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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sich von seinem Vater die Erlaubniß, denselben auf die Güter der Münchhausen’schen Familie begleiten zu dürfen. Die beiden jungen Männer hatten aber ganz andere Dinge vor. Während Münchhausens Verwandte ihn in Gotha wähnten und die Familie Gotter ihren Sohn auf den Münchhausen’schen Gütern, eilten die beiden Freunde nach Wien, um die Vergnügungen der Kaiserstadt durchzukosten. Auf dieser Geniereise in Regensburg angekommen, suchten sie ein Schiff, auf welchem sie die Donaufahrt zu machen gedachten. Das einzige vorhandene war aber von zwei vornehmen Damen in Beschlag genommen, welche durchaus keine ihnen nicht ebenbürtige Reisegesellschaft dulden wollten; und sie waren Prinzessinnen von Savoyen-Carignan und Nichten des großen österreichischen Feldherrn Prinzen Eugen. Als Gotter dies in Erfahrung gebracht, war er nur um so begieriger, die Reise nach Wien auf demselben Schiffe zu machen, und es gelang seiner Ueberredungskunst, deren sieghafte Kraft ihm bekannt war, den Haushofmeister der beiden fürstlichen Damen zu gewinnen, daß er die beiden Freunde im unteren Schiffsraume versteckte. Was geschieht? Das Schiff kommt an den übelberüchtigten Strudel, damals noch gefürchtet, wie die Scylla und Charybdis; es geräth durch die Ungeschicklichkeit seines Führers in Gefahr. Die Prinzessinnen schreien in Todesangst; die Schiffer beten, die Damen ringen die Hände. Da, im Augenblicke der höchsten Noch, steht plötzlich ein Jüngling, schön, wie ein Engel, am Steuer und zwingt die Schiffer, das Fahrzeug nach seinem Befehle zu lenken. Alles gehorcht ihm wie einem höheren Wesen; er selbst legt Hand an; Schiff und Wasser fügen sich seinem Willen, und in wenigen Minuten sind sie über die Gefahr hinaus. Da Niemand weiß, wie der in jugendlicher Schönheit und Anmuth strahlende Retter auf das Schiff gekommen, so wird er vom Erstaunen und der Rührung der Fürstinnen für einen ihnen zu Hülfe geschickten Himmelsboten gehalten, bis er mit der feinsten Gewandtheit seine irdische Abkunft documentirt und das Räthsel löst.

Gotter verstand es, den außerordentlich günstigen Eindruck, welchen er auf die Prinzessinnen gemacht, zur dauernden Gunst zu erheben; denn ehe die kleine Gesellschaft nach Wien kam, hatte er die Schwestern durch seine Gewandtheit und Liebenswürdigkeit so für sich begeistert, daß sie ihn zuerst ihrem Oheim, damals nach dem Kaiser die vornehmste und bedeutendste Person in Wien, vorstellten und ihm nach und nach die Thüren aller Großen öffneten. Wie die Gunst der Prinzessinnen, so gewann Gotter schnell die des ruhmgekrönten Feldherrn. Herr von Münchhausen verschwindet neben ihm. Den sprechendsten Beweis für die bezaubernden Eigenschaften des jungen Thüringers liefert der Umstand, daß er, der bürgerliche Jüngling, zu einer Zeit in den ersten Cirkeln Wiens glänzt, wo die steifste spanische Etikette des Kaiserhofs (der Kaiser Karl VI. war erst König von Spanien gewesen und hatte das am dortigen Hofe gültige Ceremoniell nach Wien verpflanzt) maßgebend, und nur dem Artigen, welcher die große Ahnenprobe zu bestehen vermochte, der Zutritt gestattet war, jeder Andere aber, und wenn er die größten Verdienste um das öffentliche Wohl aufzuweisen gehabt hätte, streng ausgeschlossen blieb. Diese neun Schlösser des Standesvorurtheils öffneten ihm die von seinen hohen Gaben inspirirten Feenhände der Prinzessinnen von Savoyen.

Während nun der junge Gotter in der Kaiserstadt ein wahres Götterleben führt, kommt eines schönen Tages sein Vater als Beauftragter des Herzogs Friedrich II. von Gotha und Altenburg ebenfalls dahin, um Forderungen für geleistete militairische Hülfe vom Kaiser einzutreiben. Der Pracht und Aufwand liebende regierende Herr, der natürlich immer viel Geld brauchte, machte nämlich ein einträgliches Handelsgeschäft mit – Soldaten, indem er seine Landeskinder dem Kaiser verkaufte, aber nur mit Schwierigkeiten zum Kaufschilling gelangen konnte.

Im Palais des Prinzen Eugen wird ein großes Fest gegeben, und der Kammerdirector Gotter sucht sich als Zuschauer Zutritt zu verschaffen. Die geladenen Gäste wallen in reichster Gala durch die glänzenden Räume, die kaiserliche Familie, Fürsten und Fürstinnen, Grafen und Gräfinnen, hohe Kleriker, Officiere, Staatsmänner, Ungarn, Spanier, Italiener. Der bescheiden auf einer Gallerie unter anderem zugelassenen Volk stehende gothaische Beamte erblickt plötzlich einen jungen Mann sich gewandt und leicht in diesem Zauberkreise bewegen, als wär’ er darin aufgewachsen, mit den Vornehmsten vertraut, von den Damen gesucht, mit Allen bekannt. Die Augen des würdigen Herrn aus Gotha bleiben an dieser Erscheinung hängen, aber er traut doch diesen seinen eigenen Augen nicht recht. Eine solche Aehnlichkeit ist ihm noch nicht vorgekommen. Endlich fragt er einen Diener des Hauses:

„Wer ist der junge Herr, mit welchem Se. Durchlaucht der Prinz Eugen zu conversiren geruht?“

„Herr von Gotter!“ ist die Antwort, die den Kammerdirector vollends außer Fassung bringt.

