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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

zurückzogen, und in einer kleinen Entfernung von einander auf Stühlen Platz nahmen.

Obwohl wir unsere Helden, ohne sie angesprochen oder sonst genauer kennen gelernt zu haben, als Deutsche und „Grüne“ bezeichneten, scheinen sie selbst sich gegenseitig bisher ganz unbekannt geblieben zu sein, was übrigens dadurch zu erklären ist, daß sie so grün waren, sich gegenseitig für Yankee’s anzusehen, und also kein Gespräch mit einander anknüpften. Erst zufällig, und zwar durch die Vermittelung eines wirklichen Amerikaners, wurden die beiden Landsleute gewahr, daß sie Landsleute seien. Dieser Amerikaner glaubte nämlich einem der Deutschen im Vorbeigehen auf den Fuß getreten zu sein, und wendete sich um Entschuldigung bittend an ihn um den Worten: „I beg your pardon, Sir!“ Der Deutsche, der diese Worte nicht verstand und ihre Veranlassung nicht kannte, antwortete etwas verlegen mit der Frage: „Was wünschen Sie, mein Herr?“ Der Amerikaner nahm dies für eine versöhnliche Redensart und gab sich zufrieden, der andere Deutsche aber, durch diese Worte aufmerksam gemacht, näherte sich seinem Landsmann und fragte:

„Sie sind ein Deutscher?“

„Wie Sie hören,“ erwiderte der Andere.

„Das ist mir sehr angenehm,“ meinte jener. „Es ist so fürchterlich langweilig, wenn man mit Niemandem ein Wort sprechen kann. Die englische Sprache will mir trotz meiner eifrigen Vorstudien“ – alle Grünhörner haben gewaltige Vorstudien in der englischen Sprache gemacht – „nicht recht von der Zunge, und ich muß gestehen, das unfreiwillige Stillschweigen seit der Einschiffung in New-York fing bereits an, mir recht unangenehm zu werden.“

„Sie stiegen also auch in New-York ein?“

„Wie Sie sagen. Und Sie?“

„Ich ebenfalls.“

„Sind vielleicht in New-York etablirt?“

„O nein! Ich bin erst seit vier Tagen im Lande und eben jetzt auf der Reise nach dem Orte meiner Bestimmung.“

„Sonderbar, wie das zusammentrifft! Ich bin ebenfalls erst vor vier Tagen in New-York an’s Land gestiegen, wo ich mir nur eine sehr kurze Erholung gönnte, da ich es kaum erwarten konnte, in die Arme meiner Lieben zu eilen.“

„Sie reisen zu Ihren Eltern?“

„Nein! – oder doch – wie man’s nehmen will. Ich reise zu meiner Braut, deren Eltern bald auch die meinigen werden sollen.“

„Nun, das ist doch wahrlich, als wenn wir uns zusammen beredet hätten. Ich reise ebenfalls zu meiner Braut und hoffe, noch heute süße Küsse zu ernten.“

„Und das Ziel Ihrer Reise?“

„Ist Richmond.“

„Richmond?“

„Ja wohl, Richmond.“

„Aber das ist ja köstlich! Wir kommen Beide vor vier Tagen aus Deutschland, steigen in New-York in ein und dasselbe Schiff und gehen Beide nach Richmond, Jeder seiner Braut entgegen.“

„Sie gehen also auch nach Richmond?“

„Gewiß! und zu meinem Mädchen – doch Sie sollen sehen! – Ein solches Mädchen – aber ich führe Sie bei meiner Braut ein und Sie mögen selbst urtheilen.“

„Nehmen Sie sich in acht, lieber Freund, denn ich werde dort jedenfalls Ihre Höflichkeit erwidern und Sie auch meiner Braut zuführen. Haben Sie diese gesehen, so könnten Sie sich leicht von der exclusiven Verehrung der Ihrigen zurückkommen.“

„Sie entschuldigen, lieber Landsmann! Ich will gewiß Ihrer lieben Braut, die ich, ohne sie zu kennen, ehre und schätze, nicht zu nahe treten, aber wenn Sie erst meine Amalie gesehen haben –“

„Es ist jedenfalls eine gute Vorbedeutung für meine Braut. daß sie wenigstens denselben Namen hat, wie die Ihrige!“

„Wie? Auch Ihre Braut heißt Amalie?“

„Ich glaube nicht, daß Ihnen das unangenehm sein wird?“

„O, gewiß nicht! Aber es ist doch sonderbar, daß unsere Verhältnisse so viele Aehnlichkeit zeigen. Es sieht fast so aus, als wären wir Doppelgänger. Dürfte ich auch den Familiennamen ihrer lieben Braut erfahren?“

„Sehr gern. Meine Braut ist eine geborene Müller.“

„Und wohnt in Richmond? Und in welcher Straße?“

„In der Washington-Straße.“

„Was, in der Washington-Straße?“

„Ich sehe nicht ein, was Sie denn so sehr in Staunen setzen kann. Meine Braut heißt Amalie Müller und wohnt in Richmond in der Washington Street. Wie sie mir schreibt, hat ihre Straße noch keine Nummern, weil noch nicht viel Häuser darin stehen, doch werde ich das Haus leicht erfragen können.“

