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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

nimmt er sich den römischen Kaiser Titus, den man die Freude des Menschengeschlechtes nannte, zum Vorbilde und betitelt sich „ami de la tête“. Die glänzenden Schaufenster sind mit tausenderlei zierlichen Geräthen, Oelen, Salben, Toilettegegenständen und Schmucksachen verziert, die sich auf die Pflege des Haares beziehen; selbst der Schutz desselben gegen atmosphärische Einflüsse, der modernste Hut von der Seine, darf daneben nicht fehlen. Und da viele Menschen sogar Haare auf den Zähnen haben, hält er sich für verpflichtet, auch die besten Zahnbürsten feilzubieten.

Treten mir ein, so empfängt uns der Chef des Hauses, redet uns mit „Monsieur“ oder doch mit „Mein Hörr“ an, und nöthigt uns in ein zierlich decorirtes, nach einem freundlichen Garten hinausgelegenes Gemach. Entzückte in der Verkaufshalle ein köstlicher Geruch aller Specereien Arabiens und Indiens unsere Geruchswerkzeuge, wie die französischen Novellisten zu sagen pflegen, obgleich auch in jenen Ländern nicht Alles eitel Wohlgeruch ist: so befremdet uns in diesem Atelier ein etwas unheimlicher Duft. Es riecht wie in der Folterkammer eines Inquisitionsgebäudes, und als ob ein arger Ketzer zur Vermehrung seiner Geständnisse etwas angesengt worden wäre. Ein mit Cokes geheizter großer Kamin ist wirklich vorhanden und mehrere kleine eiserne Instrumente lassen das Schlimmste fürchten. Da mehrere vor uns eingetroffene Herren bereits von den Attachés des Locales bedient werden, und wir reichlich eine Viertelstunde zur Beobachtung Zeit haben, nehmen wir neben einem marmornen Tischchen Platz, und prägen uns das Bild der Scene ein. Wir lassen deshalb einen Stoß Zeitungen, deren altes Datum und angeölte Physiognomien Zweifel erregen, ob sie zur Lectüre der Besucher, oder nur zum Abwischen der fettigen Gehülfenfinger bestimmt sind, unberührt liegen und sehen uns sorgfältig um. An allen Wänden prunken hohe Spiegel und auf den breiten Fensterbretern runde Toilettenspiegel; die Zwischenräume sind mit Kupferstichen französischer Schule und kriegerischen Inhaltes bedeckt. Wo sonst noch Platz vorhanden ist, hängen blendend weiße Frisirmäntel, liegen blinkende Scheeren, riesige Bürsten von fremdartiger Gestalt, curiose Pinsel zum Pomadiren der Haare, stehen Büchsen und gläserne Vasen mit farbigen Haarölen und conservativem wohlriechendem Essig; die vorhandene Gesellschaft ist ziemlich schweigsam.

Auf drei Drehstühlen, welche den Scheiben gleichen, auf welchen lebende Bilder ausgestellt, aber fast immer in Preußen von der Polizei verboten werden, sitzen ebenso viele Herren von ungleichem Lebensalter. Der nächste vor uns wird Herr Graf genannt und raucht eine Cigarre, deren Geruch den Herrn der Anmaßung des Adels verdächtig machen würde, wenn nicht die Umständlichkeit seiner Wünsche in Betreff der Haartracht für die Zahl seiner Ahnen spräche. Seine braunen dichten Locken sind bereits mit makelloser Genauigkeit geordnet und glänzend polirt, sein Gesicht ist mit einer weichen Bürste von allen Abschnitzeln gereinigt, aber noch immer äußert er seine Unzufriedenheit, und der Gehülfe beeilt sich, nicht entrüstet, sondern auf das Aeußerste entzückt über solchen künstlerischen Sinn, seinen Wünschen zu willfahren. Hier wird noch ein Härchen abgeschnitten, hier eines mit Oel angedunkelt, dort mit heißem Eisen gekräuselt und schließlich dem imposant nach Osten und Westen starrenden Schnauzbarte eine letzte Stärkung mit ungarischer Bartwichse gegeben. Endlich erhebt der Graf sich von dem Sessel, wirft den Frisirmantel ab, zieht den Oberrock an, legt ein Fünfsilbergrosckenstück auf den Tisch und entfernt sich mit edlem Anstande, von dem Chef bis an die Thür begleitet.

Der zweite Herr ist offenbar sein Gegentheil. Im höchsten Grade bescheiden und anspruchlos, hat er seinen Rock gleichfalls ausgezogen und sich mit der stillen Duldung eines armen Sünders, dem man das Sterbegewand anzieht, den Frisirmantel anlegen lassen. Der Hauptausdruck seiner Züge ist eine ursprünglich traurige Abgedroschenheit, die mit einer ganz und gar niederträchtig gemachten und behandelten Perrücke vollständig harmonirt. Hören wir aber lieber seine charakteristische Unterhaltung mir dem Gehülfen an.

„Sie wünschen? mein Hörr!“ sagt Letzterer, indem er nicht ohne einigen Abscheu das Mißgebilde von dem alten Schädel zieht.

„Ja, ich – ich – ich möchte – ich wünschte wohl, daß Sie mir die Perrücke aufarbeiten möchten,“ seufzt der Herr, aus dessen Kopf auch nicht mehr ein zartes Härchen keimt.

