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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

elastischen Grashalmen – jedoch laßt uns vorlieb nehmen mit dem nackten Gestein; laßt uns vergessen, wie rauh und hart[1] unser Lager, die Felsecken des Huygens, sind; denn wir haben jetzt Gelegenheit, hineinzuschauen in ein so ganz fremdes Land! Wo wäre da wohl Jemand, dessen Sinne und Gedanken nicht ganz gefesselt würden von Wißbegierde nach dem, was sich unserem Blicke zeigen werde?

Schon der Knabe, wenn sein Geist nicht irgendwie gelähmt ist, möchte wissen, wie die Gegenden aussehen, die hinter den Bergen, hinter den Wäldern und Dörfern liegen. Und den Jüngling ergreift Sehnsucht in die Ferne, wenn er an den Schienen einer Eisenbahn steht, die uns jetzt so schnell fremde Länder sehen läßt. Stürmische Gefühle regen sich in seiner Brust, deren er sich selbst nicht recht klar wird, und drängen ihn mit geheimnißvoller Kraft fort, weit fort in die Ferne, ohne oft zu wissen, warum und wohin. Der Mann, der nicht durch Lüfte abgelebt ist oder dessen Nerven nicht durch Sorgen erschlafften, – er ergreift begierig den Wanderstab, erklettert Höhen, scheut nicht Schweiß, nicht Mühen; wie sind all’ seine geistigen Sehnen gespannt, wie peinigt ihn schon die Ungeduld, indem er sich fragt: was für eine Landschaft wird sich dann wohl dem Auge darbieten?

Wenn uns aber schon bei Reisen auf der Erde der Reiz der Neuheit und die Wißbegierde so gewaltig erfaßt, wie viel mehr muß dies geschehen, wenn uns gestattet wird, thatsächlich fremde Länder zu sehen, die fern, gar fern in dem Himmel liegen und in die wir wohl nie, so lange wir an unsern irdischen Leib gebunden sind, eintreten können!?

Die Giganten der alten Griechen thürmten Felsblöcke auf Felsblöcke und Berge auf Berge, um in den Himmel zu gelangen. – Die alten Babylonier bauten einen riesigen Thurm, von dem aus sie die Landschaften des Paradieses sehen wollten, – sie mühten sich vergeblich ab. Uns dagegen ist’s vergönnt, wirklich zum Theil zu schauen, wie es im Himmel aussieht; wir sehen da Reiche aus gebreitet, so deutlich, so klar, daß wir meinen, wir könnten darin schon herumspazieren. Wer konnte da wohl so weit dem gleichgültig dahinlebenden Thiere gleichen, daß er ruhig fort essen und trinken könnte!

Wenigstens muß ich es von mir gestehen, wie ein Gefühl, welches sich mit keinen irdischen Worten beschreiben läßt, – das nur nachgefühlt werden kann, mich erfaßte, so oft ich die Landschaft des Mondes mit ihren Bergen und Thälern und Sonnenglanz und Schattengestalten vor mir ausgebreitet sah, ausgebreitet vor mir so schön, so zauberhaft, daß ich meiner sterblichen Hülle, meiner irdischen Verhältnisse vergaß, daß Betrübniß mein Gemüth erfüllte, wenn ich meinen Geist, der schon gekostet die süße Freiheit hinauszuschweifen weit über die Grenzen der Erdnatur, da draußen, zwischen den Bergen und Ebenen eines Theiles des Himmels, – ich sage, wenn ich meinen Geist wieder gewaltsam herabziehen mußte, zurück in die oft verschränkten und beengenden Stellungen zur menschlichen Gesellschaft; ja, ich gestehe, oft hätte ich weinen mögen, weinen so heiß, wie ein junger Wanderer, der längere Zeit im fernen Lande geweilt und dort so tief in ein schönes Augenpaar geschaut, so tief, daß er dort nur seinen Himmel wähnt, – wenn die kalte Nothwendigkeit ihn dann zwingt, weiterzuziehen, und er sich nur dadurch trösten kann, daß er hofft, bald, recht bald wieder dahin zurückzukehren. Und wie mich, so wird es gewiß Alle ergreifen, sobald sie noch ein frisches Herz und einen frischen Geist sich bewahrten. –

So laßt uns denn von unserem hohen Felssitze aus den Blick genießen, den Mondlandschaften gewähren!

Wir fühlen, indem wir hier auf dem Huygens sind und hinausschauen in die wundersame Natur des Mondes, die ganze Großartigkeit einer fremden Welt. Der Eindruck, den das Panorama der Apenninenlandschaften auf uns macht, ist jedoch nicht der liebliche eines irdischen; nicht schweift das Auge über saftiges Grün von Auen und Wäldern; nicht findet es den reizenden Farbenschmuck einer Blume; nicht sieht es des Himmels Blau sich spiegelnd in fernen Seen; nicht glänzt ein in fruchtbaren Geländen dahin sich schlängelnder Fluß; nicht hüpft plätschernd ein munterer Felsbach oder murmelt über glatte Kiesel ein helles Bächlein, an dessen schwellendem Herzen weiches Moos ruht oder an dessen Rande ein bescheidenes Vergißmeinnicht träumt; keine Biene summt über Rosenhecken, über duftigen Levkoy; kein Gesang eines Vögleins tönt und nicht ziehen Kraniche hinaus in blaue Fernen. Vergebens suchst Du den zarten Zauberschleier, womit auf der Erde die Natur die fernen, von Schnee silbern erglänzenden Berge feenhaft umhüllt und der als blauer Duft, oder zu Wolken phantastisch zusammengeballt, so oft den Erdenlandschaften jenen unbeschreiblichen Reiz gibt.

