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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

schlanker, mit zartem, jedoch kräftigem Gliederbau. Das stolz erhobene Haupt ist edel geformt und klein, so daß man kaum begreift, wie es den Schmuck der ungeheueren Hörner tragen kann, deren Spitzen oft eine volle Klafter Zwischenraum haben. Der Gang ist leicht und schnell, die großen Augen leuchten von Muth und Feuer. Diese Heerden sind ganz der Natur überlassen; da die Kühe nicht gemolken werden, so saugen die Kälber so lange, als jene es leiden mögen. Im dritten oder vierten Jahre werden die jungen Ochsen von der Heerde ausgeschieden und theils zur Feldarbeit benutzt, theils zu Tausenden verkauft.

Diese Hirten mit ihren zahlreichen Heerden, die Betyáren, der Jude mit seiner Familie in der Csárda sind jedoch nicht die einzigen Bewohner der Pußta, die als Weideland benutzt wird. Da gibt es noch ein im Grunde recht harmloses Völkchen, man nennt sie Szegény legény (arme Bursche). Diese sind die Dandies der Pußta. Sie sind meist junge Leute, oft wohlhabende Bauersöhne, die vor der Militairstellung entwichen und nun Schutz in den weiten Einöden und dem undurchdringlichen Rohrdickicht suchten und fanden. Sie lieben deshalb auch die Pußta, wie eine Mutter, und kennen alle Wege und Stege in den Sümpfen so genau, daß es dem Reisenden wie ein Geisterspuk erscheint, wenn er diese jugendlich kräftigen Gestalten in mondheller Nacht auf leichtfüßigen Rossen mit einer Sicherheit mitten durch den Morast dahinfliegen sieht, als trabten ihre Pferde auf dem geebneten Boden der besten Reitschule.

Ihr Costüm gleicht jenem des Betyár, nur ist darin mehr Reinlichkeit und eine gewisse kokette Zierlichkeit vorherrschend. Sie leben zwar auch auf anderer Leute Kosten, allein nicht so sehr von den unfreiwilligen Gaben der Angst, als von den freiwilligen der Gastlichkeit. Gern theilt der Hirt Brod und Speck mit ihnen, das Mahl wird gewürzt durch einen guten Schluck Wein, der nie in dem mit Pferdehaut überzogenen hölzernen Kulacs fehlt. Das Pferd ist des Flüchtlings treuester Genosse; allerdings hat er dies nicht auf dem gewöhnlichen Wege des Kaufes erworben, denn diese wilden Kinder der Pußta betrachten Pferderaub als einen ganz natürlichen und verzeihlichen Eingriff in das Eigenthum eines Anderen.

Der erste Szegény legény begeht nie einen andern Raub, noch weniger einen Mord; er besucht nicht nur die Hirten und die zerstreut auf der weiten Pußta umherliegenden Wirthschaftshöfe, sondern er kommt auch in den Winterabenden in die näheren Dörfer und Herrenhäuser, und fehlt selten im Wirthshause beim lustigen Tanze.

Diese Ritter der Pußta geben oft ihr freies Abenteuerleben auf, wenn sie zu tief in die Augen einer hübschen Dirne gesehen, und die Liebe den Wunsch nach einem festen Wohnsitze, nach einem eigenen Heerd in ihrer Brust geweckt hat. Doch auch dann verlassen sie die geliebte Pußta selten; sie werden Hirten oder treten in Dienste auf den Wirthschaftshöfen.

Diese weiten, ebenen Landstrecken, deren Bewohner Hirten (Pástorock), Betyár’s, Szegény legény und viele Hunderttausende von Schafen, Rindern und Pferden sind, und deren ungeheure Rohrfelder zahllosen Sumpf- und Wasservögeln Kost und Wohnung geben, sind die eigentlichen Pußten. Von großem Nutzen für diese Gegenden sind die schon öfter erwähnten Rohrfelder. Das Rohr wird im Winter, sobald die Sümpfe zugefroren, geschnitten, in Bündel gebunden und theils verkauft, theils zu eigenem Verbrauche verwendet. Da in diesen Gegenden das Holz nur dem Namen nach bekannt ist, so benutzt man das Rohr als das gewöhnliche Brennmaterial. Auch deckt man die Gebäude damit, verfertigt Matten daraus und gebraucht es, Faschinen gleich, um durch Moräste Wege zu bauen. Es ist oft der Fall, daß man nur festgeschnürte Rohrbündel dicht neben einander und mehrere Lagen übereinander legt, und mit dem schwersten Lastwagen über diese elastischen Brücken fährt. Die Bewohner dieser sumpfigen Gegenden besitzen im Herstellen solcher Brücken eine besondere Fertigkeit, und sind in einigen Stunden mit einem derartigen Bauwerke fertig, das zuweilen mehrere Klaftern lang ist. Es gibt sogar manche, die hundert, ja zweihundert Klaftern mitten durch den unwegsamen Morast führen.

