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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Blätter und Blüthen.


Sand und sein Scharfrichter. Die unglückselige That war vollbracht und Kotzebue als Opfer eines politischen Fanatismus durch Sand’s Dolch gefallen.

Sand, obwohl er an den selbst beigebrachten Wunden schwer litt, sah ruhig, im Wahn, eine gute That vollbracht zu haben, in seinem Gefängnisse dem Tode entgegen; das Urtheil war ihm bereits verkündet.

Da ließ er am Nachmittag des 19. Mai 1820, welcher dem Tage seines Todes voranging, den Scharfrichter W. aus H., dem die Vollstreckung des Urtheils von der Regierung aufgetragen war, zu sich entbieten. Sogleich erkannte er seinen Mann, als man ihn bei seinem Eintritt mit den Worten vorstellte, es sei der Herr aus H., welchen er zu sprechen wünsche. Sand hieß ihn freundlich willkommen, unterhielt sich an drei Viertelstunden mit ihm, fragte ihn, wie er sich auf dem Schaffot zu verhalten habe, und sagte, als er dessen Erschütterung bemerkte:

„Fürchten Sie Nichts, lassen Sie sich durch nichts irre machen, und sollten Sie auch mehrere Mal hauen.“

Nach geendigter Unterredung, welche zwischen Beiden unverkennbar eine Art von Befreundung herbeiführte, sagte Sand zu W., daß er von ihm noch keinen Abschied nehmen wolle, weil er ihn noch einmal zu sehen habe. „Am Scheidewege!“ erwiderte dieser.

Somit entfernte sich W. von Sand, und die Vorbereitungen zur Hinrichtung wurden getroffen. Ein Bekannter des Scharfrichters will nach dessen Besuch bei Sand eine bedeutende Veränderung in seinem ganzen Wesen wahrgenommen haben.

Am 20. Mai wurde die Hinrichtung vollzogen. Sand saß auf dem verhängnißvollen Stuhle. Weil er besonders seiner Wunden und seiner angegriffenen Nerven wegen nicht allzufest gebunden zu werden wünschte, so wurde er nicht mit der Brust, sondern mit dem Unterleibe an den Stuhl befestigt. Die Hände band man ihm Anfangs auf die Brust; da er aber sagte, es erschwere ihm das Athmen, band man sie auf den Schooß.

Sand wünschte, seine Haare nicht zu verlieren, worauf der Scharfrichter herbeitrat und ihm sagte, sein Haar sei für seine Mutter bestimmt. Sand nickte Beifall. Man schnitt ihm nur wenige Haare ab, und band die übrigen in die Höhe. Der Nachrichter zog nun ein rothes, schwarzgeblümtes Seidentuch aus der Tasche, und es wurde Sand um die Augen gebunden. Mit beiden Armen schwang W. sein Schwert, und in einem Augenblick war der Halswirbel durchschnitten.

Nachdem der Leichnam sich verblutet hatte, band man ihn los, und legte ihn nebst dem Haupte in den bereitstehenden Sarg. Hierauf wurde dieser mit Nägeln zugeschlagen, auf einen Wagen gestellt, mit einem schwarzen Tuche behangen und in langsam feierlichem Zuge, von Militair auf beiden Seiten begleitet, an seinen Bestimmungsort gebracht.

Sobald sich das Militair vom Schaffot entfernt und nur wenige Schildwachen zurückgelassen hatte, eilte eine Menge der Umstehenden, worunter sich mehrere Studenten aus Heidelberg befanden, die Stufen hinauf, um die wenigen Reste des abgeschnittenen Haares aufzulesen, und Taschentücher, Papiere und Commersbücher in das Blut zu tauchen. Späterhin sah man noch viele um das Gerüst versammelt, welche sich blutige Spähne aus den Bretern heraushauen und blutigen Sand reichen ließen.

Als die Execution schon längst vorüber war, sah man noch Studenten von Heidelberg kommen und den nähern Weg über’s Feld einhersprengen. Die fünfte Stunde war nämlich erst am Nachmittag des vorhergehenden Tages zur Hinrichtung festgesetzt worden, indem es vorher hieß, sie würde um elf und dann wieder um sieben Uhr vor sich gehen. Um drei Viertel auf sechs Uhr war der Sarg bereits wieder in der Stadt.