Das Rauschen der Wipfel alter Bäume, das unheimlich und doch so eigen süß die Seele erschauert, – es durchzittert nicht das ahnungsvolle Gemüth. Nicht ruft das idyllische Geläute eines benachbarten Dorfkirchleins, nicht eines ferneren Stadtthurms Glocke, die weithin ihre dumpfe und feierlich ernste Stimme sendet, nicht ruft eines Gott geweihten Priesters Wort uns zu erhebender Andacht frommer Gefühle, zu tröstendem Gebete – – – Eine ewige Grabesstille hält die Natur des Mondes in Fesseln! Gesang und Sprache ist unbekannt. Der Mensch hat hier einen Sinn zu viel, umsonst. Er bedarf hier nie des Ohres!

Stumm sitzen wir auf dem nackten Felsen des Huygens und stumm ist ringsum Alles. Dagegen brennt heiß die Sonne und die Helligkeit ihrer Strahlen vermag unser Auge kaum zu ertragen. Doch – nicht können wir den Durst löschen: Wasser gibt es nicht! – nicht fächelt ein kühlender Wind uns an: Luft gibt es nicht! – Wer also die Genüsse liebt, die eine Symphonie gewährt, oder die das Gemälde eines furchtbar blitzenden Gewitters, eines wilden Seesturmes oder einer Landschaft mit lieblichen Gruppierungen malerischer Laubhölzer bietet, – oder wer seine Sorgen zu vergessen gewöhnt ist, sobald er das ängstliche Drängen des Herzens ausströmen läßt in der Sprache eines Flehens zum Allvater, laut aufrufend zu ihm, – diejenigen, die es verwandeln in die so leicht aneinander sich schmiegenden Töne und den muntern Rhythmus eines lustigen Reigens, – sie alle würde auf dem Monde ein Heimweh nach der Mutter Erde erfassen, wie den Schweizer nach seinen Bergen, das junge Gemüth nach seinen fernen, geliebten Eltern.

Wenn Ihr, die Ihr mit mir jetzt auf dem felsigen Huygens weilet, mich fragt:

„Sind denn überall die Mondlandschaften so kahl, so dürr, so ganz des Schmuckes entblößt, den die Natur den Erdlandschaften verlieh?“ – so muß ich sagen:

„Ja. Nirgends auf der ganzen Weite der Mondländer ist ein Baum, nirgends ein Strauch oder dergl.“

Doch urtheilt deshalb nicht gleich, daß der Anblick des Mondpanorama’s nur abstoßend sei; nein, er hat auch seinen Zauber.

„Aber welchen?“ höre ich Euch fragen.

Man muß sich erst an den Mond gewöhnen, gleichsam sich in ihn hineinleben, ihn erst genauer kennen lernen, dann wird die Seele für seine Eigenheiten empfänglicher. Auf das Eine nur will ich hier aufmerksam machen.

Wer hinausgeschaut hat in die Weite des Meeres, wo kein Baum, keine Insel dem Auge als Ruhepunkt sich bietet; wo das ermüdende Auge vergeblich die fernen Grenzen zu erreichen sucht; – oder wer ergriffen wurde von dem bangen Eindrucke, den eine gewaltige, öde Ebene, eine Wüste, auf unser Menschenherz ausübt; – der wird am meisten die Großartigkeit unserer Mondlandschaft verstehen. Denn auf der furchtbaren Höhe des Huygens stehend, haben wir eine Fernsicht, die wir wohl nicht so leicht auf Erden finden würden.

Wir sind auf dem höchsten Theile der Mond-Apenninen und diese sind das größte aller Mondgebirge. Schon das breite Hochland dieses Gebirges ragt hier weiter hinein in den Himmel, als die von Schnee ewig bedeckten Pyrenäen Europa’s; denn während der Maladetta in Spanien nur 10,700 Fuß hoch ist, beträgt die Höhe des Mondhochlandes 11,700 Fuß. Nun denke man sich: auf diese furchtbare Höhe thürmt sich noch ein Koloß von 5100 Fuß, mithin beinahe 11/2 Mal so hoch, als der Brocken (im Harzgebirge). Von dieser erstaunlichen Höhe des Huygens aus übersieht man nach W und nach S hin die zahllosen Gipfel der Mond-Apenninen. Dieses Gebirge erstreckt sich von NW nach SO in einer Länge, die um 9 Meilen größer ist, als die Entfernung von Straßburg nach Wien, und bedeckt einen Flächenraum, der 1000 Quadratmeilen mehr in sich faßt, als Sachsen, Schlesien, Böhmen und Mähren zusammen (nach den Ausmessungen von Mädler beträgt

  1. Obgleich die Steinmassen des Mondes härter als unsere Kalk- und Kreidefelsen sind, so erreichen sie doch nicht die Dichte unserer Metalle. Die Bergmassen des Mondes haben nämlich 2,8 als specifisches Gewicht; nach andern Angaben sind sie noch etwas dichter; – mithin sind die Mondfelsen unsern Marmorfelsen ganz gleich, da bekanntlich die Dichte unsers Marmors ebenfalls 2,8 beträgt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_420.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)