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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

wird, den es nach seiner Industrie und seiner geographischen Lage zu fordern berechtigt ist.

Ein blühender Handel ist die Grundlage zu Wohlstand und Staatenglück; Dank der Regierung, welche eine Politik verfolgt, die auf Förderung des Handels, und zwar des Seehandels, bedacht ist. Eine solche Politik ist die einzig richtige.

Das deutsche Volk hat dies seit lange erkannt. Der hohe Enthusiasmus, welcher sich einst für die Gründung einer deutschen Seemacht zum Schutze des Handels überall kund gab, war ein Zeugniß dafür. Leider ist das Unterpfand einer deutschen Einigkeit schmachvoll zu Grunde gegangen und manche schöne Hoffnung damit zu Grabe getragen.

Doch der einmal angeregte Gedanke an eine Geltung Deutschlands zur See ist im Volke wach geblieben und die lebhafte Theilnahme, mit der es die Entwicklung der österreichischen und der jungen preußischen Marine verfolgt, zeigt, daß es von ihr die Verwirklichung des nationalen Wunsches erwartet, eine Hoffnung, die allem Anscheine nach nicht zu Schanden werden wird.

Bei diesem regen Interesse für Deutschlands maritime Beziehungen und das Seeleben im Allgemeinen dürfte es vielleicht auch unserm Leserkreise nicht unwillkommen sein, näher mit dem Elemente bekannt zu werden, das jene Beziehungen vermittelt, und einen Blick in die kleinen Welten zu werfen, die als Schiffe zu Tausenden auf den Fluthen des Oceans sich wiegen.

Es ist ein eigenes Leben am Bord eines Schiffes, so ganz verschieden von dem am Lande. Es besteht fast nur aus Mühseligkeiten, Entbehrungen und ist reich an trüben, aber desto ärmer an freudigen Wechselfällen. Trotzdem besitzt es einen unendlichen Reiz für den Seemann, der in ihm aufgewachsen ist und mit unsichtbaren Banden an sein wunderbares Element gefesselt zu sein scheint.

Fragt man den Seemann, was ihn mit solcher Zaubermacht zum trügerischen Meere zieht, so weiß er keine Antwort darauf zu geben. Es ist nicht das bloße Verweilen auf dem Schiffe, das einsame Leben am Bord, das aller Annehmlichkeiten, die unser irdisches Dasein verschönern, beraubt ist. Ebensowenig ist es Reiselust. Mit geringen Ausnahmen sieht kein Reisender weniger von fremden Ländern, die er besucht, als gerade der Seemann, da der strenge Dienst am Bord seine Gegenwart stets in Anspruch nimmt. Was kann es also anders sein, als das Meer selbst, das ruhelos wallende Meer mit seinen Schrecken, seinen Wundern, seinen Schönheiten, dessen Bild sich ihm mit unauslöschlichen Zügen tief in das Herz gräbt?

Ja, es ist schön, groß, erhaben, das Meer mit seinem tiefen Blau, dem Wiederscheine des Himmelsgewölbes, das sich in seinen Fluthen spiegelt. Es ist schön, das Meer, wenn es sich vor dem trunkenen Blicke aufrollt, ein Bild der Ewigkeit, an dessen Azurstirn die Zeit spurlos dahinzieht, ohne ihre Furchen darauf einzugraben. Es ist schön bei der Sonne goldenem Licht, wenn ihre Strahlen in seinen weiten blauen Schooß sich senken, dort Kühlung zu suchen vor der eigenen Gluth – wenn in linder Nacht der sanfte Schimmer des Mondes über seine Spiegelfläche zittert und der Sternenhimmel seine eigene Pracht in ihm bewundert – wenn es erglüht in feurigem Glanze und Millionen Funken in ihm sprühen. Wie groß, wie erhaben zeigt es sich in seinem Zorne, wenn es im Kampfe mit dem Erbfeinde die Wogen aufthürmt zu mächtiger Höhe, wenn sie kochend in weißem Schaume und donnernd zusammenbrechen, daß fast der Sturm davor erbangt! Ja, schön, groß, erhaben ist der Ocean in jeder Gestaltung. Ueberall bleibt er sich gleich, von des Nordens eisiger Küste bis zu des Südens ewigem Lenze, die er beide mit seinen Riesenarmen umfängt. Wer sollte ihn vergessen können? Wer nur einmal ihn erschaut, sehnt sich nach ihm zurück, wie viel mehr der Seemann, der seit frühester Jugend sich auf ihm gewiegt. Darum strebt er ihm, seiner Heimath, zu; darum sehnt er sich nach ihm, bis er, sein Grab geworden, mit kühlen Armen ihn umschließt und auf feuchtem Grunde ihn zum ewigen Schlafe bettet.

In solchen Umgebungen aufwachsend und lebend ist es natürlich, daß der Charakter des Seemannes sich auf andere Weise bildet, als bei den Bewohnern des Landes. Er gelangt zu schnellerer Reife, da der Ernst des Lebens ihn früher berührt. Er sieht mit kühner Ruhe den Gefahren in das Auge, da er sie täglich bekämpft und als Sieger über sie triumphirt. Er ist harmlos und vertrauend, da die Falschheit der Außenwelt ihn nicht täuscht und ansteckt. Ein Kind der Natur, fühlt er sich in ihrem Schooße am wohlsten; muthig und unverdrossen erträgt er die Beschwerden seines mühseligen Lebens und vermißt nicht die erkünstelten Reize desselben, die der übersättigte Genuß hervorruft.