Das Volk nannte die Wiese, auf welcher die Hinrichtung vollzogen war, „Sand’s Himmelfahrts-Wiese.“

Den Richtstuhl schenkte der Scharfrichter einem seiner Freunde, welcher ihn sogleich vom Schaffot herunternahm, damit durch die Menge eilte und selbst nach Hause brachte.

Nachdem das Schaffot abgebrochen war, ließ der Scharfrichter W. die Breter nach H. bringen, um sie an seinem Gartenhäuschen, welches auf einer Anhöhe lag, zu verwenden, und sich in demselben Sand’s zu erinnern. Das Bret, worin der Block befestigt war, an welchen nachher der Richtstuhl gebunden wurde, zog sich mit der durchsägten Oeffnung an der Decke hin.

Schon bei seinem Nachhausekommen erschien W. den Seinen ganz verändert. Der sonst so heitere, gesprächige Mann sprach wenig, zog sich von seinen Freunden und selbst von seiner Familie zurück und versank immer mehr und mehr in eine düstere Schwermuth. Als das Gartenhäuschen in der angegebenen Weise vollendet war, brachte er seine meisten freien Stunden mit dumpfem Hinbrüten in demselben zu. Alle Mühe, ihn zu zerstreuen, und ihn von dem Besuche seines Lieblingsaufenthaltes abzubringen, war vergebens.

So verging der Sommer 1820 und die Melancholie des armen W. steigerte sich von Tag zu Tage. Endlich ward er ernstlich krank, und seine krankhafte Phantasie bewegte sich nur um Sand und die Momente seiner Hinrichtung. Man benutzte die Zeit seiner Krankheit, um jene verhängnißvollen Breter aus dem Gartenhäuschen zu entfernen, und bemühete sich dabei, seine aufgeregte Phantasie auf andere Gegenstände zu lenken, aber vergebens.

Als W. von seiner Krankheit so weit genesen war, daß er das Zimmer verlassen konnte, war sein erster Gang nach seinem Gartenhäuschen. Als er dessen Räume ganz verändert und mit verschiedenen freundlichen Bildern ausgeschmückt fand, verließ er es sogleich wieder, ohne dieser Veränderung mit einem Worte zu gedenken, verbrachte den Tag anscheinend ruhig in seiner Familie, sprach mehr, als man seit jener unglücklichen Execution von ihm gewohnt war, und erwähnte diese mit keiner Sylbe. Abends begab er sich still und ruhig in sein Schlafzimmer.

Am andern Morgen fand man das Zimmer verschlossen, und als auf wiederholtes Pochen und Rufen keine Antwort erfolgte, öffnete man es mit Gewalt.

Da war das Zimmer leer und alle angestellten Nachforschungen nach W.’s Aufenthalte blieben ohne Erfolg.

Mehrere Wochen waren seit W.’s Verschwinden aus H. vorübergegangen. Da ließ sich in Wunsiedel bei Sand’s Mutter, der verwittweten Frau Justizrath Sand, deren Gemahl seit kurzem gestorben war, ein fremder Mann anmelden, welcher sie um eine geheime Unterredung bitten ließ, indem er ihr eine wichtige Mittheilung zu machen habe.

Dieser Mann war dem Dienstmädchen der Dame wegen seines irren Blickes und scheuen Benehmens im höchsten Grade aufgefallen, weshalb sie Anstand nahm, ihn der Gebieterin zu melden. Als aber der Mann nach zweimaliger Abweisung zum dritten Male wiederkehrte und seiner Bitte um Zutritt bei der Frau Justizräthin die Versicherung beifügte, daß er ein Unglücklicher sei, dessen Seelenruhe von einer Unterredung mit der Dame des Hauses abhänge, ward er endlich vorgelassen.

Tieferschütternd war die Scene, als die Dame jenem Manne entgegen trat. Er stürzte nieder auf die Kniee, klagte sich als den Mörder ihres Sohnes an, bat sie in den rührendsten Ausdrücken um Vergebung, wie auch ihr Sohn ihm vergeben habe, und beschwor sie, ihm zum Zeichen ihrer Vergebung die Hand zu reichen. Die Spuren des Irrsinnes traten immer deutlicher bei dem Manne hervor und die Dame wollte sich entfernen. Als aber der Mann schluchzend unter heftigen Thränen sich als den Scharfrichter W. von H. zu erkennen gab und bei der Seligkeit des Gemordeten schwur, er werde nicht eher von der Stelle weichen, bis er ihre Verzeihung erfleht und sie ihm versöhnt die Hand gereicht habe: da reichte sie ihm dieselbe bin mit der Versicherung, daß sie nicht den geringsten Groll gegen ihn habe und haben könne, weil er ja doch nichts Anderes gethan habe, als seine Pflicht, die sein Amt von ihm fordere.