Starr vor Erstaunen gewinnt es der alte Herr endlich doch über sich, sich weiter nach dem Söhnlein, das er in Westphalen wähnt, zu erkundigen, und hört nun, daß „Herr von Gotter“ Hausfreund des Prinzen Eugen, und von diesem und seinen Nichten in die ersten Häuser Wiens eingeführt sei. Der Vater sucht den Sohn auf, bedient sich seiner zur Erreichung seiner Zwecke und gelangt durch ihn weit schneller zum Ziele, als er durch eigne Kraft vermocht hätte. Die Irrungen werden zum Vortheile des gothaischen Hofs beigelegt, die Forderungen des Herzogs berichtigt, alte Processe beim Reichshofgericht ungewöhnlich schnell zu Ende gebracht, Alles durch die Hand des jungen Gotter, der besser als der Alte weiß, an wen er sich zu wenden hat. Ein Billetdoux von ihm richtet mehr aus, als ein ganzes Actenfascikel der gothaischen Regierung.

Nach einer andern Version scheint allerdings die Rettungsgeschichte in das Bereich der Fabel zu gehören. Gotter soll nach dieser andern Quelle ganz einfach durch seinen Vater und einige Cavaliere, die ihn lieb gewonnen hatten, bei Hof eingeführt worden sein und dort durch seine Gewandtheit, wohl auch durch seine Schönheit rasch die Gunst der Höflinge gewonnen haben.

Herzog Friedrich II. zeigte sich von diesen Erfolgen sehr befriedigt; der junge Gotter blieb als sein Chargé d’Affaires in Wien, und wurde nach zweijähriger glücklicher Wirksamkeit von ihm zum Legationssecretair ernannt. Allgemein galt er als der erklärte Günstling des mächtigen Prinzen Eugen und hatte zu jeder Zeit freien Zutritt bei demselben. Diese außerordentliche Gunst theilte er nur mit einer kleinen Anzahl von mehr noch durch Verdienst als durch Würde hervorragenden Personen, so daß die Auszeichnung dadurch nur noch kostbarer wurde.

Die Familiensage läßt unerörtert, wie viel die jüngste der fürstlichen Nichten bei Gotters fabelhafter Prosperität gewirkt, aber sie behauptet, diese Prinzessin habe sich nicht verheirathet und den schönen Glücksritter in Bezug auf die gemeinschaftliche Donaufahrt und sein Erscheinen im gefährlichsten Augenblick stets ihren Engel genannt. Ich habe von meiner Mutter behaupten hören, daß die hohe Dame noch einen andern Sinn mit dieser artigen Bezeichnung verbunden habe. Genug, Gotter machte großen Aufwand, war bald die beliebteste Persönlichkeit in den Kreisen der haute volée, und erhielt dazu das rechte Relief von der beneidenswerthen Gunst des zu jener Zeit berühmtesten Feldherrn und Staatsmannes. Ihr verdankte er es auch, daß er 1724 durch einen Gnadenbrief des Kaisers sammt seinen Nachkommen in den Reichsfreiherrnstand erhoben wurde „wegen der dem kaiserlichen Hofe geleisteten Dienste und zu Ehren des Herzogs von Gotha.“ Von Letzterem war unser Glücksritter einige Jahre zuvor erst zum Rath, dann zum Hofrath und außerordentlichen Gesandten am kaiserlichen Hofe ernannt worden.

Das ungewöhnliche Glück des zweiunddreißigjährigen Mannes machte natürlicher Weise großes Aufsehen, außer Wien am meisten an den thüringischen Höfen, welche die Augen stets respectvoll auf den Kaiserhof gerichtet hielten, das meiste am Hofe seiner Vaterstadt. Die reizendsten Aventuren und Plaisanterien wurden von ihm erzählt; man schilderte ihn als den Abgott aller vornehmen Frauen Wiens und brachte glänzende Namen mit dem seinigen in Verbindung, die sonst nur mit dem ungemessensten Respect ausgesprochen zu werden pflegten. Eine zärtliche Liaison mit dem Baron Gotter – so wurde behauptet – gälte selbst Damen vom reinsten Geblüt für point d’honneur, und keine tadelte darum die andere. Die Glückliche werde nur beneidet. Kurz, Gotter war der verwöhnte Liebhaber aller Götter oder vielmehr Göttinnen auf dem Olymp des heiligen römischen Reichs deutscher Nation.

In alle Geheimnisse und Intriguen des Wiener Hofs eingeweiht, in vielen davon eine wichtige Rolle spielend, mit allen hervorragenden und einflußreichen Personen vertraut, Muscadin und Mignon der vornehmen Welt, der intime Freund des päpstlichen Nuntius, spätern Cardinals Passioni, mit welchem er Prinz Eugens Gunst theilte, wurde er von den Großen, die am kaiserlichen Hofe etwas bezweckten, gesucht und favorisirt.

Von allen Seiten regnete es Gunst- und Gnadenbezeigungen auf ihn. Im Jahre 1725 erhielt er vom gothaischen Hofe auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_094.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)