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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ich fürchte Niemand!“ entgegnete das junge Mädchen ruhig,

„Mit diesem Bilde,“ fuhr die Gräfin fort, „hat Sie sich an den König machen wollen, um ihn anzubetteln. Diese elenden Fremden, die unsere Stadt überschwemmen und unsere Taschen leeren, sie sind sich Alle gleich; ein Gesindel, das man, je früher, desto besser, hinaustreiben sollte, mit der Peitsche, wenn nicht anders! – O, ich kenne diese frechen Geschöpfe, die, auf ein hübsches Lärvchen bauend, hierherkommen, um ihr Glück zu machen. – Ich kenne sie.“

„Gewiß, Gräfin, werden Sie sie kennen! Und warum, wenn ich sonst wollte, warum sollte mir nicht glücken, was Anderen so gut geglückt ist, daß sie jetzt in Palästen wohnen? Ich habe mir wenigstens nicht den Vorwurf zu machen, wie Sie, daß ich eheliche Bande zerrissen und mich von meinem Manne habe abkaufen lassen.“

Frau von Cosel antwortete nicht; fast ohnmächtig vor Aufregung und Wuth, wankte sie zur Klingel, um ihre Diener herbeizurufen.

Das junge Mädchen vertrat ihr den Weg. Mit fester Stimme sagte sie:

„Halt, nicht weiter! Keine Beschimpfung. – Ich bin altadeligen Geschlechts, wie Sie, Gräfin! Ich bin die Tochter des Grafen Coccini. Der venetianische Gesandte weiß um meine Verhältnisse, er bewahrt meine Papiere. – Senden Sie zu ihm, überzeugen Sie sich von der Wahrheit meiner Worte, und bis Sie Antwort erhalten, werde ich dieses Haus nicht verlassen.“

Ohne die Gräfin eines weiteren Grußes zu würdigen, schritt sie aus der Thüre.

Man kann sich denken, daß Frau von Cosel nicht zögerte, sich Gewißheit zu verschaffen. Sie schrieb an den Gesandten ein flüchtiges Billet, das kurz die Angaben des Mädchens enthielt, und bat um rasche Antwort.

Statt eines Schreibens kam der Gesandte selbst und durch sein Zeugniß wurde Magdalena als Gräfin Coccini anerkannt, für die sie sich ausgegeben.

Der Gesandte hatte eine längere Unterredung unter vier Augen mit der Gräfin Cosel. Die gehaltreichen Ereignisse dieses Tages schlossen damit, daß Magdalena im Wagen des Gesandten den Palast verließ und daß die Gräfin Cosel ihr eine kalte, ceremoniöse Verbeugung machte, ohne ein Wort der Entschuldigung über das Vorgefallene beizufügen.

Der Vorfall mit dem Bilde, die Scene im Cosel’schen Palais wurde bekannt und die Geschichte machte großes Aufsehen.

Rosalba Carriera ließ es sich angelegen sein, die genaueren Details der Thatsache selbst zu verbreiten. Sie besuchte ihre ehemalige Zofe und überschüttete sie mit Schmeicheleien und Liebkosungen, Jedermann wollte das Wunder an Talent und Schönheit sehen und man drängte sich, die Bekanntschaft der jungen Gräfin Coccini zu machen.

Unter den Neugierigen war der König August nicht der Letzte. Es schmeichelte ihm, daß ein junges Mädchen von blendender Schönheit und vornehmer Geburt sein Bild, in stiller Neigung für ihn, verstohlen gemalt.

Er sah Magdalena und sie gefiel ihm; doch zeigte er dieses Wohlgefallen nicht, um die Gräfin Cosel nicht zu beleidigen und das junge Mädchen nicht in Gefahr zu bringen, da er die Eifersucht und Rachsucht seiner Geliebten kannte.

Magdalena bezog eine schöne Wohnung, richtete sich kostbar und geschmackvoll ein und galt jetzt öffentlich für das, was sie so lange heimlich gewesen – für die Schülerin der Carriera.

Der Gesandte gewährte ihr seinen Schutz und seine Gemahlin betrachtete die schöne Venetianerin wie ihre Tochter.

Man erfuhr jetzt, daß der Graf Coccini aus einer der ersten Familien der Republik stamme, nur diese eine Tochter habe, die im elterlichen Hause wie ein seltener Schatz gehütet wurde und deren Launen man auf alle Weise schmeichelte.

Schon früh zeigte das Mädchen eine ausschließliche Vorliebe für die Kunst, und besonders waren es die kleinen zierlichen Bilder Rosalba Carriera’s – wie sie sie damals malte –, die das schöne Kind zur Nachahmung reizten. Der Vater wollte ihr Lehrer in der Kunst geben, sie bestand aber darauf, der Rosalba Schülerin zu werden.

Dies in’s Werk zu setzen, war ein Ding der Unmöglichkeit, denn schon hatten zahllose Beispiele bewiesen, daß die Künstlerin keine Schüler oder Schülerinnen annehme.

