Seite:Die Gartenlaube (1858) 235.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Leben und Sterben eines deutschen Dichters.
(Schluß.)


In jener Zeit, wo er das Verhältniß mit seiner Geliebten löste, hatte er wohl aus Schmerz über ihren Verlust an Selbstmord gedacht, und einen derartigen Versuch gemacht. Sein Freund Rühle fand ihn eines Tages ohne Besinnung auf dem Bette ausgestreckt. Kleist hatte eine starke Dosis Opium genommen, die ihn zwar betäubte, aber nicht tödtete. Ueberhaupt kehrte er zu den verschiedensten Zeiten seines Lebens zu der Idee des Selbstmordes vielfach zurück. Der Gedanke scheint ihn oft beschäftigt zu haben; ein geheimnißvoller, gleichsam pathologischer Zug in seiner Seele, ein krankhafter Kitzel trieb ihn häufig an, mit Freunden das „Dafür“ und „Dagegen“ zu verhandeln. So äußerte er sich einmal in Gegenwart jener bereits angeführten Freundin fast heftig über den Selbstmord: „Solch ein Mensch,“ sagte er bei dieser Gelegenheit, „kommt mir gerade so vor, wie ein trotziges Kind, dem der Vater nicht geben wollte, was es verlangte, und das danach hinausläuft, und die Thür hinter sich zuwirft.“

Ein ander Mal, ungefähr zehn Jahre vor seinem Tode, sprach sich Kleist in Gesellschaft seiner Freunde Rühle und Pfuel, an eben der Stelle vorübergehend, wo er sich später wirklich tödtete, wieder über den Selbstmord aus, wobei er besonders das Bedenken hervorhob, daß man bei einem solchen Versuche des Gelingens nie vollkommen versichert sei. Die Freunde gingen auf das für drei junge Männer seltsame Gespräch ernsthaft ein, und man nahm zuletzt gemeinschaftlich als die sicherste Todesart an, daß man zu Kahne auf ein tiefes Wasser fahre, alle Taschen voll schwerer Steine gepackt, sich auf den Bord setze, und das Pistol gegen sich abdrücke, um, wenn man sich nicht todtschieße, doch jedenfalls ertrinken zu müssen.

Nach einer mündlichen Mittheilung des Ministers von Pfuel soll Kleist diesen selbst, sowie den Dichter Fouqué mehrmals halb im Ernst, halb im Scherz aufgefordert haben, sich mit ihm zu erschießen. – Derartige Vorfälle deuten allerdings auf eine partielle geistige Störung hin, und die Spuren einer derartigen Trübung seines Verstandes lassen sich in dem Leben des Dichters nicht verkennen. Der alte Wieland schreibt von ihm:

„Herr von Kleist hatte etwas Räthselhaftes, Geheimnißvolles, das tiefer in ihm zu liegen schien, als daß ich es für Affectation halten konnte. Unter mehreren Sonderlichkeiten, die an ihm auffallen mußten, war eine seltsame Art der Zerstreuung, wenn man mit ihm sprach, so daß z. B. ein Wort eine ganze Reihe von Ideen in seinem Gehirn, wie ein Glockenspiel anzuziehen schien, und verursachte, daß er nichts weiter von dem, was man ihm sagte, hörte und also auch mit der Antwort zurückblieb. Eine andere Eigenheit und eine noch fatalere, weil sie zuweilen an Verrücktheit zu grenzen schien, war diese, daß er bei Tische sehr häufig etwas zwischen den Zähnen mit sich selbst murmelte, und dabei das Air eines Menschen hatte, der sich allein glaubt, oder mit seinen Gedanken an einem anderen Orte und mit einem ganz anderen Gegenstande beschäftigt ist.“

Auch Goethe, dessen gesunde Natur sich von dem reizbaren Wesen des Dichters abgestoßen fühlte, urtheilt in einer ähnlichen Weise und zwar mit einer gewissen Strenge:

„Bei dem reinsten Vorsatz einer aufrichtigen Theilnahme hat mir Kleist nur Schauder und Abscheu erregt, wie ein von Natur schön intentionirter Körper, der von einer unheilbaren Krankheit ergriffen ist.“

Dieser bedenkliche Seelenzustand des Dichters spiegelt sich auch zum Theil in seinen Werken wieder, wo er mit Vorliebe die dunklen Nachtseiten in der menschlichen Natur oft gewaltsam herbeizieht und in grellen Farben schildert.

Wer möchte nicht an den kranken Tasso denken, mit dem Kleist auch die Schwerfälligkeit der Zunge gemein hatte! Aber der deutsche Dichter vereinte mit der Reizbarkeit seines italiänischen Leidensgenossen den durchdringenden Verstand und die geniale Schöpferkraft eines Shakespeare, die entschiedensten Gegensätze, welche ihn durch ihre seltsame Vermischung nur doppelt unglücklich machten. Daß er Momente in seinem Leben hatte, wo er geradezu geistesabwesend zu sein schien, bezeugt eine Scene, die Frau von Rühle in Dresden auf der Brühl’schen Terrasse mit ihm erlebte. Sie gingen hier nämlich eines Tages schweigend auf und nieder, als Kleist plötzlich ohne irgend eine Veranlassung die Worte ausstieß: „Ja, ja, es ist nicht anders, Müller muß sterben, ich muß ihn in’s Wasser werfen, wenn er mir nicht seine Frau abtritt.“ – Er meinte damit den bekannten Schriftsteller und Publicisten Adam Müller, seinen besten Freund in der damaligen Zeit.