„Und woher ist Ihre Braut?“

„Sie sind in der That neugierig! – Doch ich will Ihnen vollständig Genüge leisten. Meine Braut ist aus Berlin; sie wanderte vor einem Jahre mit ihren Eltern aus und wohnt jetzt in der Washington Street in Richmond in den Vereinigten Staaten von Nordamerika; ich war zur Zeit ihrer Auswanderung noch unter Vormundschaft und konnte die Einwilligung meines Vormundes nicht erlangen. Sobald ich frei wurde, machte ich meine Habseligkeiten zu Gelde und bin jetzt auf dem Wege zu meiner Braut, mit der ich mich in einigen Wochen verheirathen werde.“

„Das werden Sie wohl bleiben lassen, mein Herr! so lange es mir belieben wird, meine Ansprüche auf Amalie Müller aus Berlin, gegenwärtig in Richmond in Amerika, geltend zu machen. Ich muß Ihnen sagen, daß es entweder ein unzeitiger Spaß oder eine maßlose Arroganz ist, sich als den Verlobten eines Mädchens auszugeben, mit dem Sie gewiß nie in nähere Bekanntschaft, viel weniger in ein derartiges Verhältniß getreten sind. Diese Amalie Müller, die Sie für Ihre Braut auszugeben belieben, ist bereits seit drei Jahren mit mir verlobt; vor einem Jahre, als sie auswanderte, hatte ich meiner Militairpflicht noch nicht Genüge geleistet; nun, da ich frei bin, eile ich in die Arme meiner Geliebten und will sehen, wer mich daran verhindern wird!“

„Es ist mir leid, daß ich meine Briefe in meinen Koffer gepackt habe, den ich erst bei der Landung des Schiffes erhalten kann. Ich könnte Ihnen dann leicht beweisen, wie wenig Sie berechtigt sind, mich der Arroganz oder schlechten Witzmacherei zu zeihen, und wie es mir eher zukäme, Ihnen diese Schimpfworte in’s Gesicht zu schleudern.“

„Herr, das ist zu viel! – Ich sage Ihnen, Sie müßten mir geradezu meine Briefe von Amalie stehlen, wenn Sie Ihren lügnerischen Angaben einen Schein von Wahrheit geben wollten!“

„Mein Herr, Ihr Benehmen ist impertinent! Und wenn Sie mit Ihren blödsinnigen Angriffen auf meine Ehre und die Ehre meines Mädchens nicht aufhören, so werde ich Sie wie einen dummen Jungen züchtigen!“

Es wäre hier zwischen den heißblütigen Teutonen wahrscheinlich zu Thätlichkeiten gekommen, hätte nicht eben die Schiffsglocke ihr Geläute und der eintretende Conducteur seine Baßstimme ertönen lassen: Richmond!

In Amerika, wo „Time is money“ (Zeit ist Geld) nicht nur eine Phrase, sondern Wahrheit ist, dauert der Aufenthalt der Dampfschiffe selbst an größeren Stationen nur einige Minuten. Noch bevor man an die Station kommt, wird alles für diese bestimmte Gepäck auf’s Verdeck gebracht und dort nahe an der Ausgangsstelle aufgehäuft; bei der Ankunft wird es mit fast unglaublicher Schnelligkeit an’s Land gebracht und die etwa bereit liegenden Frachtgüter an Bord genommen; und nun beginnen die Räder wieder ihre rauschende Bewegung, um den schwimmenden Palast einem anderen Hafen auf eben so kurzen Besuch zuzuführen.

Dies hatten unsere Landsleute bereits bei mehreren Landungen mit angesehen, und als die Glocke und die Stimme des Conducteurs ertönte, dachten sie an ihre Selbsterhaltung oder vielmehr an ihre Gepäckerhaltung, und entfernten sich mit gegenseitig durchbohrenden Blicken aus dem Salon.

Am Landungsplatze wurden die beiden Bräutigams bald durch die wogende Menge von einander getrennt, doch dauerte es nicht lange, so wurden sie von ihrem Schicksale wieder zusammengeführt.

Beide nämlich konnten sich nur so weit verständlich machen, daß sie nach der „Washington Street“ gehen wollten. Es wurde ihnen also die Richtung angegeben und nach langem Hin- und Herbiegen gelangten endlich Beide, aber an verschiedenen Punkten in die gesuchte Straße. Hier angelangt, gerieth der Eine in eine Bierkneipe, wo man in Amerika stets sicher sein kann, Deutsche zu finden; der Andere ging vor einer offenstehenden Victualienhandlung vorbei, wo er zwei deutsche Frauen miteinander sprechen hörte, und trat ein, um sich nach seiner Braut zu erkundigen; allein auch hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_065.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)