Der Gehülfe gibt dem Chef einen vertraulichen Wink, dieser nähert sich, und indem Beide die heruntergenommene Perrücke mit den Fingern verächtlich hin und her drehen und stoßen, fragt der Chef: „Mein Hörr! wie konnten Sie nur dieses Machwerk so lange tragen?“

„Ja, ich – ich bin – ich wohne in einer ke – ke – kleinen Stadt und komme nur – nur alle dr – drei Jahre nach Berlin, wenn ich in die Ka – Ka – Kammer gewählt werde!“ antwortet der gute alte Parlamentsredner.

„Diese Perrücke, mein Hörr!“ spricht nun mit hohem Fachstolze der Chef des Hauses, „können wir nicht mehr in Ordnung bringen, sie ist vollständig decomponirt, wenn ich so sagen darf. Eine künstlerische Idee war nie darin, aber sie gewährte einigermaßen leiblichen Schutz, doch geht – da –“ Zum Entsetzen des Abgeordneten fährt der Chef bei diesen Worten mit dem Zeigefinger an verschiedenen Stellen durch die Perrücke, fügt aber tröstlich hinzu: „Wir werden Ihnen noch in dieser Minute eine neue, für Sie passende aufsetzen. Haben Sie nur die Güte, mein Hörr, uns in das obere Stockwerk zu begleiten.“

Was soll der Beklagenswerthe machen? Einen schwermüthigen Blick wirft er noch auf seine durchlöcherte Verstandeshülle und folgt dann den beiden Künstlern in das obere Stockwerk, wo immer dergleichen geheimnißvolle Proceduren vor sich gehen. Die ganze Scene macht den schauerlichen Eindruck des Vorspieles einer Hinrichtung im geschlossenen Raume.

Eigentlich schon an der Reihe selbst frisirt zu werden, zaudern wir noch ein wenig, um den letzten Herrn zu beobachten. Er sitzt breit und gemächlich auf dem Drehsessel, lächelt in den Spiegel und zeigt die wenigen Zähne, welche der Umschwung aller Dinge ihm noch gelassen hat. Sein runder, wohlgestalteter Kopf ist so spärlich bewachsen, daß nur einige Härchen über den Ohren, ein kleines Büschelchen über der hohen Stirn und ein Löckchen im Nacken bemerkbar sind. Nichts destoweniger ruft der lebenslustige Greis mit einem frohen kraftvollen Basse auf die Frage, welchen Haarschnitt er beliebe: „Vorn die Haare alle frei aus dem Gesichte, seitwärts glatt hinter die Ohren gestrichen; hinten unbedingt streng militärisch!“

Was sich der Gehülfe dabei gedacht und wie er dieses Problem gelöst hat, vermögen wir nicht anzugeben, da wir in demselben Augenblicke in die Mache genommen wurden. Nur so viel vernahmen wir, als der glückliche Lockenkopf frisirt worden war, daß der Chef herbeieilte und ihm nicht allein Bärenfettpomade zur Stärkung des Haarwuchses, sondern auch Bandeauline, eine Composition zum Festhalten der geordneten Haare, mit vielem falschen Pathos anpries, auch von beiden Waaren für nicht weniger als zwei Thaler an den Herrn absetzte.

Nicht bei allen Friseuren behandelt man jedoch das Publicum mit solcher weltmännischen Sicherheit, nicht überall fragt man Jeden, ob er in Paris gewesen sei und nicht Nußöl oder einen neuen Hut, wenn nicht gar „préservatifs de Paris“ brauche; es gibt auch viele kleinere Haarkünstler, die sich erst zu dieser Höhe der sittlichen Weltanschauung hinauf arbeiten wollen. Ehe die meisten Haarkünstler für den Haarschnitt fünf oder mehr Silbergroschen beanspruchen, ehe sie in ihrem Geschäfte französische und englische Kosmetika verkaufen können, sehen sie sich genöthigt, vorbereitende Studien in kleineren Geschäften zu machen.

In einer Nebenstraße treffen wir ein solches an und wir entblöden uns nicht, unter dem Anschein, die im Schaufenster ausgestellten Gegenstände zu betrachten, in die Officin zu blicken.

Kein Graf, kein Abgeordneter, kein heitrer Lebemann ist hier zu sehen, nur ein Bruder Studio sitzt auf einem schlichten Strohstuhle und läßt seinen urwüchsigen Haarbusch von einem noch nicht ausgewachsenen Knaben lichten, der darin wie ein ungeübter amerikanischer Ansiedler in einem dichten Eichenwalde arbeitet und wüthet. Um das Passende dieses Gleichnisses zu erhöhen, stöhnt der Bruder Studio auch bange, gleich einem alten, von der Art zersplitterten Baume. Der kleine Knabe geht mit ihm gar zu unglimpflich um; es scheint ihm nur um den Gewinn möglichst vieler und langer Haare zu thun zu sein, das Gesetz der männlichen Schönheit läßt er gänzlich unbeachtet. Er scheert den künftigen Gelehrten so kahl, wie einen den Hundstagen entgegengehenden Pudel, steckt ohne Dank das Honorar von zwei und einem halben Sgr. ein, und ruft dann seinen Herrn, sobald der Studiosus das Local verlassen hat. Der Herr kommt aus der Hinterstube mit einem sauberen kleinen Besen, fegt die Hinterlassenschaft seines jungen Kunden sorglich zusammen und geht schweigend zurück, anscheinend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_081.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)