitzende Schneebrille unzerbrochen gefunden.

An der steilen Stelle der hohen Warte, wo Eis- und Schneehacke in der Schlucht wiederum versenkt, auch ein Theil des dort zurückgelassenen Gepäcks wieder aufgeladen und kurze Rast und Zehrung gehalten ward, wurden zuletzt die Seile gebraucht.

Auf dem Leitergletscher fanden wir helles Wetter, und endlich hatten wir den grünen Rasen an alter Stelle, nachdem die Eiseisen abgeschnallt, unter den Füßen. Eine neue Welt fanden wir vor. Noch lange waren wir vom Schneeglanz geblendet, und alle Dinge, Steine und Rasen schillerten in allerhand Farben. Auch auf dem festen Boden vermochten wir, wie die Matrosen, anfangs nur schwankend zu gehen. Im Gesicht sahen wir roth wie die Krebse aus, bei mir und den Andern war die Haut (die sich demnächst ganz schälte) mehrfach aufgesprungen und blutig. Eder hatte ganz entzündete Augen. Sonst hatten wir Besonderes an uns nicht wahrgenommen, weder Nasenbluten noch Schwindel, die in solcher Höhe den Menschen zuweilen befallen sollen. Mit Sturmesschritten, nur zuweilen etwas Edelweiß pflückend, eilten wir vorwärts, und erreichten bald die Hütte. Die Sennerin war der Magnet, der die Führer hineinzog. Meinen dortigen Proviant ihnen überweisend eilte ich vorwärts, um noch vor völliger Dunkelheit den Katzensteig zu überschreiten. Gegen zehn Uhr, als es schon dunkel war, trat ich ganz allein als Sieger in das Gasthaus zu Heiligeblut, von wo aus man unsern Marsch zum Theil mit Gläsern verfolgt, empfangen von Allen mit tiefem Respect.

Wie hatte ich mich auf eine Cigarre am Schlusse des Tages nach diesem Werke gefreut! Ich war aber so müde, daß es mir lästig war, die an mich gerichteten Fragen zu beantworten, und schwer,

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