Das Rohr, welches man nicht abschneiden kann, weil entweder der Sumpf zu tief oder weil man es nicht mehr bedarf, wird angezündet, und diese weiten brennenden Strecken gewähren einen prächtigen Anblick, wie man ihn in Europa schwerlich wieder finden wird. Der nächtliche Himmel ist weithin in die schönsten Schattirungen von Gold und Roth gekleidet, gierig verzehrt das Feuer das ihm gebotene Material – die Flammen wogen mehrere Klaftern hoch hin und her, man hört das Prasseln schon in weiter Ferne, zuweilen unterbrochen durch das klägliche Geheul eines Rohrwolfes, der den Verlust seiner Winterwohnung bejammert, oder durch das ungehaltene Bellen der Füchse, die sich über das Beleuchten ihrer nächtlichen Pfade ärgern.

(Schluß folgt.)




Aerztliche Strafpredigten.
Den Müttern hustender Kinder.
(Keuchhusten; Bräune.)

Krankheiten verhüten ist weit leichter als Krankheiten curiren, zumal bei Kindern. Dies kann Müttern gar nicht oft genug gepredigt werden. Denn selbst die vorsichtigsten und auf ihre Kinder aufmerksamsten Mütter, — wie sich übrigens, beiläufig gesagt, alle, auch die genußsüchtigsten und unhäuslichsten Frauen gern öffentlich zu nennen pflegen, – begehen bei der Behandlung kleiner Kinder sehr oft die gröbsten Verstöße.

„Ihr Kind ist schon sechs Wochen alt, und ist noch nicht in’s Freie getragen worden? Das meinige muß alle Tage, bei Wind und Wetter heraus und gedeiht dabei zusehends.“ Einige Wochen nach diesem Zwiegespräche starb das abgehärtete Kind in Folge einer Lungenentzündung, die es sich im Freien durch Einathmen kalter Luft zugezogen hatte. Das nächste Kind wird aber doch wieder abgehärtet.

„Wir sind Alle von unserer Mutter so aufgezogen worden.“ – Deswegen sind Sie, Madame, aber auch nervenschwach und hysterisch, Ihr Herr Bruder schwindsüchtig und Ihr Fräulein Schwester bucklig.

„Ich kann es nicht begreifen, wo meine Kinder diesen entsetzlichen Husten herhaben, ich habe sie doch so warm gehalten.“ – Allerdings hatten die Kinder dicke wollene Tücher um den Hals gewickelt, sonst gingen sie aber kurzärmlig, barwadig und dünn beschuht.

„Ja! da können Sie freilich keinen so hübschen dicken Jungen, wie ich, haben, wenn Sie Ihrem armen Kinde blos Milch geben und es halb verhungern lassen." — Der hübsche dicke, mit Brei gefütterte Junge verlernte sehr bald das Laufen wieder, ward krummbeinig und ein Krüppel.

Es ist merkwürdig, wie die meisten Mütter, obschon sie sich für ihren Beruf gar nicht vorgebildet haben, doch mit einer staunenswerthen Arroganz, nur gestützt auf Alteweiber-Klugheit, über Behandlung und Erziehung der Kinder aburtheilen. Man betrachte aber auch nur einmal die Producte unserer jetzigen Hauserziehung; schöne Früchtchen! Ein Mann sollte eigentlich nur solch ein Mädchen heirathen, das seine Studien nicht auf Bällen, in Gesellschaften und Concerten, wohl aber in Krippen (d. h. Säuglingsbewahranstalten), Kleinkinderbewahranstalten oder Kindergärten gemacht hat. Die meisten der jetzt existirenden Mädchen-Institute sind in der That recht heimtückische Anstalten, denn sie produciren für die armen Männer lieblich anzuschauende und anzuhörende Dämchen, die wohl eine Wonne für den Brautstand, aber ein Gräuel für den Ehestand sind. Das wird aber auch sobald noch nicht anders, denn die Frauen lassen sich einmal von ihren verschrobenen Ansichten nicht so leicht abbringen, und das ist sehr schlimm, denn sie sind ja gerade zur Veredelung des Menschengeschlechtes berufen. Es ist ferner traurig, daß selbst ziemlich verständige Frauen, obschon sie das ernsteste Bestreben haben, sich für ihren Beruf auszubilden, doch die ihnen durch Schrift und Wort von Sachverständigen mitgetheilten Erziehungs- und Gesundheitsgesetze gar zu gern ihrem Glauben und Meinen anpassen wollen oder nur zum Theil halten und verstehen.

Trotzdem muß es doch immer und immer wieder versucht werden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_007.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)