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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Nicht durch offene kühne Eroberung, sondern durch schnöden Verrath böhmischer Söldner-Häuptlinge war in dem großen Kriege, welchen (von 1451 bis 1466) der Deutschherren-Orden gegen die eigenen Stände (die Städte und den eingebornen landsässigen Adel) und das ihnen verbündete Polen führte und in welchem er zuletzt den Kürzeren zog, die Marienburg in die Hände Polens gekommen und sank nun von der Residenz eines königgleichen Fürsten zum Wohnsitze polnischer Starosten herab, die, zumeist um ihrer Bequemlichkeit willen, den Prachtbau des Schlosses durch Ein-, An- und Nebenbauten verzwickten und zerstückten. Doch muß ein billiges Urtheil den Ordensfeinden nachsagen, daß sie weniger zerstörten, als durch geschmacklose Zuthaten verunzierten, und daß sie stehen ließen, was nicht gerade einstürzen mußte.

Die „Residenz“ des Schlosses Marienburg.

Schlimmer ward’s, als 1770 mit ganz Westpreußen – das nun diesen Namen wieder annahm, während es bisher „Polnisch-Preußen“ geheißen – auch die Marienburg an Friedrich II. kam. Dieser große Monarch hatte auch nicht die kleinste romantische Ader; was nützte, stand bei ihm obenan, und so wurde denn in Folge des im Cabinet waltenden Utilitäts-Systems in einem einzigen Decennium mehr zerstört, als die dreihundertjährige polnische Herrschaft verdorben hatte. In den oberen Sälen schlugen Weber ihre Werkstätte auf; der größte Saal des Untergeschosses wurde in ein Exercirhaus, später in eine Reitbahn, und die Hauptküche des Schlosses gar in einen Pferdestall verwandelt; ja der Minister von Schrötter hatte 1803 sogar den Befehl zur gänzlichen Abtragung der „alten unnützen Burg“ bereits erlassen, als, so zu sagen, „noch in der elften Stunde“, dem alten Prachtbau die Retter nahten. Es waren Max von Schenkendorf, der begeisterte Sänger altdeutscher Herrlichkeit, und Heinrich Theodor von Schön, der in so mannichfacher Weise um ganz Preußen, namentlich um dessen gleichnamige Stammprovinz, verdiente Staatsmann. Sie waren es, die auf die große historische wie architektonische Bedeutsamkeit der Marienburg hinwiesen; dem Ersteren verdankt man die fernere Erhaltung dessen, was dem Zahne der Zeit, den Bequemlichkeits-Rücksichten der Starosten und dem Utilitäts-Principe des großen Friedrich noch nicht zum Opfer gefallen war; dem Zweiten die Wiederherstellung eines großen Theiles der verbliebenen Burgreste in ihrer früheren Pracht. Denn nur von Resten können wir bei der Marienburg noch reden; denn von dem umfangreichsten, aber freilich auch architektonisch unbedeutendsten der drei Theile des Ordenssitzes, von der Vorburg, ist fast so gut als nichts mehr übrig geblieben, und auch die beiden anderen Theile weder in ihrer Totalität mehr völlig vorhanden, noch das Erhaltene vollständig restaurirt. Gleichwohl ist das Werk der Restauration wohl als vollendet zu betrachten; wie Manches auch noch fehle: was wir sehen, ist groß und genügend, auf die Erhabenheit und Herrlichkeit der Burg in der Zeit ihrer Glanzperiode uns einen Schluß ziehen zu lassen; so daß man wohl den Wunsch zu dem seinigen machen kann, den Preußens kunstsinniger König Friedrich Wilhelm IV. am 20. Juni 1822, damals noch Kronprinz, im neu hergestellten, wieder in alter Pracht erglänzenden, fürstlichen Remter aussprach: „Alles Große und Würdige erstehe wieder, wie dieser Bau!“

Derselbe steht einzig da in seiner Art; nur im fernsten Südwesten unseres Welttheils, da, wo die Sierra Nevada ihre Schneegipfel zum Himmel hebt, findet sich in der weltberühmten Alhambra Granada’s ein der Marienburg analoger, nämlich den kirchlichen mit dem profanen Charakter vereinigender Bau, wobei aber freilich der große Unterschied obwaltet, daß die Alhambra ein Prachtbau im maurischen, die Marienburg ein solcher im gothischen Style ist. Mag der Laie durch den Glanz von modernen Königsschlössern vielleicht mehr bezaubert, mag des Frommen Gemüth in unseren herrlichen Domen tiefer ergriffen werden, – die Prachtburg der Hochmeister hat ihren eigenen Geist; eine tiefe Idee geht durch sie: die Idee der Versöhnung des Irdischen mit dem Himmlischen. –

Gehen wir nun zur Besprechung der einzelnen Theile des Prachtbaues über und beginnen wir hier, wie’s die chronologische Ordnung mit sich bringt, mit dem Hochschlosse. In diesem ältesten Theile der Marienburg waltet der Charakter der mit Einfachkeit gepaarten Stärke vor. Zu einer Zeit erbaut, wo die Herrschaft des Deutschherren-Ordens über das von ihm beanspruchte Land noch keineswegs außer Frage gestellt und selbst in der schon seit Decennien dem Orden gehorchenden Umgegend Marienburgs

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_085.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)