Frau von Rühle fuhr bei dieser Aeußerung erschrocken und um so mehr erstaunt zurück, da sie bei Kleist nie die mindeste Leidenschaft für die genannte Dame wahrgenommen hatte. Weil sie ihren Ohren nicht traute, ließ sie sich die Phrase nochmals von ihm wiederholen. Kein Zureden von ihrer Seite half, da er sich nicht auf nähere Erörterungen mit ihr einließ, und als er Müller bald darnach auf der Elbbrücke begegnete, machte er wirklich einen ganz ernsthaften Versuch, ihn über die eiserne Brustwehr in den Fluß zu stürzen.

Derartige Anfälle waren jedoch nur vorübergehend und immer wieder siegte seine Vernunft über diese umheimlichen Regungen einer kranken Seele. Sein ganzes Leben war ein fortwährendes Ringen mit dem Dämon in seiner Brust, ein Kampf gegen die finsteren Mächte des Schicksals, den er mit einer bewunderungswürdigen Energie immer siegreich bestand, bis er zuletzt erlag, nicht dem Wahnsinn, sondern dem bewußten Schmerze eines Mannes, welcher müde und verzweifelnd sich nach Ruhe sehnt.



Nachdem Kleist auf seiner Stube seine Manuscripte noch einmal angesehen, zog er aus einem verschlossenen Schubfache einen Haufen Briefe hervor. Die meisten rührten von seiner ersten Geliebten her, andere von seinen Freunden und Freundinnen, darunter die bekannte Gunderode, welche er am Rhein kennen gelernt hatte, und die Tochter Wieland’s, die den Dichter wie eine Schwester und vielleicht noch zärtlicher geliebt haben soll. Aus den vergilben Blättern wehte ihn ein Erinnerungsschauer an, sein ganzes Leben zog an ihm in diesem Augenblick vorüber. Auch einige Liebespfänder, vertrocknete Blumen, eine abgeschnittene Frauenlocke, Angedenken schöner Stunden, lagen dabei. Diese Schätze sollten nicht in fremde Hände fallen, nicht entweiht werden. Er zündete ein kleines Feuer im Kamine an, und verbrannte nach und nach seine Manuscripte, den ganzen Briefwechsel, sämmtliche Zeichen vergangener Liebe und Freundschaft.

„Ich brauche erst kein Testament zu machen,“ sagte er, einen halb wehmüthigen, halb ironischen Blick auf seine ärmlichen Möbel werfend, die ihm nicht einmal angehörten, sondern seiner Wirthin.

Am nächsten Tage holte er zur bestimmten Stunde Henriette ab, die ihn bereits erwartete, um mit ihm gemeinschaftlich zu sterben. Vielfach wurde das Verhältniß der Freunde als ein Liebesroman aufgefaßt, was jedoch nach den Aussagen ihrer genauesten Bekannten keineswegs der Fall war. Henriette und Kleist waren kein unglückliches Liebespaar, wie fast mit Gewißheit feststeht, kein Opfer einer zärtlichen Leidenschaft. Ihre That war einzig und allein das Resultat eines gemeinsamen Lebensüberdrusses. Während Kleist als Dichter und Patriot verzweifelte und keinen Ausweg sah, glaubte Henriette an einer unheilbaren Krankheit zu leiden, zugleich unbefriedigt in ihren Verhältnissen. Sie forderte von ihm einen Freundschaftsdienst, den er ihr nicht versagen zu können glaubte.

In dieser Stimmung traten sie ihre verhängnißvolle letzte Reise und den Spaziergang nach dem See an, an dem sie bis zum Abend in anscheinend unbefangenen und heitern Gesprächen auf und ab gingen. Wahrscheinlich suchten sie dabei die geeignetste Stelle aus, an der sie sterben wollten. Es war dies ein grüner Rasenfleck am Rande des hohen, sandigen, mit alten Föhren, Immortellen und Pilzen bewachsenen Ufers, mit der Aussicht auf das romantische Glienicke. Dort wollten sie im Schooße der Natur zusammen sterben. Sie redeten von ihrem Vorhaben gewiß mit der kalten Ruhe des Philosophen. Vielleicht entwickelte Kleist noch einmal der Freundin seine Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, wie er es in jenem Briefe an Rühle that:

„Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht, es ist ein bloß unbegriffener. Lächeln wir nicht auch, wenn die Kinder weinen? Denke nur diese unendliche Fortdauer! Myriaden Zeiträume, jedweder ein Leben, für jedweden eine Erscheinung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_235.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)