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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

No. 6.   1859.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.       Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Sand.

Historische Novelle von Max Ring.




I.
Die Freunde.

Ein frischer Herbstwind wehte über die Höhen des Thüringerwaldes, welcher noch in tiefe Nebel gehüllt war. Die ganze Landschaft glich einem wogenden Meere, aus dem nach und nach einzelne Punkte wie grüne Inseln emportauchten, wenn der Wind die wallenden Schleier hier und da zerriß. – Allmählich stieg auch die Morgensonne im Osten empor und ihre hellen Strahlen fuhren wie Schwerter in das Getümmel einer Schlacht. Wo sie hinfielen, zertheilte sich das dunkle, brodelnde Gewölk und öffnete eine freie Aussicht auf die freundliche Gegend. Die Spitzen der Berge traten immer klarer hervor und leuchteten in wunderbarer Pracht; der dichte Wald im Schmucke des Spätherbstes gewährte ein köstlich buntes Farbenspiel: vom fahlen Gelb bis zum leuchtenden Golde, vom sanften Rosa bis zum brennenden Purpur waren alle Tinten und Schattirungen vertreten, als hätte ein Maler seine riesige Palette über die Erde ausgeschüttet. –

Dieses entzückende Schauspiel genossen zwei junge Männer, welche vor dem Gasthofe zur „hohen Sonne“ standen, wo sie zufällig sich gefunden hatten. Ihrer Tracht nach waren es Studenten, die nach demselben Ziele wanderten. Bald waren sie mit einander bekannt geworden, wie dies auf Reisen so leicht geschieht, besonders unter Mitgliedern der heiteren Burschenwelt. Beide waren am vorhergehenden Abend ermüdet von dem weiten Wege in das Wirthshaus eingekehrt und hatten sich sogleich zur Ruhe gelegt, ohne sich gesehen zu haben. Erst beim Morgenimbiß, wo sie an einem Tische saßen, rückten sie sich näher und fanden, je länger sie mitsammen sprachen und ihre Gedanken austauschten, desto mehr Wohlgefallen aneinander, ungeachtet der großen Verschiedenheit, die sich in ihrem ganzen Wesen kund gab.

Der Aeltere, welcher sich Karl Ludwig Sand nannte, war von mittlerer Größe und schlank gewachsen; sein Gesicht, von Pockennarben vielfach verunstaltet, hatte trotzdem einen interessanten Ausdruck sanfter Melancholie. Ein Zug sinnigen Ernstes umschwebte seine jugendliche Gestalt und die puritanische Strenge seines zur Schwärmerei geneigten Charakters verrieth sich selbst in seinem Aeußeren. Seine Kleidung bestand in einem altdeutschen Rocke von schwarzem Sammet. Trotz der rauhen Jahreszeit, welche in den Bergen doppelt empfindlich war, trug er den Hals ganz bloß, ohne ein schützendes Tuch, nur von einem weißen Hemdekragen umgeben. Weite Beinkleider von grauer ungebleichter Leinwand, wie sie die damals auftauchenden Turner liebten, und dunkle Schnürstiefel vollendeten seinen Anzug. Diese Tracht, welche im Widerspruch mit der herrschenden französischen Mode stand, sollte auch äußerlich Sand als einen echten Deutschen kennzeichnen, als einen abgesagten Feind und Verächter aller fränkischen Unnatur, die er vom Grunde seiner Seele verabscheute,

Einen entschiedenen Gegensatz zu ihm bildete sein Reisegefährte, der Friedrich Hagen hieß und der Sohn eines höhern preußischen Beamten war. Frische Lebenslust sprach aus dem rosigen Gesicht, umgeben von einer Fülle blonder, langer Locken. Trotz einer vorherrschenden Heiterkeit konnte auch er zuweilen einen tüchtigen Ernst zeigen, und seine blauen, klaren Augen nahmen einen eigenthümlichen Glanz an, wenn das Gespräch die Stichwörter des Tages: „Freiheit“ und „Vaterland“ berührte.

Es war aber damals im Jahre 1817 eine seltsam bewegte Zeit, die besonders in der akademischen Jugend ihren Wiederhall fand. –

Die eben beendeten Freiheitskriege hatten zum ersten Male nach langer Zeit das deutsche Volk aus seinem Schlummer aufgerüttelt und das Gefühl seiner weltgeschichtlichen Bedeutung in ihm geweckt. Es hatte die größten Opfer gebracht, unsterbliche Thaten vollführt und seine Größe erkannt, sobald es einig war. Im Feuer der Schlachten verschwanden die Unterschiede und kleinlichen Eifersüchteleien der getrennten und oft gewaltsam auseinander gerissenen Stämme, die sich jetzt dem Feinde gegenüber als Brüder und Söhne der einen großen Mutter fühlten. Aus den Flammen der allgemeinen Begeisterung stieg der Gedanke an Deutschlands Einheit und der Wunsch nach einer besseren und freieren Gestaltung der verrotteten Verhältnisse wie der Phönix aus seiner Asche empor. Diese Ideen lebten in den Herzen aller Besseren auf, vorzugsweise aber in der Jugend. Sie hatte im Augenblicke der Gefahr nicht gezögert, ihr Leben für das Vaterland einzusetzen, sie war freiwillig in die Reihen der Krieger eingetreten und hatte auf den Schlachtfeldern mit Freudigkeit ihr Blut vergossen. – Das Alles gab ihr ein stolzes Bewußtsein ihren Werthes, und als der Friede geschlossen war und die Sieger heimkehrten, glaubte sie sich besonders berufen, das Palladium der neu errungenen Freiheit zu bewachen.

Dieser Geist offenbarte sich zumeist auf den deutschen Universitäten, wo sich bald ein bisher unbekanntes Leben entfaltete. Früher war die Studentenwelt nur ein getreues Abbild der allgemeinen Zerrissenheit, in Landsmannschaften und ähnlichen Verbindungen zersplittert, welche sich meist feindlich gegenüberstanden und im rohen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_073.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)