Seite:Die Gartenlaube (1859) 087.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

55 Fuß tief hinab durch alle Stockwerke, so daß man in allen schöpfen kann. Links tritt man in „Meisters großen Remter“, einen Prachtsaal von 45 Fuß Länge und 30 Fuß Breite, in welchem der Hochmeister fremde Fürsten und Gesandte empfing und fürstlich bewirthete. Die helle Beleuchtung des Saales an drei Seiten durch die doppelte dicht über einander befindliche Fensterreihe, die reizende Architektur mit den schlanken Granitpfeilern zwischen den Fenstern, das hohe Gewölbe, getragen von einem einzigen, nur 1 ½ Fuß dicken Granitpfeiler, endlich die freundliche, lachende Aussicht über die Nogat weithin in die ihrer Fruchtbarkeit wegen berühmten Niederungen: Alles dies muß einstens nicht wenig dazu beigetragen haben, zur Lust und Freude zu stimmen in diesem der Lust und Freude geweihten Raume. An eine ernste Episode jedoch mahnt eine über dem mächtigen Kamine eingemauerte Steinkugel.

Es war im Spätsommer des Jahres 1410, wenige Wochen nach der unglücklichen Schlacht bei Tannenberg, welche – eine der bedeutendsten, welche die Weltgeschichte kennt, indem hier mehr denn 200,000 Menschen im blutigen Kampfe einander gegenüberstanden, und fast 80,000 mit ihren Leichnamen die Wahlstatt bedeckten – der Deutschherren-Orden gegen die zwiefache Uebermacht der Polen, Litthauer und Tataren verloren hatte, als des Ordens Hauptfeste, die „Marienburg“, in die der tapfere Comthur, Graf Heinrich Reuß von Plauen, mit 5000 Mann sich geworfen, von 100,000 Polen und Litthauern unter dem Könige Wladislaw Jagello belagert ward. Täglich donnerten die Geschütze des Feindes gegen die gewaltigen Mauern der Burg, und schreckvoll schallte der wilde Kriegsgesang der Barbaren über die Nogat herüber; aber das Häuflein der Ordenskrieger zagte nicht und die Mauern wankten nicht. An eine Aushungerung der wohlverproviantirten Burg war auch nicht zu denken; im Heere des Königs aber brach, baldigen Aufbruch bedingend, die Pest aus, und so beschloß Jagello denn, um nicht unverrichteter Sache abziehen zu müssen, durch Verrath der Burg sich zu bemächtigen, da er sie nicht durch Tapferkeit zu nehmen vermochte. Der Verräther fand sich in der Person eines der Diener Plauens, welcher dem Könige zu wissen that, daß an einem bestimmten Tage, einem Festtage des Ordens, die Gebietiger und Ritter alle im „großen Remter“ mit einander bankettiren würden, und der zugleich durch eine ausgehängte rothe Mütze den Geschützmeistern des Königs, die jenseit der Nogat bereit standen, die Richtung angab, in der sie den das ganze Deckengewölbe des Saales tragenden Pfeiler treffen könnten. Donnernd fuhr zur verabredeten Stunde die gewaltige Steinkugel durch ein Fenster, verfehlte aber ihr Ziel: um wenig mehr als Handbreite ging sie an dem Pfeiler vorüber und schlug in den steinernen Kamin, wo sie, eingemauert zum ewigen Wahrzeichen, noch heutigen Tages zu schauen ist. Der schändliche Plan, mit einem Schlage alle Häupter des Ordens zu vernichten, war somit vereitelt, und den Verräther traf die wohlverdiente Strafe; der Polenkönig aber zog bald darauf spott- und schmachbeladen ab.

Zehn von der königlich preußischen Familie geschenkte Fenster mit prächtiger Glasmalerei, Scenen aus der Geschichte des Ordens und der Marienburg darstellend, erhellen den Saal. Der Fußboden ist mit bunten Thonfließen belegt, und an den Wänden ziehen sich Steinbänke hin, mit rothen Decken verziert. Aus den Mauerblenden aber blinken die ganz neuerdings (1855–56) von renommirten Künstlern al fresco gemalten Bildnisse von zehn Land- und Hochmeistern, an eine große Aera der Weltgeschichte mahnend, auf den Beschauer herab. Verweht ist längst der Staub dieser Helden, doch ihr Name, ihr Gedächtniß ist es nicht!

