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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Monarchen, der sie mit seinen Gunstbezeigungen überhäufte. Er hatte für sie eine elegante Villa in Charlottenburg gekauft und mit verschwenderischem Luxus eingerichtet. Hier versammelte sie einen Kreis von geistreichen Männern und Frauen, welche aus laxer Moral und in eigennütziger Absicht, aber auch aus wahrer Anhänglichkeit für die liebenswürdige Wirthin, sich einzufinden pflegten. In dieser aus den verschiedensten Elementen zusammengewehten Gesellschaft wurde viel musicirt; Wilhelmine selbst war nicht ohne Talent und besaß, wie ihre Schmeichler betheuerten, eine Stimme, die an Fülle die der damals berühmten Mara, an Schmelz die der Schmalz und an Geläufigkeit die der Zelter übertraf. Mit diesen musikalischen Genüssen wechselten poetische Vorträge ab. Der Odendichter Rainler las seine schwungvollen Verse vor, der große Schauspieler Fleck, das bedeutendste dramatische Genie seiner und vielleicht aller Zeiten, declamirte mit einem Feuer und einem Pathos, das die Zuhörer unwillkürlich mit sich fortriß. Vornehme Fremde und selbst die Gesandten der fremden Mächte verschmähten es nicht, diesen Cirkel zu besuchen. Sir Paget, der englische Gesandte, und Lord Templeton, ein feuriger Irländer, wurden hier häufig gesehen; der Letztere trug Wilhelminen sogar seine Hand an, die sie jedoch auf den Wunsch des Königs ausschlug. Eine der originellsten Figuren in diesem Kreise war unstreitig der reiche Tuchfabrikant Schmidts, Director der Manufactur im königlichen Lagerhause, wegen seines ansehnlichen Leibesumfangs und seiner bekannten Galanterie nur der „dicke Adonis“ genannt. Schmidts war ein heiterer Lebemann, ein lustiger Gesellschafter, ein leidenschaftlicher Verehrer des schönen Geschlechts und wegen seiner ausgezeichneten Diners berühmt. Der alte Heim, welcher sein Hausarzt war, erzählt von ihm folgende Anekdote aus jener Zeit:

„Eines Tages verabredete der König mit seiner Geliebten, dem dicken und überaus galanten Schmidts einen Possen zu spielen. Er hatte sie öfters um einen Kuß, halb im Ernst, halb im Scherz flehentlich ersucht; sie sollte ihm Gewährung versprechen unter der Bedingung, daß er sie fußfällig darum bitten würde. Dies geschah; der „Berliner Falstaff“ ließ sich vor der angebeteten Schönen auf seine Kniee nieder; in demselben Moment trat der König in das Zimmer und nahm anscheinend eine höchst zornige Miene an; er schien vor Wuth ganz außer sich zu sein, war es aber in der That nur vor Vergnügen, zu sehen, wie sich der dicke Seladon vergebens abmühte, um wieder auf die Beine zu kommen. Endlich konnte sich der König nicht länger bezwingen; er brach in ein lautes Gelächter aus, half dem armen Schäfer selbst aufstehen und schenkte ihm eine kostbare Krücke Friedrich des Großen von Bergkrystall mit Türkisen besetzt, um sich künftig bei ähnlichen verliebten Abenteuern darauf zu stützen.“

Schmidts schenkte später diesen Stock an den Geheimen Rath Heim, dessen Sohn ihn dem französischen General Rulhiére in Paris verehrte.

Besonders fühlte sich der König an die Geliebte durch den Sohn gefesselt, den sie ihm geboren hatte und der von ihm zum Grafen von der Mark erhoben wurde. Er liebte diesen Knaben, der seiner Mutter ähnlich sah, fast abgöttisch.

„Sein Angesicht,“ schreibt der berühmte Mirabeau, welcher sich zu jener Zeit am Berliner Hofe aufhielt, „glänzt, wenn er ihn nur sieht; am Morgen beschäftigt sich der König mit diesem Kinde; unter allen seinen fortwährend wechselnden Launen ist diese Zuneigung die einzige, die sich regelmäßig erhält.“

Der zärtliche Vater gab ihm einen französischen Hofmeister, Namens Chapuis, und schenkte ihm drei große Domainen in der Neumark, Lichtenau, Breitenwerder und Roßwiese, deren Einkünfte einstweilen die Mutter genoß. Untröstlich war der König über den Tod dieses Sohnes, der in seinem neunten Lebensjahre und unter räthselhaften Umständen erfolgte, die fast auf ein geheimnißvolles Verbrechen schließen lassen.