Magdalena, gewohnt, ihren Willen durchzusetzen, und durch das Abenteuerliche des Unternehmens gelockt, hatte endlich den Plan gefaßt, den wir sie haben ausführen sehen. Die Dienste, die sie der Carriera leistete, waren leicht und bequem und von der Art, daß allenfalls eine Grafentochter sie übernehmen konnte.

Die Künstlerin gewann das junge Mädchen lieb, das etwas Stolzes, Abgeschlossenes und Sicheres im Benehmen hatte, und so waren drei Jahre vergangen, ohne daß Gebieterin und Dienerin nur ein einziges Mal Ursache gehabt, mit einander unzufrieden zu sein.

Magdalena hatte in dieser Zeit ihre Studien vollendet. Sie hatte sich zur Künstlerin ausgebildet und demnach erreicht, was sie gewollt. Der Zufall, der die Entdeckung herbeiführte, kam nicht zu früh. Schon hatte Magdalena manchmal in letzterer Zeit auf dem Punkte gestanden, sich Rosalba, die ihr mehr Freundin als Gebieterin war, anzuvertrauen; doch durch kleine Zufälligkeiten war das Geständniß stets verhindert worden.

Für den Fall, daß durch irgend ein drohendes Begegniß Magdalena gezwungen war, ihre gefährdete Person, den Namen, den sie trug, und somit die Ehre ihres Hauses vor Unbill zu schützen, hatte der Graf, ihr Vater, dem in jeder großen Hauptstadt residirenden Gesandten Kenntniß von dem wahren Namen und dem Stande seiner Tochter gegeben.

Sie hatte bis dahin nicht nöthig gehabt, von dieser Vorsichtsmaßregel Gebrauch zu machen, bis die ausbrechende Wuth der Frau von Cosel sie eine Mißhandlung oder wenigstens unauslöschliche Demüthigung befürchten ließ und ihr denn kein anderes Mittel, sich zu retten, übrig blieb.

Doch die Gefahr für Magdalena sollte erst jetzt beginnen.

Durch die Spione, mit denen die Gräfin den König umgab, erfuhr sie, daß August die schöne Venetianerin öfter sähe. Nimmermehr konnte die stolze, allgewaltige Geliebte die empörenden Worte vergessen, die diese Fremde an sie zu richten gewagt; nimmermehr vergessen, daß sie den König für sich gewonnen und daß sie sich im sicheren Besitze ihres Triumphes, jedem Angriffe hohnsprechend, dicht neben ihrer Nebenbuhlerin niedergelassen! So keck und kühn hatte bis jetzt keine Frau gewagt, sich mit ihr zu messen, so fest und sicher war noch keine aufgetreten, wie diese junge stolze Venetianerin!

Die Wuth der Gräfin war desto stärker, je ohnmächtiger sie war. Auf welche Weise sollte sie eine Rivalin stürzen, die das Interesse der ganzen Stadt für sich gewonnen hatte und auf dem besten Wege war, ihr das Herz des Königs zu rauben?

Trotz Allem mußte etwas geschehen, – Alles mußte daran gesetzt werden, um Magdalena zu beseitigen, denn Gräfin Cosel wollte siegen, sie wollte nicht fallen! Nach langem, tiefem Nachsinnen ließ die eifersüchtige, rachsüchtige Frau ihren Leibarzt kommen.

Dies war ein schlauer, in den Künsten der Höfe ergrauter, Italiener. Seine vorzüglichste Kunst bestand darin, die Natur der Gifte studirt zu haben, um die passenden Schutz- und Gegenmittel anzuwenden. August hatte ihn auf seinen Reisen in Italien kennen gelernt und ihn zu sich kommen lassen zu einer Zeit, wo er sich einbildete, daß man ihm mit Gift nach dem Leben trachtete.

Als diesen Fürsten diese Besorgnis; verlassen hatte, sank auch das Ansehen des Doctor Volta, und zuletzt war er kaum mehr als ein vergessener Charlatan, dem man keine Patienten anvertraute, weil man gewiß war, daß er sie nicht würde zu behandeln verstehen.

Gräfin Cosel, die in ihren müßigen Stunden ein wenig Alchymie, Astrologie und Medicin trieb, begünstigte den alten Mann und machte mit ihm zusammen Experimente, die darauf hinausliefen, zuweilen eine Katze zu vergiften, ein Prognostikon zu stellen, oder in einem kleinen Schmelztiegel Gold hervorzubringen, das man schon vorher hineingethan hatte.

Diese Beschäftigungen waren unschuldiger Natur gewesen; allein die Gräfin wußte aus der Geschichte der Frauen von Neidschütz – dieser unter der vorigen Regierung der teuflischsten Hexenkünste angeklagten und von August selbst verfolgten Mutter und Tochter – daß selbst in Sachsen, nicht blos in Italien nur Frankreich, das Gift an den Höfen der Fürsten eine Rolle gespielt. Es lag ihr daher nahe, ob ein solch kleiner Versuch nicht auch jetzt und unter den obwaltenden Umständen zu wagen sei.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_058.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)