Willst Du ihn kennen lernen, ihn begleiten auf seinem Wege; willst Du sehen, wie er lebt auf der schwankenden Nußschale, mit der er sich dem Oceane anvertraut, so folge mir. Lange habe auch ich auf dem Meere mich gewiegt und bin zum Manne gereift auf seinen Wellen. Was ich zu schildern versuchen will, sind Scenen aus unserem bewegten Leben, wie sie sich täglich dem Seemanns bieten.

I. Abfahrt.

Es war ein trüber, regnerischer Novembertag, so ein Tag, an dem man am liebsten im Zimmer sitzen bleibt. Auf den schlüpfrigen Straßen des sonst belebten D. war es daher auch ziemlich öde und die einzelnen Menschen, welche in Geschäften das Haus verlassen mußten, eilten so schnell als möglich, das gastliche Dach wieder zu gewinnen.

Nur am Quai des Hafens und im letzteren selbst ging es außergewöhnlich lebhaft her. Eine Menge Boote fuhren hin und her und beförderten Passagiere zwischen dem Ufer und einer Fregatte, die in der Mitte des Hafens seefertig lag. Ihr einer Anker war bereits gelichtet und sie mit Tauen an den Pfählen festgemacht. Das schöne Schiff, dessen schlanke Linien auch jedes nicht seemännische Auge erfreuten, hieß der „Seestern“, führte 50 Kanonen, die trotzig aus den halbgeöffneten Pforten schauten, und die blaue Flagge mit weißem Viereck, der blaue Peter, welcher am Vortopp, der obersten Spitze des Fockmastes, wehte, kündete den Bewohnern der Hafenstadt an, daß die Fregatte heute segeln wollte.

Auf ihrem Oberdeck sah man nur wenige Menschen. Die Mannschaft hatte Erlaubniß, bei dem Regenwetter hinunterzugehen, und außer dem Officier und einem halben Dutzend Cadetten der Wache, einigen Bootsmannsmaten vom Dienst und den Schildwachen an den Fallreepstreppen befand sich dort nur noch der erste Lieutenant. Er maß mit großen Schritten die Länge des Decks und schien in keiner rosenfarbenen Laune zu sein.

„Maas!“ wandte er sich jetzt an den Bootsmannsmat vom Hinterdeck, der sich eine Viertelstunde vergebens abmühte, die Gläser eines Fernrohres mit dem Zipfel seines nassen Halstuches zu reinigen.

„Herr Lieutenant!“ erwiderte dieser, mit seiner Sisyphusarbeit innehaltend, indem er ehrerbietig seinen Wachstuchhut lüftete.

„Ist die Gigh noch nicht in Sicht?“

„Nein, Herr Lieutenant!“

„Hol’ der Teufel die Gigh,“ brummte der Officier für sich und stampfte dabei unwillig mit dem Fuße. Die Gigh war das Boot des Capitains, dessen Ausbleiben allein das Segeln der Fregatte verzögerte.

„Zu Befehl,“ stimmte Maas bei, dem diese Phrase einem Vorgesetzten gegenüber sehr geläufig war. Der erste Lieutenant achtete nicht darauf und nahm seine Promenade wieder auf. Die Cadetten hatten es jedoch gehört und lachten, freilich nur ganz leise. Sobald der Vorgesetzte sich umdrehte, waren alle sechs kleinen Schelmengesichter wieder in die vorschriftsmäßige Dienstform gebracht. Auf Sr. Majestät Hinterdeck darf nicht gelacht werden. Arme Jugend, schon so früh wird Dir das Lachen verboten; als ob der Ernst des Lebens Dich nicht zeitig genug anhauchte!

Unten in der Batterie bietet sich den Blicken ein lebendigeres Bild. Die Batterie ist die nächste untere Etage einer Fregatte und wird so genannt, weil in ihr die meisten und schwersten Geschütze stehen, und sie die eigentliche artilleristische Stärke des Schiffes ausmacht. Hier bewegen sich eine Menge Menschen; es sind jedoch nicht alles „Blaujacken.“ Man sieht auch viele lange Röcke und hohe Hüte, die häufig ihren Eignern vom Kopfe fallen, weil sie nicht für die niedrigen Decksbalken berechnet sind. Auch bunte Kleider und Schürzen schimmern aus den verschiedenen Gruppen, die sich überall gebildet haben. Es sind Verwandte, Freunde und Bekannte vom Lande, die gekommen sind, ihren scheidenden Lieben ein letztes Lebewohl zu sagen. Ach, vielleicht ist es wirklich das letzte! Dieser Gedanke beschleicht wohl manches Herz, und manche Wimper, die im Kampfe mit Sturm und Wogen nicht gezuckt, erzittert jetzt beim Abschiede vom liebenden Mutterherzen, das in banger Ahnung schmerzlich sich zusammenzieht. Wird der theure Sohn wiederkehren, der jetzt so frisch und jugendkräftig vor ihr steht, den das treue Mutterauge seit der zartesten Kindheit behütet und der sich jetzt dem trügerischen Meere anvertraut? Gott allein weiß es; so mancher lebensfrohe Jüngling zog auf gleiche Weise hinaus, und seine Gebeine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_054.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)