Die Mutter scheint den Todesfall dazu benutzt zu haben, um den schwachen König noch mehr in ihre Gewalt zu bekommen. Zu diesem Zwecke soll sie sich mit jener intriguanten Coterie verbunden haben, welche den bekannten Aberglauben des Königs und seinen Hang zum Wunderbaren auf jede mögliche Weise zu nähren wußte. Diese geheimen Rosenkreuzer und Geisterbeschwörer versprachen dem betrübten Vater, den Schatten seines verstorbenen Lieblings aus dem Grabe heraufzurufen. In dem Palais unter den Linden wurde dasselbe Zimmer, worin der kleine Graf gestorben war, mit schwarzem Tuche ausgeschlagen; in der Mitte erhob sich ein Altar, auf welchem ein betäubendes Räucherwerk brannte. Eine sanfte Musik versetzte den König zuvor in die geeignete Stimmung, während durch optische Blendwerke seine Augen getäuscht wurden. Alles war darauf berechnet, seine Sinne einzuschläfern und seine Einbildungskraft auf das Höchste aufzuregen. Mit einem Schlage erloschen die brennenden Lichter, und in der Dunkelheit erschien die bleiche Gestalt des gestorbenen Knaben. Damit war diese Gaukelei noch keineswegs beendet. Der Schatten mußte auch sprechen und den Vater an das Versprechen erinnern, welches er früher der Mutter des Todten gegeben, daß er sie nie verlassen wollte.

So unglaublich diese Erzählungen auch klingen, so hat es noch vor Kurzem Leute in Berlin gegeben, die selbst als Helfershelfer bei diesen betrügerischen Possenspiele beschäftigt gewesen waren und dies in vertrauter Gesellschaft auch eingestanden.

Der tief erschütterte König ließ dem gestorbenen Liebling ein Denkmal in der Dorotheenkirche errichten, welches aus den Meisterhänden des Bildhauers Schadow hervorgegangen ist, und jetzt noch die größte Bewunderung verdient.

Durch derartige Künste verstand es die schlaue Favoritin, immer von Neuem ihren alten Anbeter zu fesseln und ihre Stellung zu behaupten; obgleich der Hofadel es nicht an fortwährenden Bemühungen fehlen ließ, sie zu stürzen. Man beschuldigte sie im Geheim, die frühere Geliebte des Königs, Fräulein von Voß, welche zur Gräfin von Ingenheim erhoben wurde, durch ein Glas Limonade in der Oper vergiftet zu haben. Die ersten Familien des Landes beeilten sich, aus ihrer Mitte dem Könige einen Ersatz zu bieten, um die bürgerliche Wilhelmine zu verdrängen. Diese war bereits 34 Jahre alt, hatte aber noch keineswegs ihre verführerischen Reize eingebüßt. Sie war mehr pikant als schön, ein Stumpfnäschen verlieh dem ausdrucksvollen Gesicht eine kecke, herausfordernde Physiognomie; die nicht großen Augen waren überaus feurig; ihr Körper wunderbar schön, ganz Ebenmaß ohne Gleichen. Man bewunderte vorzugsweise die plastische Schönheit ihrer Arme. So oft sie in dem Handschuhladen von Paskel auf dem Schloßplatze in Berlin erschien, fanden sich ältere und jüngere Kunstdilettanten ein, um ihren vollkommenen Arm zu bewundern, den sie beim Anprobiren entblößte.

(Schluß folgt.)


Allgemeiner Briefkasten.

W. P. in St. Ausnahmsweise und um des guten Zwecken willen wollen wir Ihrem Wunsche nachkommen. Die ersten beiden Jahrgänge sind übrigens vollständig vergriffen. – K. in L. Wir sind Ihrem Wunsche bereits zuvorgekommen. Herr Edm. Hoefer hat uns für eins der nächsten Hefte eine Erzählung zugesagt. – B. in G. Nicht frisch genug. Bitte, über das Manuscript zu disponiren.


Stimmen der Zeit.
Monatsschrift für Politik und Literatur.
Herausgegeben von Adolph Kolatschek.
December 1858.

Inhalt: Die gegenwärtigen Staatstheorien. – Ein deutscher Feldherr im amerikanischen Unabhängigkeitskriege. – Robert Schumann. Eine kritische Studie. IV. Schumann’s Werke im Einzelnen. – Von dem gegenwärtigen Zustand der Literatur in Frankreich. – Die Auflösung des bairischen Landtags. – Die politische Lage in Hannover. – Ungarische Zustände. I. Grund und Boden. – Literarische Kritiken. Das Leben der Seele, in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze, von M. Lazarus. 2 Bde. Berlin 1856–57. Argo, Album für Kunst und Dichtung, 1859, herausgegeben von Fr. Eggers, Th. Hosemann, B. v. Lepel. Breslau. – Londoner Brief. London, 25. November. Die Reformbewegung – John Bright — Die Aufklärung über Preußen – Montalembert’s Proceß – L’Angleterre et la guerre.

Die „Stimmen der Zeit“ erscheinen in monatlichen Heften von 7–8 Bogen und kosten vierteljährlich 2 Thaler.

Gotha, December 1858.

Expedition der Stimmen der Zeit.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_016.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2023)