An die Ostseite dieses Saales stößt „des Meisters kleiner Remter“, wo das herrliche Gewölbe ebenfalls von einem einzigen Pfeiler getragen wird. Hier speiste der Hochmeister mit den höchsten Würdenträgern und den Comthuren, öfter auch mit den Abgeordneten der Städte des Ordenslandes und des eingeborenen Adels. Es ist ein traulicher Raum, dessen Wände ehemals mit den Portraits der hier residirenden Hochmeister geschmückt waren, während jetzt nur noch deren Wappen auf den Fenstern in Glasmalerei prangen. Eine schmale, niedrige Thür führt von hier in „des Meisters Stube“, deren Wände grün und deren Fußboden mit rothen und weißen Fließen schachbretartig ausgelegt ist. Ein sanftes, mildes Licht fällt durch vier hohe Fenster in diesen traulichen Raum, an welchen das etwas größere, aber minder ansprechende „Gemach“ des Meisters stößt. Aus diesem gelangt man in den Flur, und durch eine Vorhalle in „des Meisters Hauscapelle“, die 35 Fuß lang, 19 Fuß breit und 20 Fuß hoch ist. Ein lichtes Sternengewölbe schwebt hier über dem Altar; jeder Bogen aber, jedes Fenster, jede Verzierung stimmt das Herz zur Andacht, wenn man sich erinnert, wie an dieser Stätte weitgebietende Fürsten vor dem König aller Könige, dem Herrn aller Herren ihre Kniee beugten und bei ihm Trost und Rath suchten, wenn Kummer und Sorge ihr Herz beschwerte. Aber auch eine schaurige Erinnerung knüpft sich an dieses Betgemach. An dieser gottgeweihten Stätte ward nämlich – es war am 16. des vorletzten Monats des Jahres 1330 – Werner von Orselen, der siebzehnte in der Reihe der Hochmeister und der dritte der auf der Marienburg residirenden, von Johann v. Endorff, einem tiefgesunkenen Ordensbruder, gräuelvoll ermordet.

Aus der anstoßenden (jetzt waffenleeren) „Rüstkammer“ führt eine steinerne Treppe zu dem 97 Fuß langen, 48 Fuß breiten und 29 Fuß hohen „Conventsremter“, wohl dem herrlichsten unter den Prachtsälen der Marienburg. Andachtsschauer durchrieseln Jeden, der diesen großartigen Raum betritt[WS 1] , den vierzehn hohe Spitzbogen-Fenster, von farbigem Glase und mit sinniger Malerei geziert, erhellen. Die Kunst und Harmonie, die hier herrscht, die schöne Idee, die in diesem Bau sich ausspricht, ist ein glänzendes Zeugniß von hoher Bildung des unbekannten Baumeisters wie des Ordens, und ein Beweis, daß es zur Zeit des Mittelalters doch nicht so traurig um Kunst und Wissenschaft gestanden, und überhaupt nicht so dunkel ausgesehen haben kann, als man gewöhnlich annimmt. In diesem Prunksaal verbrachten die auf der Marienburg wohnenden Ordensbrüder, vom Comthure abwärts, ihre Mußestunden; hier speisten, zechten, plauderten und sangen sie; hier empfingen sie Ankömmlinge aus „dem Reich“, aus Welschland, Dänemark und Frankreich; hier gedachten sie der fernen Heimath; hier sahen sich Freunde nach Jahre langer Trennung wieder, hier schieden Andere für ewig. Von den Fenstern dieses langgestreckten Saales überschaute man den „Herren-Parcham“, den Begräbnißplatz der Ritter. Welch’ eine Fülle von Erinnerungen! Sie werden noch tiefer empfunden, wenn wir auf die hohen, buntgemalten Bogenfenster schauen, welche neuerdings von den Städten Westpreußens in ihrer alten Pracht wieder hergestellt worden sind.

Mit der fragmentarischen Schilderung dieses Prachtsaales enden wir unsere Beschreibung des „Mittelschlosses“, und überhaupt der „Marienburg“, da der dritte Haupttheil derselben, die „Vorburg“, welche einst eine Längenausdehnung von 440 und eine Breite von 296 Schritt hatte, bis auf wenige Mauerüberreste und den „Buttermilchsthurm“ vom Erdboden verschwunden ist.




Blätter und Blüthen.

Literarisches. Von allen Denen, welche das geistige, d. h. das literarische und künstlerische, Eigenthum für ein wirkliches Eigenthum ansehen und auch bei diesem, ebenso wenig als bei andern, keinen Unterschied machen, ob dasselbe einem Landsmanne oder einem Fremden angehört, wurde der Vertrag freudig begrüßt, den Sachsen nebst andern Staaten mit England und später mit Frankreich zum Schutze dieses geistigen Eigenthums abgeschlossen. Eine Folge dieser Verträge ist bereits die bedeutende Abnahme von Uebersetzungen, die sonst den deutschen Büchermarkt überschwemmten, da es nicht mehr Jedem freisteht, ohne Weiteres die Uebersetzung eines Buches herauszugeben, vielmehr die Erlaubniß dazu von dem rechtmäßigen Eigenthümer nachgesucht und wohl auch gekauft werden muß. Wie aber, wenn Jemand ein Werk nicht übersetzt, sondern nur Auszüge daraus gibt? Das ist nicht verboten und läßt sich auch schwerlich verbieten. Es wird in jedem solchen speciellen Fall auf den Umfang des Auszugs ankommen und auf die Art, wie er dem Publicum geboten wird. In Leipzig hat kürzlich eine solche Sache in literarischen und buchhändlerischen Kreisen bedeutendes Aufsehen gemacht. Herr Costenoble nämlich erkauft durch eine ansehnliche Summe das ausschließliche Recht, von Livingstones berühmtem Werke über Afrika eine deutsche Uebersetzung herauszugeben, die unter dem Titel: „Missionsreisen und Forschungen in Süd-Afrika während eines 16jährigen Aufenthaltes im Innern des Continentes“ in 2 Bänden mit Karten und Holzschnitten erschien. Trotzdem gab ein Leipziger Buchhändler Otto Spamer auch ein Werk unter dem Titel: „Dr. David Livingstone, der Missionär, Erforschungsreisen im Innern

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: betrittt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_087.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)