W. ergriff die Hand mit Heftigkeit, küßte sie, drückte sie an das Herz und dankte der Dame unter strömenden Thränen für den lindernden Trost, den sie in seine verzweifelnde Seele gesenkt habe, verließ das Zimmer und eilte in seinen Gasthof zurück.

Dort angekommen, versank er aber bald wieder in den vorigen Zustand zurück, und sein Benehmen war der Art, daß sich der Wirth genöthigt sah, der Polizei davon Anzeige zu machen. Der unglückliche W. ward in ein geeignetes Local gebracht und seiner Familie Nachricht gegeben. Sein Zustand aber verschlimmerte sich von Tag zu Tag, bis endlich der stille Wahnsinn, der erst seinen Geist gefangen hielt, in entschiedene Tobsucht überging.

Mit Bewilligung seiner Familie ward W., um seine Genesung zu bewirken, nach der Irrenheilanstalt St. Georgen bei Baireuth gebracht, und bald erfolgte dort die Genesung seines Geistes mit dem Friedenskusse des Todes. –

Dr. L.




Die Franzosen in Cochin-China und dessen Marmorgrotten. Wir Deutschen, die wir Alles idealistisch aufzufassen lieben, freuen uns der englischen, französischen, russischen und amerikanischen Siege in China und Japan, weil nun dort „Civilisation“ und sogar Christenthum unter den blinden Heiden verbreitet werden könne. – Thatsache ist, daß bisher verschlossene Länder, mehr als ein Drittel sämmtlicher Bewohner der Erde, der gebildeten, fabricirenden und handelnden Abendwelt zugänglich geworden. Zu China und Japan kommt nun wahrscheinlich auch Cochin-China, in welches sich die Franzosen Eingangslöcher geschossen haben. Eine französische Flotte erzwang sich Anfangs September festen Boden vor der Hauptstadt Cochin-China’s, Touranne, angeblich in christlichem Rachegefühl über französische Missionäre, die wiederholt von Cochin-Chinesen ermordet wurden. Der Kaiser Meng-Meng befahl 1833, daß alle christlichen Kirchen und Häuser niedergerissen und deren Bewohner und Priester ermordet werden sollten. Die Missionäre Gagelin und Jaccard wurden erwürgt. Ein dritter, Marchand, ward 1855 mit glühenden Zangen gezwickt, der Bischof Lefevre 1854 sechs Monate in einem Gefängnisse gemartert u. s. w. Aber der Kaiser Thieufri, wegen dieser Missethaten gegen französische Missionäre bedroht, erklärte sich bereit, mit den Franzosen Freundschaft und einen Handelsvertrag zu schließen. Ehe etwas der Art zu Stande kam, erhielt man von einem neuen Missionär-Martyrthum Kunde. Die Anamesen oder Cochin-Chinesen hatten den Bischof Diaz in Tonquin mißhandelt. Während die französische und spanische Regierung Rechenschaft dafür forderten, wurde der Bischof Melchior im Innern des Landes arretirt und ermordet.

Um diese Frevel zu rächen, griff eine französisch-spanische Flotte die Seefestungen des Landes an, zerstörte sie und landete. Zwar übt jedes Land das Recht aus, Menschen und deren Lehren, die dem „Landrecht“ und der „Landesreligion“ zuwider sind, zu bestrafen; aber die Christen verlangen von den Heiden für das Christenthum eine Ausnahme. Insofern es als Religion der Liebe, der Wirkung auf Herz und Ueberzeugung gelten will, durfte es auf diese Ausnahme keinen Anspruch machen, sondern mußte Alles der inneren, geistigen Macht der christlichen Lehre überlassen, die wenigstens auf keinen Fall mit Kanonen und Bombardement verbreitet werden kann. Das ist und bleibt ein Widerspruch in sich selbst. Diese Praxis hebt Alles, was wesentlich christlich ist, mit Stumpf und Stiel auf und ist geeignet, auch etwa schon gewonnene Gläubige zu den umgekehrten Saulus-Paulus-Proceß zu bringen.

Doch still davon. Unter uns: das Christenthum ist blos ein Vorwand. Man treibt den schamlosesten Spott mit dem „Worte Gottes.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_755.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)